Salam ya Amman
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That's the sound of the police.

Veröffentlicht: 09.10.2019

Montag + Dienstag, 07. + 08. Oktober

8:30 am. Als Lea sich heute morgen Kiwis aufschneiden möchte, Ernüchterung: ausschließlich alle Kiwis in der Schachtel sind vergammelt. Man kann sie buchstäblich ausquetschen wie einen nassen Schwamm. Wir haben gestern in unserer Freude über unseren Erfolg beim Handeln ganz vergessen, auf die Qualität der Kiwis zu achten. Dieser verschwendete Dinar wird uns hoffentlich eine Lehre sein.

Nach einem schnellen Frühstück mache ich mich dann auf den Weg zu Sophia. Wir haben heute bei ihr unsere erste Arabisch-Privatstunde mit Rose. Ich habe den Weg von uns nach Weibdeh ein wenig unterschätzt, und komme nach 40 Minuten völlig nassgeschwitzt und 10 Minuten zu spät bei Sophia an. Rose erklärt uns, dass sie während der Stunde fast nur arabisch sprechen wird und fängt dann an, uns Fragen zu stellen. Ich bin heute leider nicht in bester Verfassung und habe Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Unangenehm oft muss ich nachfragen und mit Kopfschütteln zu verstehen geben, dass ich gerade nicht verstehe, worum es geht. Rose ist jedoch sehr geduldig, und auch Sophia hilft mir immer wieder auf die Sprünge, sodass ich mich gegen Ende der Stunde ein wenig fange, und noch etwas mitnehmen kann. Wir konjugieren Verben in verschiedenen Formen und üben die Anwendung in ganzen Sätzen. Zum Schluss nimmt Rose dann noch alles auf, was wir heute durchgenommen haben, sodass wir auch die korrekte Aussprache lernen. In der nächsten Stunde bin ich dann hoffentlich wieder voll aufnahmefähig.

Unsere Stunde ging ein wenig länger, als geplant, und ich muss mich jetzt beeilen, zurück in unser Viertel nach Jabal Amman zu kommen. Das Visum von Rebecca und mir läuft heute aus, und wir müssen zur Polizeistation gehen, um es zu verlängern. Der Rest unserer Gruppe hat das am Wochenende schon problemlos erledigt, und wir hoffen, dass es auch bei uns jetzt reibungslos klappt. Rebecca ist schon da, als ich abgehetzt eine halbe Stunde vor Dienstschluss die Polizeistation erreiche, und hat schon am Pförtnerhäuschen ihr Handy und ihre Zigaretten abgegeben. Das ist hier Vorschrift. Was keine Vorschrift ist, ist, dass sich die Polizeibeamten heimlich und ungefragt an den Zigaretten bedienen. Rebecca hat den starken und begründeten Verdacht, dass ihr das gerade passiert ist. Mit nicht allzu bester Laune betreten wir also das Büro, in das wir von der Anmeldung geschickt werden und bringen unser Anliegen an: Visaverlängerung. Wo wir wohnen, möchte der Beamte wissen. Als wir ihm sagen, dass unser Apartment in Jabal Amman ist, in der Nähe des second circle, gibt er uns in gebrochenem Englisch zu verstehen, dass wir hier falsch seien. Eine andere Polizeistation sei für unseren Bezirk zuständig. Wir versuchen ihm zu erklären, dass die anderen aus unserer deutschen Gruppe, die ganz in der Nähe von uns wohnen, auch genau hier ihr Visum verlängert haben, aber er bleibt standhaft. Sie seien hier nicht für uns zuständig. Wir sollen morgen zu der anderen Station gehen.

Uns bleibt nichts anderes übrig, als wieder zu gehen. Mit nicht besserer Laune, dafür aber mit zwei Zigaretten weniger, verlassen wir die Polizeistation. Verwundert bin ich ehrlich gesagt aber nicht. Eher erstaunt, dass bei den anderen am Wochenende alles so schnell und unkompliziert geklappt hat. Mich erinnert das hier nämlich gerade an all die Visa-Probleme, die wir während unserer Südafrika-Reise hatten. Und wenn dem so ist, sollten wir uns noch ein wenig in Geduld üben.

9:30 am. Frisch geduscht und ohne Frühstück machen Rebecca und ich uns am nächsten Morgen auf den Weg zur Polizeistation in der Nähe des second circle. Wir wollen heute alles so schnell wie möglich erledigen. Besonders, da unser Visum heute im Prinzip schon ausgelaufen ist. Die Polizeibeamtin, die an der Anmeldung sitzt und unsere Handys entgegennimmt, sieht zumindest schon einmal vertrauenswürdiger aus als die beiden Beamten gestern. Auch das Gebäude an sich sieht neuer und sauberer aus, und macht einen besseren Eindruck als die eher runtergekommenen Räume der gestrigen Polizeistation. Ein Beamter, der uns im oberen Stockwerk herumirren sieht, nimmt uns mit in sein Büro und verweist uns an einen netten Kollegen. Wir fühlen uns fast schon heimelig auf den Sesseln, auf die wir gebeten werden, als uns der Polizeibeamte dann fragt, ob wir einen Jordan Pass haben. Alle, die mit in der Summer School waren, haben einen Jordan Pass. Er kostet 70 JD, beinhaltet die 40 JD Visakosten, und ermöglicht den Eintritt zu diversen touristischen Sehenswürdigkeiten.

Der Polizeibeamte sagt uns jetzt, was er von uns haben möchte: 40 JD von jedem von uns, außerdem eine Pass-Kopie unserer Vermieterin, sowie unseren Mietvertrag. Rebecca und ich sehen uns an. Wir wissen von anderen Studierenden, dass Polizeibeamte bei der Visaverlängerung öfter mal ihr Glück versuchen, und noch einmal Geld verlangen, was eigentlich nicht rechtmäßig ist: die Visagebühr ist mit unserem Jordan Pass schon abgedeckt. Wir wissen jedoch, dass diskutieren hier anstrengend werden könnte, und haben außerdem weder eine Pass-Kopie von Jud (unserer Vermieterin), noch einen Mietvertrag. Rebecca und ich nutzen jetzt aus, dass wir uns hier ganz offen in deutsch austauschen können und beschließen, doch noch einmal zu der Polizeistation von gestern zu gehen. Vielleicht arbeiten dort heute andere Beamte. Und falls nicht, sind sie heute vielleicht gnädiger zu uns. Falls wir dort unser Visum wie die anderen aus unserer Gruppe kostenlos bekommen würden, würde sich der Extra-Aufwand auf jeden Fall lohnen. Wir informieren trotzdem schon einmal Jud, die sich sehr verständnisvoll zeigt, Rebecca schon einmal per Whatsapp ein Bild von ihrem Pass schickt, und uns notfalls auch noch einen Vertrag aufsetzen würde. Dann machen wir uns auf den Weg zur Polizeistation von gestern. „Kannst du auf Kommando heulen?“, fragt Rebecca, als wir uns die gefühlt 1.000 Treppenstufen hinunter zur Al-Muhajireen-Polizeistation machen. Das könnte eventuell hilfreich sein. Kann ich aber leider nicht.

Wir finden im Pförtnerhaus die gleichen Beamten von gestern. Herzlichen Glückwunsch. Rebecca hat heute ihre Zigaretten abgezählt, bevor sie ihr Päckchen abgibt. Als wir dann das Visa-Office betreten, ist das Gesicht des Polizeibeamten nicht das einzige bekannte Gesicht, das wir sehen: auf dem Boden um den kleinen Tisch in der Mitte des Büros sitzen die drei Mädels aus Darmstadt, die bei uns im Kurs sind. Sie sind gerade dabei, die Dokumente für ihre Visaverlängerung auszufüllen. Es fühlt sich gut an, nicht ganz alleine hier zu sein, und auch der Polizeibeamte, der uns gestern noch weggeschickt hat, wirkt heute freundlicher. Mehr noch: er scheint uns gar nicht mehr zu erkennen. 

Wir lassen heute unseren Wohnort also zunächst unerwähnt. Er stellt uns auch die Frage nach dem Jordan Pass, die wir bestätigen, woraufhin auch er nun 40 JD von uns verlangt. Rebecca und ich schauen uns wieder einmal an. Wie kann es sein, dass alle von uns Geld verlangen, während die anderen unserer Gruppe diskussions- und kostenlos durchgekommen sind. Wir beschließen, uns zunächst den restlichen Prozess erklären zu lassen: zuerst Dokumente ausfüllen, dann Fingerabdrücke abgeben, dann brauchen wir noch Kopien von unseren Pässen sowie eine Passkopie unserer Vermieterin. Wir wissen, dass Sophia & Co. nichts davon erbringen mussten, aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Nachdem wir Schritt 1 erledigt haben, geht es nun also zum nächsten Büro für die Fingerabdrücke.

Die Darmstadt-Mädels sind schon vor uns, und wir beobachten, wie die 4 anwesenden Polizeibeamten sichtlich Spaß dabei haben, die Fingerkuppen der Mädels über eine schwarze Paste zu ziehen, und damit dann dafür vorgesehene Formulare zu beschmieren. Das ist nicht nur eine sehr schmutzige, sondern auch chaotische Angelegenheit, da niemand so wirklich zu wissen scheint, wo am Ende noch Unterschriften hingehören, und in welche Schubladen die Dokumente dann verschwinden sollen. Als ich an der Reihe bin, habe ich außerdem das Gefühl, dass der Beamte meine Hand deutlich länger festhält, als notwendig, und ich bin froh, als wir mit rabenschwarzen Fingerkuppen das Büro wieder verlassen können.

Wir müssen nun das Polizeigelände noch einmal verlassen, um in dem benachbarten Mini-Supermarkt Passkopien von uns und von Jud zu erstellen, und finden uns eine Viertelstunde später wieder in dem gewohnten Polizeibüro, in dem die Aktenregale an der Wand unter der Last unzähliger pinker und hellblauer Aktentaschen zu zerbrechen drohen. Die Darmstadt-Mädels sind wieder vor uns, und haben es nun geschafft: ohne etwas zu bezahlen bekommen sie ihre Pässe samt Visa ausgehändigt. Wir ahnen schon, dass der Knackpunkt der Jordan Pass ist, den sie im Gegensatz zu uns nicht haben. Als der Beamte dann anfängt, unsere Pässe zu bearbeiten, ruft er Rebecca auf und verlangt 40 JD von ihr. Wir versuchen nun wieder, ihm zu erklären, dass wir die Gebühr mit unserem Jordan Pass schon gezahlt haben. Er bleibt stur. Ich zeige ihm, dass selbiges sogar auf unserem Jordan Pass steht. Eben auf englisch, was er nicht so gut zu verstehen scheint. „You have to pay!“. „No, we don’t have to!“ Unsere Diskussion fängt an, sich im Kreis zu drehen. „Okay!“, sagt er schließlich und händigt uns unsere Pässe wieder aus. „Then you don’t get the visa!“

Rebecca und ich sind ratlos. Wir brauchen das Visum. Wir sind sogar schon einen Tag zu spät, wofür eigentlich eine Strafgebühr fällig wäre. Doppelt zahlen wollen wir aber auch nicht. Wir beschließen, Jud um Hilfe zu fragen und Rebecca schafft es, ihr Handy hineinzubringen. Unser Beamter beschäftigt sich mittlerweile mit anderen Fällen und übt sich darin, uns zu ignorieren. Rebecca wartet also einen passenden Moment ab, und streckt ihm dann ihr Handy hin, mit Jud in der Leitung. Wir lauschen dem Gespräch auf arabisch, bis wir dann kurz darauf von ihr zu hören bekommen, dass auch sie nichts ausrichten kann. 

Unsere letzte Hoffnung ist jetzt noch Rakan, unser Ansprechpartner der GJU, von dem wir schon diverse Infos bzgl. Visa bekommen haben. Gleiches Spiel wie mit Jud: der Beamte spricht eine kurze Zeit mit ihm, bis Rakan uns dann wiederum mitteilt, dass er nichts machen kann. Und wir geben uns geschlagen. Bis auf Tränenvergießen haben wir wirklich alles getan, und das können wir beide nicht. Mittlerweile ist es kurz vor 1, wir haben immer noch nichts gefrühstückt, und wollen einfach nur unser Visum haben, um unseren Aufenthalt hier zu sichern. Was auch immer hier gerade Recht oder Unrecht sein mag: wir sind auf das angewiesen, was der Polizeibeamte uns sagt. Ich bekomme eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen muss, der Willkür von Machtstrukturen ausgesetzt zu sein. Wie hilflos man ist, wenn eine Person in Uniform die Macht hat, über die Zukunft zu entscheiden. Und in unserem Fall geht es nur um 40 Dinar.

Es ist 13:15 Uhr, als wir die Polizeistation verlassen. Mit leichteren Geldbeuteln und einer leichteren Zigarettenschachtel. Nachdem wieder zwei Stück gefehlt haben, hat Rebecca den beiden Beamten am Ende noch eine Zigarette on top geschenkt. Undankbarkeit kann man ihr auf jeden Fall nicht vorwerfen. Immerhin - Ziel mit Priorität Nummer 1 haben wir erreicht: einen legalen Aufenthalt in Jordanien für die nächsten zwei Monate. Was uns bei der nächsten Visa-Verlängerung erwartet, die angeblich kniffliger sein soll, als die erste, wollen wir uns lieber noch nicht ausmalen.

... wir haben unsere Arabisch-Stunde heute leider verpasst, da wir zu spät von der Visa-Geschichte zurückkamen. In sha Allah gibt es morgen aber wieder neue Vokabeln.

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