Veröffentlicht: 14.07.2016
10.07.2016
Gar nicht schlecht, dass uns der Wettergott gestern so früh ins Bett geschickt hat. Mal wieder eher zeitig, diesmal um 4h früh, läutet der Wecker. Allerdings der des Nachbarzimmers. Auch egal, wir wollten um 4:30 aufstehen und sind insgeheim froh, dass wir tatsächlich wach sind und nicht wieder einmal sämtliche Handywecker verschlafen haben und daher uns verschlafen lassen. Die ganze Nacht haben wir eigentlich alle nicht sehr besonders geruht, sind aufgewacht und haben regelmäßig gecheckt ob es noch immer auf das Dach unserer herzigen Unterkunft prasselt. Fühlte sich etwas an wie im Bombenhagel – so wie ich es mir jedenfalls vorstelle um politisch korrekt zu bleiben.
Warum wir zu solch einer unchristlichen Uhrzeit aufstehen? Weil christlich in Nepal leider nur sehr wenig zählt. Und weil wir den Sonnenaufgang vom Poon Hill(3210) erleben wollen. Dieser ist nur noch 400 Höhenmeter vom Quartier entfernt und wir ergötzen uns nach einem ersten Blick auf die großen Gipfel dieser Welt. Als wir dann tatsächlich aufstehen singt die Vorfreude leider drastisch Richtung Tiefpunkt, da es noch immer regnet. Keiner von uns ist wirklich motiviert im Regen auf einen Berg zu gehen, nur um zu erkennen, dass es nichts zu erkennen– bzw. zu erblicken gibt. Trotzdem treten wir unseren Aufstieg in aller Früh an. An dieser Stelle sei Supermotivationscoach Gudi erwähnt. Außerdem liegt das In – Angriff nehmen des Projekts einerseits am Ehrgeiz, den Gipfel nun doch sehen zu wollen, andererseits an einem Poon – Hill Aufnäher von Hetti, den sie sich schon gekauft hat und so fast zum Gipfelsieg gezwungen ist.
Müde und voller Milchsäure in unseren trägen Beinen treten wir die letzte Bergetappe an. Die Mädels spüren schon recht bald, dass die Luft auf 3000m auch um 5h früh nicht sehr sauerstoffreich ist und klingen, als wären sie gerade einem örtlichen Bären erfolgreich davongelaufen. Mir geht es da besser, was gewisse Ambitionen eines prestigeträchtigeren Bergerlebnisses durchaus nährt.
Ungefähr nach der Hälfte geschieht, was ich mit den Wettergöttern schon insgeheim zu verhandeln versucht hatte – es reißt ein wenig auf, der Regen lässt nach und stellt sich bald gänzlich ein.
Und das genau zum richtigen Zeitpunkt. Überwältigt beobachten wir die Sonne, die sich zaghaft zwischen den majestätischen, schneebedeckten Bergmassiven hervor kämpft. Was für ein Anblick, ich bin total hin und weg. Das motiviert zum Weitergehen, und wie.
Fast im Flug vergeht die restliche Aufstiegszeit. Oben angekommen sind wir alle nicht nur stolz, auch ergriffen. Ich bemerke für mich selbst, dass es schon bewundernswert ist, was Planet Erde alles zu bieten hat. Am Gipfel wird die Sicht außerdem immer besser, sodass wir ernsthaft behaupten können, fast alle Berge der Region nebeneinander betrachten zu können. Dabei sind auch Giganten wie der Achttausender Annapurna. Leider wacht beim Anblick der überwältigenden Kulisse nicht nur mein Geist, sondern auch mein Darm auf und ich muss, bevor ich mich mit den Bergen beschäftige, erst einmal auf die Toilette. Wundersamer Weise finde ich eine solche direkt am Berggipfel – gäbe es wohl in Österreich auch nicht.
Nach einer halbstündigen Pause sind wir um einige Eindrücke reicher und wissen auch, dass selbst Hills[1] ganz schön sauerstoffarm sein können. Trotzdem empfinde ich es als eine Gemeinheit, unsere – und im speziellen die Leistung der Mädels - durch die Bezeichnung Hill zu schmälern. Das Kitzsteinhorn bezeichnet man als Gletscher, wenn man aber einen gleichhohen Berg in Nepal erklimmt wird man nur mit der Formulierung Hügelsieg abgespeist.
Nichtsdestotrotz sind wir alle sehr froh, dass wir uns den Aufstieg im Regen und zu dieser Uhrzeit angetan haben. Statt wieder ins Bett zu gehen, frühstücken wir mit Blick auf ein herrliches Bergpanorama. Ein kurzer Check des Status quo zeigt uns, dass der Höhenunterschied, den wir für die heutige Etappe aus der Karte herauslesen konnten, (von Lager zu Lager) zwar nur 400 Höhenmeter beträgt, die Tour aber trotzdem 7 Stunden dauern wird. Ehrlich gesagt schlägt uns das alle etwas nieder, da wir schlagartig verstehen, dass der weitere Tag sich auf unsere Gemüter schlagen wird.
Während Gudi und ich es schaffen, uns irgendwie erneut zu motivieren, scheitert Hetti leider kläglich an dieser Aufgabe. Sie hätte wohl ein Bett und eine spätere, kürzere Route für diesen Tag vorgezogen. Da wir Angst haben, in den Regen zu kommen, starten wir trotzdem schon kurz vor 8. Ironischerweise denken wir, nun den Weg nach unten anzutreten, haben aber die Ehre, noch alle möglichen anderen (genauso hohen) „Hügel“ zu erklimmen. Daraus ergibt sich auch die lange Zeit, welche unser Guide prophezeit.
Ein Teil der Gruppe betrachtet beim Aufstieg primär die, in der Morgensonne erleuchtenden Berge, ein anderer Teil betrachtet eher sich selbst – und zwar als ärmstes Schwein im Stall. Hetti hat leider diesen ganzen Tag Motivationsprobleme, wobei sich auch Schmerzen in Leiste und Bein sowie sehr hartnäckige Stiche im Knie dazuschlagen – Arme Hetti.
Diese Tatsache und auch, dass es wie verrückt zu regnen beginnt (Hauptsache extra früh weggegangen) hindern uns, die von vorn herein lange Marschzeit einzuhalten. Gudi offenbart sich bei Regen leider einmal mehr als Huftier, das zwar überall hinaufkommt, dem der Abstieg aber eher schwer fällt – zu ihrer Verteidigung sei aber auch gesagt, dass es sehr rutschig wird und wir über unendlich lange Steinstiegen gehen müssen.
Nach insgesamt 12 Stunden Wandern kommen wir am Nachmittag endlich im Quartier an. Wir sind schlecht gelaunt, müde, hungrig und nass. Achja – und die Blutegel der Region hatten offensichtlich auch einen Anschlag auf unsere Gruppe geplant, weshalb uns allen die Knöchel bluten. Nur ich bin zuerst der Meinung, dass ich verschont wurde, was ich immer noch mit adeligem Bergsteigerblut begründe.
Zusammenfassend möchte ich an dieser Stelle betonen, dass wir alle unsere Lasten (in Form von Rucksäcken und psychischen sowie physischen Stolpersteinen) zu tragen hatten. Insgesamt bin ich daher sehr froh, dass wir die Tour auch am dritten Tag beenden und nehme mir heraus, jedem der Teilnehmer eine metaphorische Tapferkeitsmedaille umzuhängen.
Am Abend gehe ich mit der Erwartung schlafen, um 12h aufzustehen, um die Möglichkeit, das EM Finale zu sehen, zu Nutzen – in der Realität interessiert das Spiel meinen geschundenen Körper und Geist kein bisschen. Das erste Finale eines Fußball - Großereignisses seit 1998, dass ich nicht sehe – ein Drama.
[1] Engl.: Hügel