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Tag 74: Bestohlen und entführt

Veröffentlicht: 16.09.2016

11.09.2016


Heute fahren wir wieder in unser geschätztes Christchurch, dem Ausgangspunkt unserer Neuseeland – Tour. Eigentlich hatten wir ja vor, die Stadt auf unserem Weg nach Norden links (topographisch gesehen eigentlich recht) liegen zu lassen, doch blinkt neuerdings ein gelbes Lämpchen auf dem Armaturenbrett des rollenden Schlafzimmers, weshalb wir uns entschließen, doch einen Check beim Vermieterbüro in der Stadt der christlichen Kirche zu machen. Ich sehe ein gelbes Lämpchen ja bestenfalls als Empfehlung oder Vorschlag, etwas zu unternehmen, Gudi betrachtet das Signal hingegen als dringliche Notwendigkeit.

Während das Auto gecheckt wird versuchen wir, leider vergeblich, eine der zahlreichen Missgeschicke der Vermieterfirma zu reklamieren. Als einzige, kokette Antwort kommt allerdings, dass wir, im Falle von Mängeln anrufen hätten müssen. Als wenn ein jeder Tourist ein neuseeländisches Telefon hätte. Ein Anruf über unser Handynetz, um eine halbvolle Gasflasche zu erwähnen, wäre wohl um einiges teurer, als eine solche einfach nachzukaufen. Ein schwachsinniges Kundenservice. Während unser Auto also bei Onkel Doktor untersucht wird haben wir etwas Zeit und versuchen, einige bürokratische Dinge zu klären. An sich ist dies nichts Ungewöhnliches und wir versuchen während der gesamten Reise, über Ausgaben und Finanzen Buch zu führen. Heute aber trifft mich beim Betrachten meiner Kreditkartenabrechnung fast der Schlag. So habe ich offensichtlich bei mehreren Gelegenheiten in London Geld liegen lassen. Dubioser Weise kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, die südliche Hemisphäre im September verlassen zu haben. Da Computer aber nicht Lügen bin ich schnell sicher: eine überaus ausgedehnte Episode des Schlafwandelns muss mich nach London geführt haben. Da aber auch Gudi nichts von meiner Abwesenheit bemerkt hat muss ich diese Theorie recht bald schon wieder verwerfen und telefoniere zur Sicherheit doch mit der Servicehotline des Geldinstituts. Diese informiert mich, dass ich einem Kreditkartenbetrug auf den Leim gegangen bin. Ich!! Bestohlen, meines eigenen, sauer Ersparten beraubt, überfallen und sozusagen dem Raubmord ins Auge gesehen. Ich kann es kaum fassen. Die Dame am anderen Ende der Leitung ist sichtlich amüsiert, ob mein Verhalten nicht ganz der ihren Vorstellung eines Kreditkartenopfers entspricht und erklärt mir, dass die Karte sowieso schon vor zehn Tagen automatisch gesperrt worden wäre und ich mein Geld zurückbeantragen könne. Nun bin ich zwar einerseits beruhigt, frage mich aber andererseits: Wieso hat mir verdammt nochmal niemand Bescheid gegeben, dass meine Karte gesperrt ist und weiter: Wenn ich mein Geld zurückbeantragen kann, wieso mache ich das dann nicht bei jeder Abrechnung so? Offensichtlich ist die Firma Mastercard ein riesiger Wohltätigkeitsverein. Sofort will ich auf die nächsthöhere Autoklasse upgraden und dies dem caritativen Verein verrechnen bemerke aber, was mir die Deutsche schon vorhin zu erklären versuchte, nämlich dass mit dieser Karte und Nummer genau gar nichts mehr zu zahlen wäre. Dies empfinde ich als unglaublich frustrierend, da ich wirklich ausnehmend viel Zeit damit verbracht habe, die Nummern und Codes auswendig zu lernen und darauf auch so stolz war, dass ich dies fast jedem detailliert erzählte. Vielleicht liegt ja da der Hund begraben. So schnell werde ich dies aber nicht herausfinden, da ich weder Zeit noch Schaufel habe.

Nachdem blinkende Empfehlungen und undichte Konten behoben sind, fahren wir weiter nach Kaikoura. Dort parken wir uns direkt am Meer ein und spazieren einen kleinen, zuckersüßen Weg in Richtung des berühmten „Sealbays“. Am Weg dorthin stolpere ich schon fast über einen der fetten Zeitgenossen, der offensichtlich Meer und Land verwechselt hat und sich mit beneidenswerter Innbrunst mitten in der Sonne am Gehweg entspannt. Nachdem wir den Fleischberg umkreist haben finden wir uns bald inmitten von Kameras, Touristen und wirklich aufregend vielen Seehunden wieder, die direkt am Strand relaxen. Ich kann nicht anders und lege mich zu zwei der ausgestreckten Zeitgenossen um zu sehen, ob ich in die Weisheiten des perfekten Nichtstuns eingewiesen werden kann. Während ich es mir gerade gemütlich mache, spüre ich wie sich hinter mir Tonnen von Fleisch erheben und die Zähne eines Ungetüms in meinem Fleisch zu verschwinden drohen. Urplötzlich riecht die Luft wie Samstags am Meidlinger Markt und ich erkenne instinktiv, dass dieser fischige Geruch nur einen Angriff der Seehunde bedeuten kann. In letzter Sekunde schaffe ich es, mich in James Bond Manie am Boden entlang zu wälzen, um den messerscharfen Kampfwerkzeugen der Tötungsmaschine zu entkommen. Endlich in Sicherheit stelle ich fest, dass die gesamte Touristenschaar, allen voran meine Freundin, in schallendes Gelächter ausgebrochen ist. Offensichtlich sah meine Nahtoderfahrung für mein Umfeld komisch aus. Gudi berichtet mir später, dass ich wohl zwei Meter von dem Fettkloß entfernt war, als er sich kurz aus dem Schlaf erhob, lediglich schnaufte und sich wieder hinlegte. Ich hingegen bin immer noch der Überzeugung, dass ich einer Entführung durch die beängstigende Kreatur nur knapp entgehen konnte und mich mit mehr als einem Bein schon in den Untiefen der See befunden habe.

Am Abend feiern wir bei herrlich rotem Sonnenuntergang und begeistert von den schneebedeckten Bergen, welche sich in manchen, ebbebedingten Pfützen des Meers wiederspiegeln, dass ich heute sowohl einen Raubmord als auch der Entführung durch einen walgroßen Seehund entgehen konnte.


Gudis glorreiche Gesetze:


Bitte Matthias, deine Übertreibungen werden so unglaubwürdig, dass dich bald niemand mehr ernst nehmen wird.


Ha, von wegen. Dies kann mir nicht wiederfahren, da ich sehr sicher bin, dass mich schon jetzt niemand mehr beim Wort nimmt. Dass ich manches etwas realitätsfern erlebe und nebenbei auch noch bei der Wiedergabe desselben ein bisschen „storypushing“ betreibe, wissen wir ja sowieso alle.

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