Veröffentlicht: 29.02.2024
„Sag Bescheid, wenn du in der Stadt bist. Du kannst bei uns übernachten.”
„Der Schlüssel ist beim Nachbarn, ich komm´ in ein paar Tagen. Das Haus ist deins. Fühl dich wie zuhause!”
„Hast du schon was, wo du unterkommst? Ich hab ein großes Haus.”
„Magst du meinen Schlüssel haben? Ich bin zwar nicht da, aber es ist eine gute Lage und es wird dir gefallen.”
„Warst du schon in Byron Bay? Komm vorbei! Es ist herrlich hier oben! Ich hab´ ein freies Zimmer.”
Das ist etwas, was für mich Australien ausmacht. Ich glaube, ich habe die Antwort auf meine Frage, was mich so sehr an dieser Region begeistert, packt und auch nicht loslässt, loslassen will.
Die Küste, Wellen, Strände, Klippen (klar!),
die Weite (= Freiheit, natürlich),
der Horizont und die Wolken (atemberaubend!),
doch vor allem die offenen Türen.
Ein Bett, ein Haus, eine Wohnung, hier und da, Einladungen, einfach so.
EINFACH so,
ohne Bezahlung,
ohne Hickhack,
ohne großes Hin und Her.
Viele Menschen, die ich treffe oder kennenlerne, sind selbst sehr mobil, sind zumeist selbst begeisterte „House sitter” - aufs Haus aufpassen, ähnlich dem Babysitten - sind viel unterwegs oder waren es, als sie jung waren.
Reisen und Unterwegssein sind etwas, was die meisten kennen. Deren Kinder, Enkelkinder leben oft tausende Kilometer entfernt, nicht selten auf einem anderen Kontinent. Umziehen, Häuser kaufen und verkaufen, Job wechseln, Reisen, mehrere Monate woanders sein; das ist nichts Ungewöhnliches, im Gegenteil, es ist die Norm.
Viele Leute, die ich zum Teil noch nie getroffen habe, bieten mir an, bei ihnen unterzukommen, freuen sich und nehmen sich Zeit, wollen mir etwas in der Umgebung zeigen, kochen oder backen etwas, stehen für mich früh auf oder gehen spät ins Bett, da ich sehr früh oder eben sehr spät ankomme oder wieder fahre. Viele sind tolle Geschichtenerzähler:innen.
Zuerst dachte ich in den letzten Monaten, dass das etwas mit meinen Recherchen selbst zu tun hat, haben könnte. Ich möchte schließlich etwas über das Diasporaleben erfahren, oft über ihre Familie(n), über ihre Eltern, Großeltern. Obwohl ich fremd bin und wir uns nicht kennen - andere Herkunft, Muttersprache, Generation - weiß ich doch oft sehr viel über ihre Vorfahren, manchmal sogar, weiß ich aus meinen Recherchen mehr als sie selbst.
Der beste Weg Menschen kennenzulernen, ist, mit ihnen Zeit zu verbringen, den Alltag zu erleben; und so denkt oft auch die andere Seite - denke ich. Doch mir fällt auf - auch auf Grundlage meines digitalen Nachblätterns in meinen alten Reisetagebüchern – , dass ich solche Einladungen auch vor über 15 Jahren und drei Flugstunden weiter östlich erlebt habe, erleben durfte: in Neuseeland. Es scheint in der Region - flächenmäßig größer als Europa - üblich zu sein.
Ohnehin sind Türen hier in Australien (wie damals in Neuseeland) oft nie wirklich abgeschlossen - vor allem in "kleineren Orten" wie eben Adelaide mit nur etwas mehr als 1, 3 Millionen Menschen.
Ich liebe diese offenen Türen! Und wenn ich eins gelernt habe, dann ist es, dass ich genauso sein möchte: Offenheit, Neugier, Interesse, Herzlichkeit und Geschichten von den eigenen Reisen overseas, von Übersee, weit weg; mal eben die Perspektive wechseln, upside down, die Welt auf den Kopf stellen und drehen. Die Welt sieht von da drüben - oder da unten - irgendwie anders aus, manchmal leichter. Das sehen meine Gesprächspartner:innen oft ähnlich.
Fast jeder hier am Ende - oder, wie man es nimmt, am Anfang - der Welt, hat Geschichten vom Reisen. Wenn wir auch nicht am gleichen Ort und oft schon gar nicht zur gleichen Zeit dort waren, ist es dieses Leuchten, richtiges Glühen in den Augen. Diese Augen, die Verliebte haben und einen auch selbst zum Strahlen bringen. Geschichten von hier und dort, schöne, lustige, manchmal auch traurige; trotzdem oder gerade deswegen: die Augen strahlen, sind nach vorn gerichtet, im Außen! Ich mag das und diese Flut von Positivität. Die Zeit dieser Gespräche vergeht, vergeht einfach schnell-langsam, intensiv; keine Lust, keine Zeit, kein Interesse aufs Handy zu gucken, „einfach nur” eine richtig gute Unterhaltung.
Was mich auch beeindruckt, ist, dass es keine Erwartungen zu geben scheint, dass man diese Verbindung nun täglich oder sehr regelmäßig fortsetzen müsste - oder sollte. Es ist vielmehr ein: „Wie toll, dass wir uns gesprochen haben!” Eine große Herzlichkeit und oft möchte ich danach nicht nur die Person, sondern die Welt umarmen. „Lass es uns so sagen: Das ist ein Anfang! Ich freue mich auf das nächste Gespräch mit dir. Irgendwann.”
Ich fühle mich danach manchmal k.o. und zugleich völlig aufgeladen. Wenn Batterien überlaufen könnten, so wäre das. Das eigene Level bis zum Anschlag gefüllt mit… Ja, womit? Vielleicht Lebensfreude.
Und dann manchmal, manchmal stellt man auch fest, dass man sogar einen gemeinsamen Bekannten hat, irgendwo ganz anders auf der Welt. Das ist dann irgendwie „magic”, Magie - ich weiß, (zu) esoterisch! Trotzdem und was ich meine: Ich treffe jemanden zum Wandern, einfach angeschrieben über Social Media zum Wandern. Sie ist aus Prag. Nach Stunden an schönster australischer Küste entlang,
Hügel rauf und runter,
erzählt sie mir, dass ihre Oma das Ghetto Theresienstadt überlebt hat, jüdisch war. Ich erzähle ihr, wo mein Büro derzeit ist. - Der Sicherheitsdienst der jüdischen Community empfiehlt, dies nicht bei Fremden einfach preiszugeben…. - Meine neue tschechische Wanderbekanntschaft erzählt also von ihrer Oma, von ihren Verwandten in Australien, ich höre interessiert zu, frage ab und zu nach; werfe ein, dass ich eine Kollegin in London habe und sie ein Buch geschrieben hat über Theresienstadt. „Ich fand es total super! Die zusammengebrachten Perspektiven sind richtig stark!”, schwärme ich. [kleine Werbung: The Last Ghetto: An Everyday History of Theresienstadt]
„Du meinst Anna?”
„Crazy, ja!"
Wir machen ein selfie,
schicken es nach London.
„Verrückt”, sagen wir.
Nicht nur einmal!
Vielleicht stimmt es, dass wir über nur wenige Ecken jeden Menschen auf der Welt kennen. Ich habe den Verdacht, nein mittlerweile die Erfahrung, da ist etwas dran. Exakt einen Monat vorher, im Januar: ich treffe mich mit einem Mitstipendiaten der Böll-Stiftung, der derzeit in Brisbane für ein Langzeitpraktikum ist. Beim Erwandern der Blue Mountains
erzählt er von seinem Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr. „Lustig”, sagen wir und tauschen uns aus, wie Jugendfeuerwehr in seinem Dorf im Südwesten Deutschlands war und wie bei mir im Nordosten. Einige Bäume müssen wir überklettern, bei einigen unten drunter. Mit einem Rucksack auf dem Rücken und 35 Grad, haben wir das Gefühl, wir sind bei der Atemschutzgeräteübung. Zufall?
Die Geschichte ist noch nicht zuende:
Er erzählt von einer weiteren Deutschen, die in Sydney lebt,
fürs Studium,
ebenfalls mit der Böll-Stiftung verbandelt.
Irgendwann denke ich, diese Geschichte(n) habe ich schon mal gehört.
„Kannst du ihr mal schreiben und fragen, ob ihre Mitbewohnerin in Sydney Anastasia heißt?”
Kurze Zeit später eine Antwort: „Ja, äh, warum?”
Ihre Mitbewohnerin ist die Tochter meiner derzeitigen Vermieterin in Sydney. Wir treffen uns fast jeden Freitag zum Shabbat-Dinner bei uns zu Hause.
Nur mal so: In Sydney wohnen über 5,3 Millionen Menschen. - Achso, und Estelles Familie kommt ursprünglich aus Łódź in Polen, da habe ich 2011/12 studiert; dann lange selbst aus unterschiedlichen Perspektiven zum Ghetto Łódź/Litzmannstadt gearbeitet. Natürlich kennen wir die gleichen Leute. Zufall, eben.