Salam ya Amman
Salam ya Amman
vakantio.de/salam-ya-amman

Aushalten.

Veröffentlicht: 13.10.2019

Samstag, 12. Oktober

9 am. Als ich heute morgen aufstehe, geht es meinem Fuß wieder ein bisschen besser. Der dicke Knöchel sieht zwar immer noch aus wie ein Mutantenfuß, aber ich kann wieder relativ normal auftreten. Ich schaue mir zu flüchtigem Frühstück noch einmal meine Arabisch-Unterlagen an (als könnte ich mir jetzt so kurz vor meinem Unterricht noch irgendetwas wichtiges aneignen), und mache mich dann auf den Weg zur Uni.

Aller guten Dinge sind drei: der Bookshop hat geöffnet und ich kann mir das Skript für den Unterricht besorgen, das der Verkäufer erst noch kopieren muss. Ich treffe vier andere Teilnehmerinnen aus meinem Kurs, deren Namen ich leider nicht mehr kenne, aber sie scheinen ohnehin an einer Konversation nicht wirklich interessiert. Ich mache mich also schon vor ihnen auf den Weg zum Kursraum, in dem unser Lehrer schon vorne sitzt und mit der Teilnehmerliste auf den Rest seiner Kursteilnehmer*innen wartet.

„Iva?“ fragt er mich, während er in meine Richtung schaut. Ich nicke, woraufhin er mir eine weitere Frage stellt, die ich nicht verstehe. Imad, der Hamburger, der wieder vor mir sitzt, übersetzt für mich. Wie mein Vater heißt, möchte er wissen. Ich halte das für eine etwas willkürliche Frage, aber habe ja mittlerweile gelernt, dass man Lehrkräfte hier besser nicht hinterfragt. Ich antworte also artig, woraufhin Herr Ahriz fragt, wie mein Großvater heißt. Er macht sich Notizen, während ich ihm antworte, und ich würde wirklich gerne wissen, ob er sich die Namen „Joachim“ und „Heinz“ jetzt in arabischer Schrift neben meinem Namen notiert hat. Vielleicht sind solche Fragen aber auch nur seine Art, smalltalk zu halten. Wie auch immer: der Rest der Gruppe trifft ein, es geht los.

Herr Ahriz teilt uns nun allen ein Blatt aus, auf dem eine Geschichte auf arabisch steht. Dem Bild nach, das über der Geschichte abgedruckt ist, ist es eine Art Fabel. Ich verstehe, dass es um einen Löwen und einen Fuchs geht, und kann ein paar der Wörter entziffern, die ich lese, aber es reicht nicht, um den Gesamtzusammenhang zu verstehen. Es kommt jetzt wieder einmal einer der unangenehmen Momente: Herr Ahriz steht vor mir und fragt mich auf arabisch, ob ich lesen kann, was ich wieder erst verstehe, als Imad für mich übersetzt. Ich merke, wie sehr ich es nicht gewöhnt bin, in einer Gruppe diejenige zu sein, die mit weitem Abstand hinterherhinkt, und es ist absolut kein gutes Gefühl. Unsicher fange ich an, laut vorzulesen, und werde nach einem halben Satz schon wieder unterbrochen. „Ok“, sagt Herr Ahriz nur. Auch wenn ich nicht einschätzen kann, ob er zufrieden ist, oder mich direkt als hoffnungslosen Fall abgestempelt hat, bin ich froh, nicht noch mehr sagen zu müssen.

Die Gruppe fängt nun an, über grammatikalische Feinheiten zu reden, was ich den Anschriften an der Tafel entnehme, deren Sinn ich jedoch nicht verstehe. Ich gebe mir also gar nicht erst die Mühe, irgendetwas mitzuschreiben, und versuche stattdessen, von dem was gesagt wird so viele Wörter wie möglich aufzuschnappen. „Viel“ ist jedoch ehrlicherweise zu viel gesagt. Nach einer ausgiebigen Diskussion kommt dann auch schon die erste Pause. Ich bin froh, aus dem viel zu unterkühlten klimatisierten Raum raus in die Sonne zu kommen. Die anderen Kursteilnehmer*innen laufen wortlos an mir vorbei in die Pause. Man merkt, dass niemand hier soziale Arbeit studiert, denke ich mir und gebe das an Ammar weiter. Ich merke erst, dass ich entgegen meiner Prinzipien gerade selbst angefangen habe, zu verallgemeinern, als er mir das lachend mitteilt. Ich ermahne mich also selbst, nicht gehässig zu werden: es ist definitiv mein Problem, mich als blutige Anfängerin in einen Kurs voller Muttersprachler*innen zu setzen. Jammern ist also nicht. Ich zweifele zwar immer noch daran, ob es überhaupt irgendeinen Sinn ergibt, mich in diesen Kurs zu setzen, aber will auf keinen Fall aufgeben. Ich lasse mir von Ammar also schnell sagen, worum es in der Geschichte mit dem Löwen gibt, dann gehe ich zurück in die Klasse.

Nach der Pause ist der Text allerdings schon veraltet: wir widmen uns dem Skript, das ich mir eben vor der Stunde noch habe ausdrucken lassen. Dort steht ausschließlich alles auf arabisch, und ich versuche erst gar nicht, die Aufgabe zu verstehen, die wir jetzt machen sollen. Es geht darum, Sätze zu bilden, die meine Klassenkamerad*innen dann reihum vorlesen. Physisch sitze ich zwar mitten unter ihnen, im Prinzip bin ich aber nicht da. Tatsächlich ist es mir gerade aber lieber, wie Luft behandelt zu werden, als wieder in eine unangenehme Situation zu kommen, in der ich die einfachsten Sätze, die Herr Ahriz zu mir sagt, nicht verstehe. Ich übe mich also im Aushalten, bis ich merke, dass die Stunde vorbei ist, als alle anderen aufstehen und gehen.

Ich sehe, dass Imad und Ibrahim noch da sind, und bleibe auch noch sitzen. Herr Ahriz hatte uns ja letzte Woche angeboten, uns nach unserem Unterricht noch Nachhilfe zu geben. Die drei reden etwas auf arabisch, dann dreht Ibrahim sich zu mir um: „Eva, do you want to join us learning?“ Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich diese Frage deuten soll, war es doch letzte Woche schon ausgemacht, dass ich an der Nachhilfe teilnehme. Ich nicke dennoch. Auf die Gefahr hin, dass ich eigentlich gar nicht erwünscht bin. So einfach werde ich jedoch wirklich nicht aufgeben. Die anderen teilen mir mit, dass sie noch beten, und wir uns dann auf der Terrasse treffen.

Ich bin froh, dass wir nicht noch mehr Zeit in dem Eiskammer-Kursraum verbringen müssen, und lasse mir draußen die Sonne ins Gesicht scheinen, bis sich dann Herr Ahriz, Ibrahim und Imad zu mir setzen. Herr Ahriz winkt mit dem Text, den er uns am Anfang der Stunde ausgeteilt hat. „Qisa“, sagt er, was „Geschichte“ auf arabisch heißt. Ich habe es zwar verstanden, aber Ibrahim übersetzt es trotzdem für mich. Wort für Wort gehen wir so nun den ersten Teil des Textes durch, mit Ibrahim als Simultan-Übersetzer. Herr Ahriz geht immer sicher, dass ich die Bedeutung auch wirklich verstehe, und lässt Imad und mich im Wechsel vorlesen. Ich brauche für alles mindestens fünf mal so lange und stocke immer wieder. Die Buchstaben sitzen einfach noch nicht lese-flüssig. Mir tut es wirklich leid für die anderen beiden, die mein Gestammel ertragen müssen, aber Herr Ahriz lässt mich geduldig wieder und wieder lesen. „And again... And again.“

Nach einer Stunde erlöst er uns dann. „Khalas!“, sagt er. „Fertig“. Er will nun noch einmal wissen, warum ich hier in Jordanien bin und arabisch lernen möchte, was die anderen beiden für mich übersetzen. Er freut sich über meine Antwort und sagt dann, dass er mir helfen möchte mit meinem Arabisch. Dass ich gut lese, und mich viel verbessern werde, wenn wir nun regelmäßig jede Woche diese Privatstunde zusammen machen. Ich weiß, dass das definitiv übertrieben ist, aber es tut gut, nach vier Stunden arabisch overload jetzt etwas Nettes zu hören. 

Mit rauchendem Kopf komme ich dann zurück nach Hause, wo Rebecca und Lea sich schon fertig machen, um in die Stadt zu gehen. Sie wollen Ibrahim treffen, den sie gestern beim Feiern kennengelernt haben, und der in einem Souvenir-Shop in Downtown arbeitet. Ich bin für jede Abwechslung froh und schließe mich den beiden an.

Ibrahim ist ein super netter und lustiger Mensch und zeigt uns den Shop, der direkt neben unserem Lieblings-Sandwich-Laden mitten in der Downtown ist. Falls wir irgendetwas brauchen, können wir immer zu ihm kommen, sagt er. Lea braucht zwar nichts, bekommt aber trotzdem etwas: sie will eigentlich nur wissen, wie Ibrahims Freund, der Ladenbesitzer, die Gläser mit buntem Sand herstellt, die es hier an jeder Ecke zu kaufen gibt, und bekommt prompt ein Sand-Glas mit der Inschrift „Lea“ erstellt. Auch wenn sie sich beeilt hat zu sagen, dass sie keines haben möchte. Es ist zwar faszinierend, wie man mit dem bunten Sand detailgetreu ein Kamel darstellen kann, aber als Deko würde ich mir so ein Glas nicht unbedingt in meine Wohnung stellen wollen. Lea eigentlich auch nicht. Zu spät.

Wir schlendern danach noch eine Runde über unseren geliebten Markt, treffen mal wieder Omar, den Mitarbeiter aus unserem Jordan Tower Hotel in Downtown (ja, es ist hier wirklich wie in einer Dorfkneipe), und setzen uns danach noch eine Weile ins Cultural Center, um arabisch zu lernen. Für diese Sprache kann man wirklich gar nicht genug Zeit investieren.


Aus meiner Arabisch-Nachhilfe:

lesen- قرا

Absatz- فقرة

Idee- فكرة

Titel- عنوان

Bedeutung- معنى

Antworten