Veröffentlicht: 06.11.2018
Wir wissen wenig über Namibia. Ein bisschen etwas aus dem Geschichtsunterricht, ein wenig aus den Reiseführern, insgesamt ein eher lückenhaftes, verschwommenes Bild. Deutsche Kolonie seit 1885..... nach dem 1. Weltkrieg verliert Deutschland seine Kolonien also auch "Deutsch-Südwest"..... das Land wird 1921 integraler Bestandteil Südafrikas.....1960 gründet sich die SWAPO (South West African People's Organisation), die bis heute bei jeder Wahl die überragende Mehrheit der Stimmen bekommt......1968 wird Deutsch-Südwest durch den UN-Sicherheitsrat in Namibia umbenannt und seit 1990 ist Namibia unabhängig.
Nirgendwo auf der Welt ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer als in Namibia.
Namibia ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland, hat aber nur 2,3 Millionen Einwohner, die sich auch noch über 10 Volksgruppen verteilen. Rund 10.000 Einwohner sind weiß und stammen von den niederländischen Buren oder den deutschen Siedlern ab. Dieses extrem dünn besiedelte Land besteht zu einem großen Teil aus Wüste, im Osten die Kalahari, im Weste die Namib, die dem Land seinen Namen gab. Die Namib wird durch den Atlantik begrenzt und mittendrin ist die Randstufe, die das Land von Nord nach Süd durchzieht und das Binnenhochland von der Küstenebene trennt.
So viel (besser gesagt so wenig) zur Theorie. Wir nähern uns dem Land unbedarft und vielleicht sogar etwas naiv. Wir wollen Natur, großartige Landschaften und vor allem Afrikas Tierwelt bestaunen, das übliche Touristenprogramm eben. Womit wir zu kämpfen haben? Zum Beispiel mit der Wüste. Mit der endlosen Monotonie, dem Staub, der Einsamkeit. Und wenn man auf einen Ort trifft, ist der eben keine Oase, sondern eine staubige, trostlose Ansammlung von Häusern und Hütten. Und mit der Stimmung im Land. Die Menschen begegnen uns oft unfreundlich bis latent feindselig, selbst in teuren Lodgen ist die Atmosphäre eher verhalten. Wir haben uns bisher in keinem Land so unsicher und teilweise so unwohl gefühlt wie hier in Namibia. Vielleicht liegt es daran, dass wir nicht wie die meisten anderen Touristen mit einer Reisegruppe unterwegs sind oder uns von einem Reiseveranstalter eine Rundreise von einer Safari-Lodge zur nächsten haben organisieren lassen. Wir suchen uns unseren Weg durchs Land allein. Hochpreisige Übernachtungsmöglichkeiten gibt es überreichlich in diesem Land, was den Tourismus als eine der wichtigsten Einnahmequellen entdeckt hat, aber auch viel B&Bs, kleine Selbstversorger-Apartments und Hotels. Das selbstorganisierte Herumreisen ist also entspannt möglich. Wir entscheiden uns für eine bunte Mischung der Unterkünfte und versuchen, immer 2–3 Tage im voraus zu buchen.
Unser erstes Ziel für eine Zwischenübernachtung ist Keetmanshoop, die Regionalhauptstadt im Süden. Es gibt nichts, aber auch wirklich nichts über diese Stadt zu berichten. Unser Hotel hat einen netten Innenhof und nach einem kurzen, freudlosen Spaziergang durch den trostlosen Innenstadtbereich verziehen wir uns dorthin, essen zu Abend und reisen am nächsten Tag früh weiter. Wir besichtigen noch das touristische Highlight der Umgebung, einen Köcherbaumwald. Eigentlich stehen diese typischen Afrikabäume einzeln herum, aber wenn sie es einmal zu einer größeren Gruppe schaffen, nennt man das hier Wald, macht einen Zaun drum und nimmt Eintritt.
Wir haben uns in eine dieser vielen Safari-Lodges eingebucht, eine von den etwas preiswerteren. In der Lapa Lange Lodge bei Mariental erwartet uns eine komfortable Hütte mit Terrasse, der obligatorische Minipool und eine Liegewiese mit Liegestühlen rund um ein Wasserloch, zu dem in der Dämmerung einige Gnus, ein paar Elenantilopen, Wasserböcke und -Trommelwirbel- zwei Nashörner kommen. Nicht wirklich um zu trinken, sondern vor Allem um das frische Heu zu futtern, welches ein Angestellter kurz vorher ausgestreut hat und auf das die Tiere wohl an jedem Abend warten. Es ist schon malerisch, aber doch eher eine Zooatmosphäre und ein Nachmittagsvergnügen für die Gäste. Für viel Geld kann man dann noch einen Safarifahrt in der Dämmerung oder am frühen Morgen machen, aber darauf verzichten wir. Ebenso wie auf das kostspielige Dinner jeden Abend - wir essen Brote auf der Veranda, das ist auch schön.
Was wir wohl machen, ist einen Bushmanwalk mit einer Gruppe San. Die San leben in der Kalaharie, einige Stämme bis heute als Sammler und Jäger, viele andere in Reservaten. Anders als bei der skurrilen Show auf dem Titicacasee ist hier von Anfang an klar, dass es sich um ein "Living Museum" handelt, dass die San Männer uns zeigen, wie ihre Vorfahren in der Wüste gelebt und gejagt haben. Wir sind die einzigen, die sich für diesen Marsch durch die Wüste angemeldet haben und so ziehen wir mit 5 jungen San-Männern und einem Übersetzer alleine durch die heiße Kalaharie. Wir erfahren welche Pflanzen essbar sind, welche gegen Magenschmerzen, Kopfschmerzen oder Sonnenstich wirken, welche gegen Erkältung und welche man zum Zähneputzen benutzt. Wir bestimmen unterschiedlich Tierspuren, erkennt die Laufrichtung der Tiere und sehen unterschiedliche Jagdmethoden. Wir haben natürlich viel fotografiert, aber wir sind sehr froh, dass uns niemand fotografiert hat. Es ist bestimmt ein großartiger Anblick, wie zwei ältere Damen mit langen Hosen, festen Schuhen und skurrilen Kopfbedeckungen mit fünf schmächtigen, fast nackten Männern durch die Wüste stapfen.
Nach zwei Tagen verlassen wir die Lodge und fahren Richtung Windhoek, es ist Zeit für ein wenig Großstadtluft. Wir haben eine nette Selbstversorgerunterkunft in einem Vorort gefunden. In "Brian's View" wartet eine schicke, sehr moderne Wohnung mit tollem Bad und gemütlicher Veranda auf uns. Wir machen uns einen Salat und genießen den Abend auf der Veranda, für die Stadt ist es schon zu spät. Das Leben hat hier selbst in Städten einen anderen Rhythmus. Die Läden, auch die schicken Shopping Malls, schließen um 17:00 h, ab 17:30 h sieht man keine Menschenseele mehr auf den Straßen. Wer abends ausgeht, zum Essen oder in einen Club, fährt mit dem Auto bis auf den bewachten Parkplatz vor dem Restaurant. Wir lesen viele Sicherheitswarnungen und auch unser Gastgeber warnt uns vor unserem Stadtausflug am nächsten Morgen vor dunkelhäutigen jungen Männern und Frauen, die perfekt Deutsch sprechen und erst freundlich, später rabiat, auch durchaus aggressiv und mit bewaffnetem Nachdruck um "Spenden" für ihre (nicht existierenden) Sportvereine oder ähnliches bitten würden. Wir fahren mit sehr gemischten Gefühlen in die Stadt, haben alle Wertgegenstände und Papiere im Safe gelassen und stellen unser Auto auf einen "bewachten" Parkplatz vor der Christuskirche ab. Nach wenigen Metern werden wir promt auf reinstem Hochdeutsch angesprochen, aber wir verleugnen unsere Herkunf, antworten auf Spanisch, bekommen ein freundliches "Welcome to Namibia" und haben unsere Ruhe. Windhoek hat wenig zu bieten, ist eine eher hässliche Stadt ohne schöne Gebäude oder großstädtischen Flair. Das Gefühl der Bedrohung ist allgegenwärtig und macht es auch nicht besser. Wir vergnügen uns eine zeitlang in dem wirklich netten Craftcenter, einem Handwerksmarkt, essen in einem Hotel zu Mittag und beobachten, wie sich die schwarze Mittelschicht an der Hotelbar vergnügt.
Nachmittags besuchen wir die Nationalgalerie, das bedeutendste Museum für moderne Kunst in Namibia. Interessant ist die Ausstellung eines der bekanntesten namibianischen Künstler, der mit einer traditionellen Linosdrucktechnik arbeitet. Der Rest ist eher bedeutungslos, so dass uns erspart bleibt, die Parkuhr für eine weitere Stunde zu füttern. Den frühen Abend verbringen wir wieder auf der Veranda und unterhalten uns kurz mit unseren Gastgebern. Die sind erstaunlich gut über die aktuelle, deutsche Politik informiert, bedauern Merkels Rücktritt als Parteivorsitzende, nennen Frau Merkel "the leader of the free world" und machen sich über den Rechtsruck in Europa sowie den unberechenbaren Trump Sorgen.
Am Abend gehen wir in Joe's Beerhouse, eines der beliebtesten Restaurants in Windhoek mit mehr als 500 Plätzen und einem riesigen Biergarten. Vor allem Touristen kommen hier her und genießen Zebra, Springbock und Kudufleisch. Wir wohnen nur wenige Meter entfernt und können deshalb zu Fuß hierher kommen, ein Privileg in einem Land in dem jeder alle Wege mit dem Auto zurücklegt.
Unser nächstes Ziel ist der Etosha-Nationalpark. Für ein Tag ist die Strecke viel zu lang, deshalb planen wir eine Zwischenübernachtung in Grootfontein. Um unseren strapazierten Geldbeutel ein wenig zu entlasten, entscheiden wir uns für ein preiswertes Bed and Breakfast. Die Gastgeber haben ihr Familienwohnhaus zu einer kleinen Pension umfunktioniert und wir schlafen in einem Zimmern voller alter Möbel und schöner Bilder. Den Gästen steht die große alte Küche und ein gemütliches Wohnzimmer mit riesigem Esstisch zur Verfügung. Wir finden es sehr schön hier und es stört uns auch nicht, dass die Dusche und die Toilette eigentlich offen im Zimmer stehen. Wir werden mit einer Kanne Kaffee und Gebäck begrüßt und gesellen uns auf der gemütlichen Veranda zu zwei jungen Frauen. Anna-Lena und Alicia arbeiten bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, Anna-Lena lebt seit drei Jahren in Namibia und ist mit einem Buren verheiratet. Die beiden bereiten gerade die 30-Jahrfeier der Konrad-Adenauer-Stiftung und den Besuch Norbert Lammerts, Ex-Bundestagspräsident und aktueller Stiftungsvorsitzender, in Namibia vor. Wir haben reichlich für einen großen Salat eingekauft, die beiden haben 2 Flaschen namibianischen Wein im Gepäck und wir teilen alles schwesterlich und plaudern bis spät in die Nacht auf der schönen Terrasse. Für uns ist das sehr spannend und wir stellen Anna-Lena und Alicia viele Fragen über das Leben in Namibia und die soziale und politische Situation im Land. Wenige Tage später lesen wir in der Tageszeitung, die hier sowohl in Englisch als auch in Deutsch vertrieben wird, über den offiziellen deutschen Besuch, über die rüden Worte des Präsidenten Geingob in Richtung Deutschland. Er nennt Herrn Lammert ein „bigwig“, einen Bonzen, und warnt ihn, die Intelligenz der Namibianer zu unterschätzen. Aussöhnung und Entspannung hört sich anders an.