Veröffentlicht: 25.03.2018
22/03 - 25/03
Der letzte Stopp auf unserer Südamerika-Tour führte uns nach Rio de Janeiro, dem vermeintlich gefährlichsten Ort unserer Reise, wenn man den Medien glauben möchte. Meine besorgte Mutter hatte mir immer wieder Zeitungsartikel über die Sicherheitslage in Rio geschickt. Einmal wurde bekannt gegeben, dass die brasilianische Regierung das Militär nach Rio entsandte, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Ein weiterer Artikel - eine Woche bevor wir nach Rio kamen - informierte uns darüber, dass eine lokale Politikerin in ihrem Auto durch einen Kugelhagel hingerichtet wurde. All das hat unweigerlich dazu geführt, dass wir hinsichtlich Rio etwas angespannt waren. Auf der anderen Seite lebte ein Freund von uns drei Monate in Rio und hatte in Bezug auf Sicherheit so gut wie nichts zu beanstanden. Wir waren also gespannt, was uns tatsächlich in dieser kontroversen Metropole erwarten würde.
Genauso wie wir auf die Insel gekommen waren, verließen wir sie auch wieder: Per Boot und Minivan machten wir uns auf den Weg nach Rio de Janeiro. Wir hatten einen Door-to-Door Transport gebucht, der uns quasi bis zur Haustüre unseres Hostel brachte. Der erste Eindruck von Rio, als wir auf der Autobahn Richtung unseres Viertels fuhren, war etwas trüb. Wir fuhren an unzähligen Favelas vorbei, die durch viel Beton, überall herumliegenden Müll und deutlich erkennbare Armut gekennzeichnet waren. Möglicherweise ließ aber auch das verregnete Wetter die Umgebung noch etwas düsterer erscheinen, als es bei Sonnenschein gewesen wäre. Wir waren ja schon länger nicht mehr in einer Großstadt gewesen und hatten die meiste Zeit in Brasilien in toller, grüner Landschaft verbracht.
Zum Abschluss hatten wir uns eine vergleichweise teure Unterkunft geleistet. Wir fanden ein extrem gut bewertetes Hostel im kleinen Stadtteil 'Leme', der gleich neben der Copacabana und somit nicht weit vom Meer entfernt war. Was wir nicht wussten, war, dass Leme genau zwischen zwei Favelas liegt. Es gibt auch nur eine nicht mal zweispurige und sehr steile Straße, die sich den Hügel zu unserem Hostel hinaufschlängelt. Beim Check-In wurde uns vom Hostelbesitzer auf Nachfrage gleich die Sicherheitslage erklärt. Wir befanden uns zwar zwischen zwei Favelas, aber die sind beide zu hundert Prozent sicher und wir können uns dort Tag und Nacht ohne Sorgen frei bewegen. Gut so, dachten wir!
Nach der Anreise ruhten wir uns erstmal etwas im Zimmer aus und genossen den tollen Meerblick von unserem eigenen Balkon. Wir hatten für den restlichen Tag keine Pläne mehr und beschlossen, nur am Abend Essen zu gehen. Meine Mutter hatte uns eine Empfehlung für ein Restaurant, welches sich ganz oben in der angrenzenden Favela 'Babilonia' befand, geschickt. Wir gingen also die einzige Straße bergauf und folgten der Navigation am Handy. Irgendwann endete die Straße und wir mussten auf enge, verwinkelte Stiegen wechseln, um weiter den Berg hochzukommen. So ganz geheuer war uns das nicht, aber laut Navi waren wir auf dem richtigen Weg. Während ich auf dem Handy den Weg kontrollierte, hörte ich plötzlich Emi sagen: “Der Typ da oben hat a Puffn!“. Ich blickte sofort auf und sah etwa 20 Meter von uns entfernt zwei Gestalten stehen, von denen einer etwas Schwarzes und Glänzendes in der Hand hielt. Instinktiv drehte ich mich um und wollte unverzüglich den Rückweg antreten und einfach wieder runter gehen. Wir hofften, dass uns die Typen einfach in Ruhe lassen würden, doch plötzlich hörten wir sie etwas rufen. In diesem Moment blieb uns fast das Herz stehen, aber wir hatten eigentlich keine Wahl mehr, als darauf zu reagieren. Weglaufen war keine Option. Als wir uns umdrehten, hörten wir die zwei Männer mit einem freundlichen Lächeln sagen: “Tudo bem, tudo bem!“ – „Alles klar, alles klar!". Sie winkten uns zu sich herauf. Bevor wir zu ihnen hochgingen, wollte ihnen Emi noch aus der Ferne mitteilen, dass wir nur auf der Suche nach dem Restaurant waren. Sie brachte allerdings nur mehr „Restaurant?“ heraus. Als wir näher zu den zwei Männern kamen, teilten wir ihnen mit, dass wir zum Restaurant 'Estrella de Babilonia' wollten und sie erklärten uns ganz höflich auf Spanisch den Weg dorthin. Der Typ mit der Pistole hatte außerdem versucht, uns etwas die Angst zu nehmen und meinte: “No arma“ – also „keine Waffe“. Ganz glaubten wir ihm das aber nicht....
Kurze Zeit später saßen wir dann tatsächlich auf einem kleinen Balkon inmitten der Favela und studierten die Speisekarte. Bei der Ankunft dort bestellten wir sofort eine Runde Caipirinha und Bier, um unsere Nerven zu beruhigen. Bierliebhaber kommen selbst in der Favela in den Genuss von Craft Beer. Nachdem sich das Restaurant ganz oben und im letzten Eck der Favela befand, hatten wir auch einen fantastischen Ausblick auf die beleuchtete Stadt. Wir konnten während des wirklich ausgezeichneten Abendessens die ganze Zeit die Copacabana und die leuchtende Christus-Statue in der Ferne bewundern.
Nach dem Essen kam dann der Restaurantbesitzer – ein ausgewanderter Belgier – zu uns an den Tisch und fragte uns, wie wir denn auf das Restaurant aufmerksam geworden waren. Wir erzählten ihm, dass wir erst in Rio angekommen waren und uns meine Mutter dieses Restaurant empfohlen hatte. Er war begeistert, dass wir uns gleich am ersten Tag in die Favela wagten. Um nochmal zu untermauern, dass wir hier wirklich in einer Favela waren, erzählte er uns, dass, während wir nichtsahnend unser Abendessen vertilgt hatten, hinter uns ein Kerl mit Maschinengewehr vorbeispaziert war. Er meinte aber, das wäre überhaupt nichts, vor dem wir uns fürchten müssten, denn es gibt ein paar bewaffnete Leute in Babilonia, die zwar Mitglieder der größten Drogenbande sind, aber auch für die öffentliche Sicherheit der Favelabewohner zuständig sind. In jeder Favela gibt es etliche soziale Regeln - wie etwa keine Gewalt gegen Frauen und Kinder, keine Gewalt gegen Touristen und keine sexuellen Übergriffe, usw. - die sehr ernst genommen und von diesen bewaffneten Typen exekutiert werden. Als Touristen sind diese Männer also unsere Security und sie würden alles tun, damit uns nichts passiert. Wir sehen schließlich eindeutig wie Gringos und daher wie Touristen aus, meinte der Belgier. Seine Erläuterungen deckten sich mit der Erfahrung, die wir auf unserem Weg nach oben gemacht hatten und wir entspannten uns. Er führte weiter aus, dass die Faveleiros - wie die Favelabewohner sich nennen - sich selbst oben in der Favela viel sicherer als „unten“ an der Copacabana fühlen. Dort befänden sich die gefährlichen Plätze, da dort niemand auf einen aufpasst und man daher sehr leicht ausgeraubt werden kann.
Wir verließen das Lokal also mit einem weitaus angenehmeren Gefühl und machten uns leicht beschwipst in der Dunkelheit auf den Heimweg. An einer Kreuzung begegneten wir nochmal zwei Typen, einer davon mit Pistole in der Hand, die fröhlich zu Reaggeton-Musik tanzten. Emi grüßte ihn ganz freundlich mit "Hola!", er lächelte und sagte ebenfalls "Hola!" und wir gingen so selbstverständlich, wie es uns möglich war, an ihnen vorbei. Auf der Dachterrasse unseres Hostels genehmigten wir uns noch einen "Wir haben den ersten Tag in der Favela überlebt"-Drink und ließen den wirklich sehr spannenden Abend Revue passieren.
Nachdem wir nur drei Tage in Rio de Janeiro zur Verfügung hatten, konzentrierten wir uns also auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Am nächsten Morgen fuhren wir ins historische Stadtzentrum - dem Viertel 'Centro' - und nahmen an einer letzten Free Walking-Tour teil. Die Tourguidin Nicole erzählte uns viel über die Geschichte und die historische Entwicklung der Stadt. Beim Durchschlendern konnten wir zwischen den vielen Wolkenkratzern auch einige richtig schöne Gebäude bestaunen. Wir legten einen kurzen kulinarischen Halt bei einer der besten Konditoreien der Stadt ein und konnten uns ein wenig durch das Angebot kosten. Emi probierte die von Nicole angepriesene 'Brigadeiro' - eine unglaublich gallige Schokoladekugel.
Die Tour endete bei den berühmten 'Selarón-Stiegen' im Stadtteil Lapa. Dabei handelt es sich um den Stiegenaufgang zum Viertel 'Santa Teresa', den der chilenische Künstler Jorge Selarón mit Fliesen in den Farben Rot, Grün, Gelb und Blau auf eigene Kosten auslegte. Er machte die Gestaltung der Stufen zu seinem Lebensinhalt und bekam dafür viele Drohungen zu hören - nicht alle Menschen fanden seine Verschönerung gut. Im Jahr 2013 fand man seine Leiche auf den Stiegen und sein Tod ist bis heute ungeklärt.
Da die Stufen weltberühmt sind, waren entsprechend viele andere Touristen dort, sodass wir nur schnell die Austria-Kacheln suchten, ein paar Fotos schossen und uns sofort wieder aus dem Staub machten. Menschenmassen hatten wir dann am späten Nachmittag sowieso noch am Programm, wenn wir den 'Zuckerhut' besichtigten.
Eine gute Stunde vor Sonnenuntergang ließen wir uns mit einem Haufen anderer Touristen in der spektakulären Seilbahn auf den Gipfel bringen. Es war zwar etwas bewölkt und man sah die Sonne nur hinter einer Wolkendecke untergehen, aber der Ausblick war trotzdem grandios. Man hatte ein fantastisches Panorama über Rio de Janeiro und uns wurde zum ersten Mal die landschaftliche Einzigartigkeit dieser Stadt bewusst. Das Meer, die Berge, Lagunen, Wälder, Buchten, usw - alles zusammen eine wahrlich anziehende Mischung! Als die Dunkelheit über die Stadt hereinbrach und sich die Stadt zu einem Lichtermeer verwandelte, machten wir uns erschöpf aber absolut zufrieden auf den Rückweg in unsere Favela.
Am nächsten Tag zeigte sich das Wetter von seiner attraktivsten Seite: strahlender Sonnenschein und wolkenloser Himmel. Es war Samstag und daher der perfekte Zeitpunkt, um die berühmten Strandpromenaden von Ipanema und Copacabana zu besuchen. Wir ließen uns im Strandoutfit und nur mit den notwenigsten Strandutensilien nach Ipanema bringen und schlenderten dort die Strandpromenade entlang. Nachdem wir uns einen ersten Eindruck von der Gegend verschafft hatten, suchten wir uns am späten Vormittagein passendes Plätzchen am 'Praia Ipanema'.
Am Strand reihte sich ein „Kiosk“ – eine Art improvosierte Strandbude – an den nächsten. Bei diesen Buden konnte man sich Sonnenschirme und Liegestühle ausleihen und auch kühle Getränke ordern. Bei unserem Kiosk erwischten wir den Brasilianer Axel, der mit uns sofort in relativ gutem Deutsch zu plaudern begann und uns danach einen Sonnenschirm brachte und uns mit Caipirinha und Bier versorgte. Wir waren natürlich bei Weitem nicht die einzigen Sonnenanbeter am Strand: Die Sonnenschirme und Liegen drängten sich dicht an dicht, aber irgendwie war das Teil des Charmes. Dazwischen schlängelten sich etwa alle 10 Sekunden Strandverkäufer durch die Massen, um die verschiedensten Produkte - Bademode, Sonnenbrillen, Schmuck, Hüte, Eis, Würstel, Shrimpsspieße, etc. - an den Mann bzw. die Frau zu bringen.
Das Meer war angenehm kühl, aber die Strömungen und Wellen auch etwas stürmisch. Zum Schwimmen war es nicht wirklich geeignet, aber dafür vergnügten sich einige Surfer in den Wellen. Langeweile kommt hier am Strand aber nie auf, man hat permanent etwas zu beobachten. Es waren viele Sportler unterwegs: Radfahrer, Läufer, Inlineskater, Beachballspieler, Beachvolleyballer und natürlich Fußballer. Der Fußball darf in Brasilien selbstverständlich nicht fehlen! Mich faszinierte vor allem das 'Futevolei' – eine Mischung aus Beachvolleyball und Fußball. Als Freund des runden Leders konnte ich hier am Strand einige technische Schmankerl bewundern.
Nach einer kleinen Mittagspause wechselten wir von Ipanema auf die berühmte Copacabana. Wir spazierten in der brütenden Hitze fast bis zu ihrem Ende - das sind immerhin fast 4 km - und suchten uns dort wieder einen netten Platz am Sandstrand. Wir verließen die Copacabana rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit und marschierten zu Fuß zu unserem Hostel. Der Belgier hatte uns noch gesagt, dass es eine ganz schlechte Idee ist, sich am Abend am Strand aufzuhalten, da dann die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Raubüberfalls zu werden, sehr hoch ist.
Am Abend gönnten wir uns noch ein letztes Abendmahl in dem ausgezeichneten Restaurant 'Bar do David' in der anderen angrenzenden Favela. Wir hatten in ganz Brasilien nicht so gut und so teuer geschmaust wie die zwei Male in der Favela. Bei köstlichen Caipirinhas ließen wir den vorletzten Tag unserer Weltreise ausklingen und nahmen schon mal leise Abschied von Rio.
Unser letzter Tag begann zur Abwechslung etwas früher als die vorherigen. Gleich nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zum 'Cristo Redentor'. Per Zug ging es den berühmten Corcovado hinauf. Dort angekommen, drängten wir uns mit jeder Menge anderer Touristen die letzten Stufen zur Aussichtsplattform und der Christusstatue hoch. Wir versuchten immer wieder, ein freies Plätzchen zu finden, um die Aussicht auf Rio genießen zu können. Diese war noch um ein Stück beeindruckender als vom Zuckerhut. Das klassische "Ich strecke meine Arme so aus wie Christus"-Foto, wie es alle anderen Touristen zwanghaft versuchten, ersparten wir uns. Die Statue an sich hatte zwar durchaus etwas Beeindruckendes, aber uns interessierte hauptsächlich das Rundherum. Aufgrund der nervigen Menschenmassen und weil wir um 12 Uhr im Hostel auschecken mussten, hielten wir uns dann nicht mehr allzu lange dort auf, sondern machten uns bald wieder auf den Retourweg.
Den gesamten Nachmittag schlugen wir im Hostel mit den üblichen "Büroaktivitäten" tot, bis wir dann tatsächlich Abschied nehmen mussten. Ein letztes Mal machten wir uns auf den Weg zum Flughafen, nur um diesmal in einen Flieger Richtung Heimat zu steigen.
Fazit:
Rio de Janeiro war der perfekte Abschlussstopp auf unserer Reise. Obwohl es eine Großstadt ist, in der Arm und Reich sehr eng beieinander leben und man sich immer wieder einmal mit Sicherheitsthemen auseinandersetzen muss, hat uns Rio richtig positiv überrascht. Die beeindruckende Landschaft aus endlosen Stränden und grünen Hügeln, sowie der einzigartige Charme, den diese Stadt versprüht, machen Rio de Janeiro nicht umsonst zu einer der schönsten Städte der Welt.
Es war für uns außerdem eine wertvolle Lehrstunde darüber, wie wenig Medienberichte oft mit der Realität übereinstimmen. Obwohl es durchaus schwerwiegende Probleme in dieser Stadt gibt, bleibt man als "Tourist mit Hausverstand" davon weitgehend verschont. Man sollte sich niemals davon abhalten lassen, sich selbst ein Bild von einem Ort zu machen, denn man verpasst sonst all die vielen schönen und positiven Erlebnisse, worüber nicht berichtet wird!
Für uns geht unsere 6-monatige Weltreise zu Ende. Wir packen ein letztes Mal unsere Rucksäcke und kehren mit gemischten Gefühlen in die Heimat zurück.
Hasta pronto!
E&L
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