Veröffentlicht: 09.02.2020
Mein Spanisch reicht mittlerweile, um nach Busverbindungen zu fragen und ein Ticket zu kaufen. Wenn Ausländer langsam in einfachen Worten untereinander sprechen, verstehe ich die Hälfte in etwa. Meine Verbindung verläuft über drei Strecken, also zweimal umsteigen. Das fand ich allerdings erst vor Ort heraus, im Internet gab es diese Verbindung nicht. Da hätte ich nur ein teures Zugticket buchen können, das für heute noch dazu ausverkauft war.
Über Santa Cruz und Curicó fuhr ich also nach Molina, ziemlich in der Mitte von Chile, wo mich Edgardo abholte. 5km weiter ist sein "Multi-Espacio", ein Freibad mit Grillstellen, Hühnern, Pferden, Schafen und ein Stück weiter ein Flusszugang. Außerdem hat er eine große Werkstatt, in welcher gerade ein Tiny House gebaut wird und einen Raum für Veranstaltungen wie Hochzeiten, etc. Ruralen Tourismus nennt er das. Da Sonntag war, war die Wiese relativ voll mit Gästen. Er wohnt auf dem Areal und im Nebenhaus ist gerade seine Schwester und seine Cousine mit Mann und zwei kleinen Kindern für die Ferien hier. Begrüßt wurde ich direkt mit frisch gemachten Humitas und einer kleinen Führung.
Eigentlich hatte ich heute "frei", aber nichts tun kann ich nicht gut. Also gab ich Edgardo's Küche inklusive Kühlschrank eine ordentliche Grundreinigung, denn die hatte sie bitte nötig. Mein Zimmer und der Rest des Hauses ist schlicht, aber zweckdienlich.
Heute ging es los mit der "Arbeit". Der Deal ist offiziell, dass ich an 5 Tagen die Woche 4-5 Stunden arbeite und dafür Kost und Logis für mich gestellt werden. Meine Hauptaufgabe ist eher unromantisch: ich muss die Bäder und Toiletten vom Freibad täglich putzen. Das ist aber in einer halben Stunde erledigt. Ansonsten soll ich mehrmals täglich die Hühner füttern und ihre Eier suchen (sie mögen ihren Stall nicht so gerne und somit ist jeden Tag Ostern). Außerdem gibt es mehrere Säcke voll mit der Wolle von Edgardo's Schafen, welche vor dem Waschen von Stroh, Blättern und anderem Unrat befreit werden muss. Das ist eine sehr langsame Fieselarbeit, aber dafür schön meditativ.
Ich arbeitete also so vor mich hin, zwischendrin mit ein paar Pausen, und zum Mittagessen ging ich zu Edgardo's Familie rüber. Abends war ich mit Edgardo im Ort zum Einkaufen, dann habe ich noch was kleines gekocht und wir haben einen leckeren Wein aus der Region aufgemacht.
Edgardo kommt eigentlich aus der Baubranche, hat dieses Grundstück aber vor ein paar Jahren von seinen Eltern übernommen und möchte dort mit wenig Geld, dafür mit guten Businesspartnern, alle möglichen Projekte verwirklichen. Einen Tennisplatz gibt es hier beispielsweise auch, also hat er einen jungen Studenten gefunden, der hier Unterricht für Kinder geben soll und nächsten Monat ein Turnier mit Fest veranstalten wird. Er ist sehr geschäftstüchtig und hat viele Ideen. Allerdings merke ich auch, dass er von einigen Themen noch wenig Ahnung hat und vieles einfach so passieren lässt. Die Tiere hier (Pferde, Schafe, Hühner) leben einfach so vor sich hin, ohne dass sich wirklich jemand professionell um sie kümmert. Die Hühner zum Beispiel haben lauter Küken und vermehren sich unkontrolliert, weil sie ihre Eier auf dem ganzen Hof verstecken. Edgardo sagt selbst, dass er kein Bauer ist, und es ist auch noch kein Meister vom Himmel gefallen, aber ich glaube, er muss aufpassen, dass er sich nicht verzettelt mit zu vielen Projekten. Ich kann also nicht so viel lernen im Bezug auf Tierhaltung, Gemüseanbau oder nachhaltiges Leben im allgemeinen.
Es lässt sich allerdings auch immer leicht reden, wenn man selbst sein ganzes Leben nur drinnen vor dem Computer saß, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wobei das auch nicht ganz stimmt, vier Jahre lang war ich ja am Wochenende in der Bäckerei hinter dem Tresen.
Vormittags bin ich recht entspannt meinen Aufgaben nachgegangen, nachmittags habe ich die Reiseroute für Patagonien geplant. Mittags gab es ein weiteres traditionelles Gericht, Porotos Granados con Choclo - junge, weiße Bohnen mit Mais als Eintopf / Suppe. Que rico! Abends habe ich ein Brot gebacken, allerdings ist es nicht richtig aufgegangen, da die Anzeige der Temperatur am Drehschalter des Gasofens nicht mehr lesbar war und der Ofen glaube ich zu kalt war. Danach war ich zum Sonnenuntergang mit Edgardo eine Runde Radfahren durch die Nachbarschaft und vorbei an einem Weingut und einer Pflaumenplantage. Es ist sehr ruhig und einfach hier, der Blick auf die umliegenden Hügel und auf einen weit entfernten Vulkan ist ziemlich idyllisch.
Edgardo spricht besser Englisch als ich Spanisch spreche, aber für eine richtig tiefgehende, spannende Unterhaltung reicht es leider nicht ganz. Wenn er ganz einfach und langsam mit Händen und Füßen Spanisch spricht, dann bekomme ich auch schon ein bisschen was mit, aber am Spanisch seiner Familie bin ich gescheitert. Ich verstehe sie schlicht und ergreifend nicht. Das schüchtert dann auch beim Sprechen ein. Es geht also gerade nicht so recht weiter und ist etwas frustrierend.
Der Tag verlief unspektakulär. Habe meine Aufgaben erledigt und meine Gedanken schweifen lassen. Nichts nennenswertes.
Eine Sache hab ich allerdings geschafft, und zwar steht nun unser Reiseplan für Patagonien. Anders als für den Rest der Reise habe ich schön akribisch eine Excel Liste geschrieben mit Tagen, Orten, Aktivitäten und Distanzen. Ben sagte dazu nur: "Du bist also doch noch die alte." Ich muss sagen, es war ziemlich befriedigend für mich, am Ende diesen Plan stehen zu haben.
Heute bekam ich noch eine andere Aufgabe und durfte mir die Hände so richtig dreckig machen beim Tomaten hochbinden. Edgardo und ich haben ein paar Holzlatten zusammengenagelt und an diese Konstruktion habe ich dann die herunterhängenden Tomatenstengel gebunden. Zum Mittagessen war ich auch mit meinen restlichen Aufgaben fertig und bin danach in den 6km entfernten Ort Molina geradelt (denn ich wohne hier komplett in der Pampa). Aber auch da gab es nicht viel zu sehen, alles ist sehr einfach und bodenständig. Die großen Supermärkte sind amerikanisch, alle anderen Läden sind klein, bunt und etwas exotisch.
Am Nachmittag hab ich mit Zwetschgen, die uns ein Freund geschenkt hat, einen Streuselkuchen gebacken und folgendes dabei realisiert. Egal, wo ich mich befinde, ich bin immer die gleiche Person. Das Backen macht mir überall auf der Welt Spaß und hilft mir, meinen Kopf mal für eine Weile abzuschalten. Denn auch hier auf der Reise habe ich stets ein intensives Gedankenkarussell.
Ich leide noch immer unter dem Sonnenbrand aus Viña del Mar, meine Haut pellt sich trotz viel Bodylotion. Jedes Jahr mache ich diesen Fehler genau einmal, aber der Lerneffekt scheint keine 12 Monate zu halten. Also Kinder, geht nie, aber auch wirklich niemals, ohne Sonnencreme in die pralle Sonne.
Abends wollte Edgardo mir noch ein bisschen das Nachtleben der Umgebung zeigen, und so sind wir nach Curicó gefahren. Der Ort war tatsächlich sehr belebt, mit einer großen Allee in der Mitte mit Märkten, Bühnen und Spielplätzen und mehreren Plazas mit schicken Bars. Nach zwei leckeren Pisco Sour und einem schönen Gespräch waren wir jedoch müde und sind nach Hause gefahren.
Es ging vor allem um materiellen Besitz und die Freiheit, die man fühlt, wenn man sich davon lösen kann. Denn in Wirklichkeit "gehört" uns nichts auf dieser Welt, und auch im sicheren Deutschland kann alles, was wir besitzen, im nächsten Moment weg sein. Erst, wenn man das realisiert hat, und sich gedanklich von den Dingen lösen konnte, kann man das Leben wirklich genießen. Glaub ich.
Leider gab es im Laufe des Abends auch einen etwas unangenehmen Moment, ich habe wohl falsche Signale versendet mit meiner Körpersprache. Edgardo und ich sind aber schnell drüber hinweg gekommen und alles war wieder beim Alten - no harm done. Außerdem fahre ich sowieso morgen weiter. Aber auch zu bleiben wäre trotzdem kein Problem gewesen.