Veröffentlicht: 02.10.2016
Zweihundert Kilometer westlich von Kairo, an der Küste zum Mittelmeer, liegt Alexandria, nach Kairo Ägyptens zweitgrößte Stadt. Fünfmillionen Menschen leben hier auf einem Küstenstreifen von über dreizig Kilometern. Von Kairo aus ist die Stadt bequem mit dem Zug erreichbar. Meist stündlich verkehren die Züge zwischen den beiden Metropolen. Eine der wenigen Bahnlinien in dem ansonsten nur gering ausgebauten Eisbahnnetz Ägyptens.
Es ist Ende September, als ich mich zusammen mit meinen beiden deutschen Kommilitoninnen, die mit mir in Kairo studieren, auf die fast dreistündige Fahrt begebe. Wir wollen unser "Wochenende", Donnerstag und Freitag, in Alexandria verbringen. Ein Freund lebt hier mit seiner Familie und hat uns eingeladen, ihn zu besuchen. Also steigen wir früh um 8 in den Zug und rollen schließlich mit nur einer viertel Stunde Verspätung aus dem Bahnhofsgebäude von Kairo.
Wir sitzen in der ersten Klasse, das Ticket hat uns lediglich fünf Euro gekostet. In dem Abteil herrscht Eiszeit, ich wünschte, ich hätte eine Jacke eingepackt. Die Klimaanlage ist voll aufgedreht, obwohl es draußen inzwischen nur noch 30 Grad sind. Ich drücke mich in den bequemen Sessel und stelle die Lehne etwas nach hinten. Dann schiebe ich den Vorhang am Fenster beiseite und schaue neugierig nach draußen. Es dauert eine gute halbe Stunde, bis wir die großen, tristen Gebäude Kairos hinter uns lassen, dann wird es grüner: Die Fahrt führt uns durch Ägyptens Nildelta, das knapp siebzig Prozent von Ägyptens Landwirtschaftsfläche ausmacht. Daher lebt auch der Großteil der Bevölkerung hier. Bebaute Felder wechseln sich mit braunen Ackerflächen ab, dazwischen stehen immer wieder Palmen. Einige Male queren wir eiserne Brücken, die über die beiden Mündungsarme des Nils und deren künstlich angelegte Kanäle führen. Und auch einige farblose, schmuddelig wirkende Städte liegen auf unserem Weg.
Während der Fahrt spüre ich, wie ich mich entspanne. Erst jetzt merke ich die Anspannung, die sich während der letzten drei Wochen im Chaos von Kairo in mir ausgebreitet hat. Die Lautstärke, die unzähligen Eindrücke, das ständige auf-der-Hut-sein-müssen, um nicht unter die Reifen eines Autofahrers zu gelangen, hat mich wohl doch etwas geschlaucht. Obwohl ich die Aufregung nie als negativ empfunden habe.
Gegen Mittag erreichen wir schließlich Alexandria. Ahmed* wartet am Bahnsteig auf uns und dirigiert uns aus dem Gebäude. Vor dem Bahnhof warten wir auf das Taxi, das er über eine Handyapp bestellt hat. Den schwarz-gelben Taxis, die überall auf den Straßen von Alexandria unterwegs sind, könnte man nicht vertrauen. Anders als in Kairo haben sie keinen Zähler im Wagen, die Fahrer können den Fahrtpreis so nach Belieben festlegen. Wobei die Taxis in Kairo auch nicht immer mit einem funktionierenden oder nicht manipulierten Zähler ausgestattet sind. Mittlerweile weiß ich allerdings, dass für die Fahrt zur Metrostation max. sieben Gineh (70ct) angemessen sind.
Das Taxi bringt uns auf Alexandrias "Hauptstraße", die einmal von Ost nach West an der Küste entlang läuft. Zu unserer Linken taucht das Meer auf. Unser Ziel ist ein kleines Hostel an der Hauptstraße. Es befindet sich in der fünften und sechsten Etage eines Gebäudes, das von außen recht heruntergekommen wirkt.
Die schmutzige, knarrende Holztür, die einen Spalt offensteht, macht keinen sehr einladenden Eindruck. Wir treten in den dunklen Hausflur und von dort in den Fahrstuhl, der bereits in der fünften Etage endet. Als wir ihn wieder verlassen und sich die Tür hinter uns schließt, sehen wir das Schild neben dem Fahrstuhl hängen: Only two persons. Aber wir leben noch. Eine freundliche Frau an der Rezeption begrüßt uns und führt uns über die Treppen in die nächste Etage. Dort befindet sich unser Zimmer. Es wirkt alt, aber nett. Und dann werfen wir ein Blick aus dem Fenster und vergessen jeden Vorbehalt: Wir schauen direkt über die Straße aufs Meer!
Unser nächster Weg führt uns zu einem kleinem Restaurant in eine der engen Gassen der Stadt. Alban Swissra, Schweizer Milchprodukte, steht auf dem Schild über dem Eingang. Wir werfen einen Blick in die Speisekarte. Salat, Oliven, Wurst, Thunfisch, ... mit Käse. Ganz gleich, was man aus der Karte auswählt, man bekommt es nur in Kombination mit Käse, erklärt Ahmed. Dazu gibt es Baguette, so viel, wie man essen kann. Wir bestellen gefühlt alles, was auf der Karte steht. Während wir unsere Baguettes in die verschiedenen käsischen Speißen tauchen, beäugen uns der Koch und seine Kellner neugierig. Westliche Urlauber verirren sich in der Regel nicht hier her. Alexandria ist kein Anzugspunkt für Touristen. Wer Ägypten besucht, will meist in erster Linie die Pyramiden sehen. Oder man fährt zum Baden ans Rote Meer, wo es deutlich wärmer ist.
Ich hebe den Daumen, meine "Mumtaz!" (fantastisch). Die Zähne des Kochs blitzen auf. Zum Nachtisch dann das Highlight: Milchreis. Nicht irgendwelcher Milchreis, Roz bil Laban, ägyptischer Milchreis. Er wird hier in den meisten einfachen Restaurants als Nachtisch angeboten. Ich habe bisher nie sonderlich gerne Milchreis gegessen. Aber in der ägyptischen Variante, die deutlich weicher und cremiger ist als in Deutschland, habe ich definitiv meine neue große Liebe gefunden. Zurück in Kairo habe ich sehr schnell herausgefunden, wo ich ihn bei mir in der Nähe kaufen kann.
Nach unserem Käsemal muss Ahmed einige Stunden weg. So laufen wir alleine den Fußweg am Meer entlang, setzen uns für einige Minuten neben anderen Leuten auf die Mauer, die die Küste von der Straße trennt. Junge Männer stehen zwischen Steinen und den Treibgut, das sich am Strand angesammelt hat und werfen ihre Angel zwischen den Wellen aus. Unmittelbar muss ich an das Schlepperboot denken, das einige Kilometer östlich von hier untergegangen ist und erst kürzlich die ägyptischen Medien regiert hat. Ein Bekannter meinte in diesem Zusammenhang: "Bis vor kurzen haben wir noch über die steigenden Preise geredet und über die schlechte Politik. Also geb den Menschen schnell etwas anderes, worüber sie reden können, und schnell sind die hohen Preise vergessen." Wie ähnlich wir Menschen uns doch in manchen Dingen sind.
Wir genießen die frische Luft, die hier deutlich weniger dick ist als in Kairo. Zudem ist es kühler, obwohl auch hier die Sonne unermüdlich strahlt. Während des ganzen Monats, den ich inzwischen hier bin, hat es nicht einmal in Ägypten geregnet. Wenn sich der Himmel tatsächlich einmal verdunkelt, dann liegt es an dem dicken Smog. Im Winter könne man wohl ein oder zweimal mit einem kurzen Schauer rechnen, sagte man mir. Hoffentlich schlafe ich da nicht gerade.
Wir setzen uns schließlich in ein Cafe. Von der Veranda aus schauen wir aufs Meer und lauschen den Wellen. Neigt man den Kopf allerdings direkt über das Geländer, hat man vor allem gute Aussicht auf eine Menge Müll, der am Strand angespült wurde. Als wir das Cafe verlassen, ist unsere Kleidung von dem Salzwasser, das vom Dach tropft, weiß gepunktet.
Direkt neben dem Cafe befindet sich ein kleiner Sandstrand. Während wir barfuß am Rande des Wassers entlang laufen, geht die Sonne langsam unter und taucht Sand und Wasser in eine warme Farbe. Die Wellen spülen uns zuerst sanft um die Füße, im nächsten Moment stehe ich bis zu den Knie im Wasser. Als Ahmed uns schließlich abholt, ist meine Jeans nicht nur nass, sondern bis oben hin mit Sand bepudert.
Mit einem Minibus fahren wir entlang der Küstenstraße einige Haltestellen weiter. Wir steigen an einer kleinen Seitenstraße aus, die ein Anzugspunkt für Touristen zu sein scheint. Rechts und links stehen einige Tische mit Schmuck, Muscheln und Miniaturpyramiden. Den meisten Platz nehmen allerdings die zahlreichen Kutschen ein, von denen sich die reiche Bevölkerung durch die Stadt kutschieren lässt.
Die Straße führt zu einer Landzunge, die ins Meer hineinragt und an deren Ende Alexandrias bekannteste Sehenswürdigkeit, die Qaitbay-Zitadelle, steht. Wir schauen sie uns nur von außen an und klettern auf die großen Felsblöcke, die im seichten Wasser stehen. Während die vom Licht der Burganlage gespenstig leuchtenden Wellen gegen den Fels schlagen und in der Ferne die Lichter riesiger Frachtschiffe aufblinken, reden wir über unsere Pläne für die Zukunft. Ahmed träumt wie ich davon, noch viele andere Länder zu bereisen. Leider lassen sich diese Pläne für einen Menschen, der nur einen ägyptischen Reisepass vorweisen kann, beiweiten nicht so einfach umsetzen, wie für mich.
Nach einer Weile laufen wir zurück in die Stadt. Wir treffen zwei Freude von Ahmed an einem Fischrestaurant. Wir müssen eine gefühlte Stunde warten, bis ein Tisch für uns frei wird. Ich halte das für ein gutes Zeichen. Als Ahmeds Kumpel uns dann allerdings herein winkt und uns zu einem freigewordenen Tisch führt, bleibe ich ungläubig in einigen Abstand stehen. "Die essen ja wie die Schweine.", rutscht es mir trocken heraus. Ich höre Ahmed hinter mir lachen. Mir ist allerdings absolut nicht zum Lachen, als ich angewidert auf die Tischplatte starre, die mit Essenresten, Fischgreten und zerknüllten Servietten bedeckt ist. Dazwischen ein paar leere Teller. Mir ist absolut nicht klar, weshalb man den Müll nicht auf die Teller stapeln konnte. Während wir warten, kommt ein Kellner vorbei. Mit einem trockenen Schwamm schieb er die Reste in einen Eimer. Das übrige Brot und die angeschnittenen Zitronen, die dazwischen lagen, legt er auf einen separaten Teller. Zusammen mit dem Müll, einem Stapel dreckigen Teller und den scheinbar noch brauchbaren Resten verschwindet er. Die anderen setzen sich. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Wie? Und das war es jetzt? Kein nasser Lappen? Kein Desinfektionsmittel? Ahmed schüttelt den Kopf. Mit einem mitleidigen Blick holt er Taschentücher heraus. Zusammen mit seinen Kumpels wischt er damit noch einmal über den Tisch. Beinahe überrascht starren sie schließlich auf die dunkle Farbe, die das Papier angenommen hat. Ich atme innerlich tief durch. Ich gebe mir große Mühe, meinen Ekel nicht zu zeigen und setze mich mit ausdruckslosen Gesicht zu ihnen an den Tisch. Während der Kellner nun den Tisch mit Salat, mehreren Schüsseln Reis und einem Teller mit Zitronen und Brot füllt, gehen mir die vielen Warnungen meiner Bekannten durch den Kopf: keine lokalen Restaurants in versteckten Gassen, kein rohes Gemüse und vor allem Vorsicht bei Fleisch und Fisch. Ich denke an den rohen Fisch, der am Eingang ungekühlt auf einem Tisch auslag. Und an den gefürchteten Fluch des Pharaos. So nennt man hier eine heftige Durchfallerkrankung, von denen nicht selten Touristen betroffen sind. Der Kellner stellt nun Teller mit gegrillten Fisch, Garnelen und andere Fischgerichte vor uns ab. Ich spüre Ahmeds Blick von der Seite. Ich schlucke noch einmal, dann greife ich beherzt zu. Ich stecke ein Stück gegrillten Fisch in den Mund. Das zweite Stück ist schon größer. Schnell habe ich meine Bedenken vergessen. Vielleicht hat man hier ein anderes Verständnis von Hygiene, aber kochen können sie definitiv. Der Fisch ist wahnsinnig lecker! Und auch der Reis und das Brot, das man in eine Art Sesamsoße tauchen kann, schmeckt. Nur das Gemüse wage ich mich nicht anzufassen.
Nachdem wir uns alle satt gegessen haben und die Reste ordentlich auf die Teller aufgestapelt sind, gehen wir noch in ein typisch arabisches Shishacafe. Als wir schließlich nachhause kommen, sind unsere Akku im wahrsten Sinne des Wortes leer - sowohl technisch als auch körperlich. Leider gibt es nur eine einzige Steckdose. Mir gelingt es, der nächtliche Aufsicht unser Problem zu verdeutlichen - mit meinem doch bisher sehr eingeschränkten Wortschatz und vor allem mit Händen und Füßen. Aus dem privaten Wohnzimmer bekommen wir einen Verteiler. Leider stelle ich fest, dass ich das Ladegerät für meine Kamera vergessen habe.
Ich werfe einen gründlichen Blick unter die Bettdecke, bevor ich schlafen gehe: Das Betttuch wirkt zwar nicht sonderlich sauber, doch zumindest entdecke ich nichts lebendiges. Also versuche ich es mir auf der harten Matratze irgendwie bequem zu machen. Schnell bin ich schließlich eingeschlafen.
Am nächsten Morgen bin ich die erste, die erwacht. Ahmed will uns erst gegen Mittag abholen, um mit uns an einen Strand außerhalb von Alexandria zu fahren. Also packe ich mein Tagebuch ein und verlasse leise das Hostel. In einem kleinen Shop an der Straße hole ich mir eine Packung Kekse. Am Strand bestelle ich mir noch einen Capuccino dazu. Während ich mein unglaublich gesundes Frühstück genieße, höre ich die Wellen gegen die Brandung schlagen. Ich bemerke einmal mehr, wie gut es tut, nicht das ständige Hupen im Ohr zu haben. Obwohl Alexandria im Vergleich zu Leipzig noch immer riesig ist, wirkt die Stadt so viel friedlicher, ruhiger, gesetzter als Kairo. Ich beobachte die Jogger, die auf dem Fußweg an der Küste entlanglaufen. Ein durchgehender Fußweg, das sollte unbedingt betont werden. So einen hätte ich in Kairo auch gerne. Zwar gibt es entlang der Uferstraße am Nil auch einen Fußweg, jedoch nach Kairoer Manier. Ständig unterbrochen, durch Müllhaufen und Parklücken blockiert. Und der Blick auf den Nil wird meist durch teure Restaurants, Sportclubs und Anlegestellen für Luxusschiffe blockiert. So zumindest in Maadi. Joggen gestaltet sich da sehr herausfordernd. Zumal ich befürchte, dass die dicke Luft an der mehrpurigen Straße mein Lungenkrebsrisiko ums zehnfache erhöht.
Gegen Mittag gesellen sich die beiden anderen Mädels zu mir, wenig später holt uns Ahmed und sein Kumpel mit dem Auto ab. Wir fahren zunächst an den Bahnhof, um uns Tickets für die Rückfahrt am Abend zu besorgen. Ich schlage Ahmeds Warnung in den Wind und nutze die Gelegenheit, um auf Toilette zu gehen. Ich habe schon viele Toiletten in meinem Leben gesehen. Schlimmer als die Löcher in der Ukraine kann es ja nicht sein. Nun ja, die Löcher in der Ukraine hatten immerhin eine Spülung. Die Löcher, die ich hier am Bahnhof vorfinde, sind anstatt einer Spülung mit einem Wasserschlauch ausgestattet. Leider scheint es einigen Schwierigkeiten zu bereiten, die Toilettenschüssel zu treffen. Der Boden ist zur Hälfte überschwemmt. Zudem ist es fast unmöglich, ein Waschbecken zu erreichen. Zahlreiche Männer drängen sich um die wenigen Becken und waschen dort nicht nur ihre Hände und Gesicht, sondern verrenken sich unvorstellbar, um auch ihre Füße unter den Wasserhahn zu halten. Ahmed erklärt mir später, dass es sich um die spirituelle Reinigung vor dem Gebet handelt. Und tatsächlich fällt mir ein, dass einige Männer auf einem Teppich vor den Toiletten knieten und dort gegebet haben.
Wir fahren nicht weit, bis wir wieder halten. Diesmal an einem riesigen Einkaufscenter, um Geld abzuheben und etwas zu essen für unterwegs zu kaufen. Außerdem wollen die anderen auch noch einmal auf Toilette. Auf eine ordentliche Toilette. Ich staune nicht schlecht, als ich sehe, was genau sie sich unter einer ordentlichen Toilette vorstellen. Glänzende Fließenböden, elektrische Händetrockner, riesige Spiegel - Toiletten, wie man sie in einem Fünf-Sterne-Hotel findet. Und im Gegensatz zu den Toiletten am Bahnhof steht hier niemand am Eingang, und verlangt Eintritt. Hier gehen also die Reichen auf Toilette. Naja, und eben einkaufen. Solche Kaufhäuser gibt es auch in Kairo zu Genüge.
Für uns geht es von hier aus weiter an den Strand von Marina. Marina ist ein Resort hundert Kilometer westlich von Kairo. Hier verbringt die Elite aus Kairo ihren Sommer. Dann, wenn das Thermometer um die 40 Grad im Schatten anzeigt. Denn hier am Mittelmeer lässt es sich auch in den heißesten Monaten gut aushalten. Die Temparaturen messen hier im Durchschnitt zehn Grad weniger als in Kairo. Sind die Schulferien zu Ende, kehrt man wieder in die Hauptstadt zurück. Die Ferienanlagen am Mittelmeer stehen dann fast leer. Und die Strände werden stattdessen von den Bewohnern der kleineren Orten der Umgebung aufgesucht. Und von uns.
Als wir aus Alexandria herausfahren, sehen wir zunächst links und rechts Industriegelände. Wir kommen an fürchterlich stinkenden Mülldeponien vorbei und riesigen Becken, in denen die Industrieabwasser gesammelt werden. Irgendwo dazwischen streckt sich ein Schornstein zum Himmel, der wie eine riesige Kerze brennt. Mohammed meint, man müsse die Abgase verbrennen, da sie ansonsten zu giftig für die Menschen wären. Nach einigen Kilometern ändert sich dann das Panorama. Zu unseren Rechten taucht wieder das Meer in der Ferne auf. Moment, das Meer? War das Wasser gestern auch schon intensiv türkis? Für einen Moment halte ich es für eine Sinnestäuschung. So perfekt kann das Meer auch hier nicht aussehen. Aber wir täuschen uns nicht. Die Sonne lässt das Wasser hier tatsächlich in einer Farbe leuchten, wie man sie sonst nur auf am Computer bearbeiteten Fotos sieht. Leider müssen die meisten sich mit diesem Anblick genügen: Die ganze Küste bis nach Marina ist zugebaut von teuren Ferienanlagen. Die normale Bevölkerung hat hier keinen Zugang zum Wasser.
Wir erreichen den Strand von Marina deutlich später als geplant. Zwei Stunden können wir bleiben, dann müssen wir wieder aufbrechen, damit wir unser Zug rechtzeitig erreichen. Die Zeit reicht allerdings, um ein paar Mal in die riesigen Wellen zu springen, sich an den furchtbar salzigen Wasser zu verschlucken und einer kleinen Qualle die Hand zu reichen. Und trotzdem starten wir am Ende zu spät. Hakenschlagend fahren wir zurück nach Alexandria, vorbei an LKWs, die selbstverständlich ohne Licht unterwegs sind und immer wieder kurzzeitig bremsend, um einem Schlagloch auszuweichen. 20.06Uhr halten wir am Bahnhof. Der Zug soll theoretisch 20.10Uhr starten. Schnell verabschieden wir uns von Ahmeds Kumpel, dann rennen wir Richtung Bahnhofsgebäude. Es dauert einige Minuten, bis wir das richtige Gleis finden. Aber Gott sei Dank steht der Zug noch. Obwohl es auch seinen Reiz gehabt hätte, in einen fahrenden Zug zu springen. Die Türen werden sowieso meist nicht geschlossen. Im dümmsten Fall wären uns allerdings die Menschen, die sich im Eingangsbereich der Waggons in den niedrigeren Klassen drängen, in die Quere gekommen.
Während wir uns noch zu unserem Abteil durchdrängen, wird der Wagen plötzlich heftig erschüttert. Wir geraten kurz ins Schwanken. Als ich aus der offenen Tür sehe, bemerke ich, dass wir bereits fahren. Scheinbar hätten wir keine Minute später da sein dürfen.
* Name geändert