Veröffentlicht: 07.08.2020
Törnbericht 2020
Ostsee und mehr.
Fünfter Teil: Vom Stettiner Haff über Binnen nach Hause.
13.Juli. Es geht los: Wir fahren nach Hause. Früh um sieben verlassen wir die schöne Marina Trzebiez, blicken beim Hinausfahren noch einmal zurück: Tschüß Ziegenort! Von nun an geht es nur noch über Binnengewässer. Die ersten 20 bis 30 Minuten ist das ein völlig anderes Fahrgefühl: Wie? Das Boot schaukelt garnicht mehr? Ruhig zieht es seine Bahn durch glattes Wasser. Fast ein bisschen langweilig! Aber bald habe ich mich an die neue Fahrweise gewöhnt und genieße die ruhige Fahrt. Es ist ein herrlicher Morgen, die Sonne scheint, wir sind fast allein auf dem Wasser, und die Ufer stehen in üppigem Grün. So kann es weitergehen. - Bald nähern wir uns Stettin und das Bild ändert sich: Hafenanlagen, teils ungenutzt, rostige Kräne, Werften, die schon bessere Zeiten gesehen haben. Auf die Durchfahrt durch das Stadtzentrum von Stettin mit den vielen Brücken hatte ich mich gefreut. Nun, ein bisschen ernüchternd ist der Anblick aber schon. Im Vorbeifahren sehe ich die Hakenterrasse mit den historischen (wieder aufgebauten) Gebäuden im Hintergrund. Das Ganze erinnert so ein bisschen an St. Pauli Landungsbrücken, ein schöner Anblick, zweifellos. Aber sonst? Viel Durcheinander von Neu und Alt, Schnellstraßen und Überführungen, ich hatte mir was Anderes vorgestellt. Aber ich bin ja nur auf der Durchreise, noch dazu auf dem Wasser. Wahrscheinlich tue ich Stettin unrecht. Man müsste mehr Zeit haben und sich in Ruhe die Sehenswürdigkeiten ansehen. Wie auch immer, bald habe ich auch die niedrigste Brücke und auch die letzte Brücke und die ganze Stadt hinter mir, und das Auge beruhigt sich wieder beim Anblick der schönen Flusslandschaft. Ich fahre entspannt die Westoder hinauf. - Gegen Mittag passieren wir Mecherin und sind nun wieder in Deutschland. Eine Stunde später ist auch Gartz hinter uns. Wir fahren noch ein Stückchen weiter, inzwischen in dem kanalartig begradigten Oderarm, der jetzt Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße heißt. Am frühen Nachmittag legen wir an im alten Holzhafen von Schwedt, jetzt ein ruhiger, gemütlicher Vereinshafen. In einem nahe gelegenen Supermarkt decken wir uns mit frischem Proviant ein. Muss auch mal sein.
14. Juli. Schwedt - Oderberg. Schon früh am Morgen merkt man: Das wird heute ein heißer Tag! Abfahrt Schwedt ist um 09.30, und da ist es schon ein richtiger Hochsommertag. Gegen Mittag erreichen wir die Schleuse Hohensaaten-West und werden kurz darauf hochgeschleust zum Havel-Oder-Kanal, der hier zunächst in der Wiezener Alten Oder verläuft. Eine Stunde später haben wir Oderberg erreicht und machen am Alten Bollwerk fest. Hier hat die Stadt neben einem Fahrgastschiff-Anleger auch einen kleinen Anleger für Sportboote vorgesehen. Sehr erfreulich, hier liegen wir umsonst, allerdings ohne Versorgung. Ich liege dort zunächst allein. Später kommt noch eine große Motoryacht hinzu. Man bittet mich, etwas zu verholen, damit ihr Schiff noch an den Anleger passt. Kein Problem, mach ich natürlich. Nachmittags besuche ich das Binnenschiffahrtsmuseum und erfahre viel über die Geschichte der alten Schifferstadt Oderberg.
15. Juli Oderberg - Marienwerder. Gestern Abend hatte sich noch ein großes Fahrgastschiff an den Anleger gepackt, sehr dicht an meinem Heck. Nach vorne habe ich auch nicht viel Platz, da liegt ja die große Motoryacht. Na, dann wollen wir mal sehen, wie wir hier herauskommen. Kleiner Scherz, das war kein Problem, bei Windstille und mit Bugstrahler! Wenn dieser meine Bootsnachbarn um 07.00 aus der Koje geworfen hat, tut mir Leid, geht nicht anders. Die Dinger machen nun mal einen Höllenlärm. - Geplant hatte ich eine Fahrt durch den historischen Finowkanal, der ein paar Kilometer hinter Oderberg bei Niederfinow von der Havel-Oder-Wasserstraße abzweigt. Wir finden die Abzweigung, etwas versteckt und schmal, und fahren in den Kanal hinein. Ein sorgenvoller Blick aufs Wasser: Der Kanal ist total verkrautet. Es dauert auch garnicht lange, da merke ich es schon: das Boot wird abrupt abgebremst, komische Geräusche von unten, mir wird sofort klar: Propeller unklar. Hat es Zweck weiterzufahren? Ich entscheide: Nein! und fahre mit reduzierter Drehzahl wieder raus aus dem Gestrüpp, mit nur 4 km/h, wobei sonst bei der Drehzahl 8 km/h normal wären. So schleiche ich mich zum Sportbootanleger vor dem Schiffshebewerk Niederfinow, welches zum Glück nicht weit entfernt ist. Ich mache fest und teile dem Hebewerk über Funk mit, was los ist: dass ich zunächst meinen Propeller klar machen muss. Alles klar, ich müsse sowieso mit längerer Wartezeit rechnen, sagt man mir. Na dann: Badehose an, Taucherbrille auf (die hat mir ein Bootsfahrer aus Berlin geliehen, meine eigene hatte ich natürlich nicht dabei!) und runter ins trübe Kanalwasser. Sehen kann ich nicht viel, aber da hilft der Tastsinn. Zum Glück waren es nur Schlingpflanzen, dieses dünne, lange Zeugs, was man überall findet, das ließ sich relativ leicht manuell vom Propeller entfernen. Wie gut, dass es so schnell ging, denn kurze Zeit später meldet sich das Hebewerk: Die Sportboote können einfahren! Fahrstuhl fahren mit dem Boot - ein immer wieder beeindruckendes Erlebnis. Besonders bei diesem Hebewerk, erbaut in den 1920 Jahren: eine imposante Stahlkonstruktion. Nebenan wird ein neues, größeres aus Beton gebaut, aber die Indienststellung verzögert sich, wie üblich bei Großprojekten in Deutschland. - Im Trog kann man aussteigen und sich alles anschauen. Währenddessen erzählt mir der Bootsfahrer aus Berlin eine unglaubliche Geschichte: Der Konstrukteur des Hebewerks habe sich in der Nacht vor der Einweihung das Leben genommen, weil er dachte, sein Werk würde nicht funktionieren. Es hat aber funktioniert. Tragische Geschichte, wenn sie denn stimmt. - Ich notiere: 10.30 Uhr Hebewerk passiert. Weiter geht die Fahrt auf dem Havel-Oder-Kanal. Mittags machen wir bei strömendem Regen in der Marina Marienwerder fest.
16 Juli. Marienwerder - Werbellinsee. Gleich gegenüber der Marina Marienwerder zweigt der Zufahrtskanal zum Werbellinsee ab. Dieser See gilt als Geheimtipp unter Bootsfahrern, soll er doch besonders schön und ruhig und mit besonders klarem Wasser sein. Um 08.30 machen wir uns auf den Weg. Der Kanal ist teilweise recht schmal, zum Glück begegnet uns zunächst kein größeres Boot. Unterwegs sind zwei Selbstbedienungsschleusen zu bewältigen Das Procedere ist bekannt und easy: Grüne Stange zum Anmelden und zum Start des Schleusenvorgangs. Der Rest läuft automatisch. Rote Stange Notstopp. Nicht verwechseln! Bei der zweiten Schleuse macht mir eine große Charter-Yacht Ärger: Ich komme gerade am Steg an, habe noch nicht festgemacht, da fährt dieser Ignorant mit Volldampf und dicker Welle aus der Schleuse raus. In dem schmalen, nicht sehr tiefen Kanal zieht der eine Menge Wasser weg, und der Sog reißt mir die Miss Marple vom Steg weg. Gerade konnte ich noch eine Leine über eine Stange werfen und das Boot mit aller Kraft festhalten, sonst hätte es eine Kollision gegeben. Blödmann! rufe ich ihm hinterher; hat der aber bestimmt nicht mehr gehört. Dabei könnte alles so ruhig und entspannt ablaufen, wenn nur alle ein wenig Rücksicht nehmen und vorausschauend fahren würden. - Nach diesem „Erlebnis“ freue ich mich umso mehr, als ich am See ankomme. Da weitet sich der Blick, und auf einmal ist da überall Wasser! Herrlich! Ich fahre gemächlich bis in die Mitte des Sees und schaue mich um. Am Ufer nur ganz vereinzelt ein paar Sportboote vor Anker. Ich suche mir eine ruhige Bucht und lasse den Anker fallen. Kaum geankert, kommen schon vom Ufer zwei Schwäne angeschwommen und zeigen sich in ihrer ganzen Pracht dicht hinter dem Boot. Aber man soll sie ja nicht füttern, und so ziehen sie bald wieder ab, nicht ohne ihren Unmut durch lautes Fauchen zum Ausdruck gebracht zu haben. Mein lieber Schwan, das klang richtig aggressiv! Als die Freunde weg sind, gönne ich mir ein Bad in dem wirklich sehr klaren Wasser. Ich kann auch ohne Taucherbrille den Propeller kontrollieren: Alles klar. Zum Glück! - Nachmittags ziehen dicke Regenschauer und Gewitterböen über den See. Bei solchem Wetter ist es mir lieber, nicht über Nacht vor Anker zu liegen, man hat so seine Erfahrungen... Deswegen: Anker auf und verholt an einen nahe gelegenen Vereinssteg. Ganze 5,- Euro Liegegeld verlangt der Bootsfreund am Steg - nach telefonischer Rücksprache mit dem Vereinsvorstand!
17. Juli. Werbellin - Oranienburg. Am Morgen sind wir schon früh unterwegs. Die Luft ist frisch, der Himmel bedeckt, aber es bleibt trocken. Die beiden Schleusen nehmen wir zusammen mit einem Schwesterboot aus Berlin, auch einer MAREX Consul. Wie der Zufall so spielt! Dabei wurden nur 102 Exemplare von diesem Typ gebaut. - Nach einem kurzen Zwischenstopp in Marienwerder, um Wasser zu bunkern und zur Entsorgung, geht es weiter auf dem Havel-Oder-Kanal. Kanalfahrten sind meistens ereignislos, da gibt’s nicht viel zu erzählen. Um 14.30 Uhr haben wir die Schleuse Lehnitz passiert, der Schrecken der hiesigen Bootsfahrer, weil man hier meistens sehr lange warten muss. Diesmal habe ich Glück und es geht flott. Danach fahren wir über den 2 km langen Lehnitzsee und bald darauf kommt schon die Abzweigung nach Oranienburg. Wir tuckern den alten Havelarm hinauf und machen um 15.30 Uhr im Schlosshafen fest. Hier war ich schon mal. Das Schloss mit Botanischem Garten hatte ich auch besichtigt, muss nicht nochmal sein. Also bleibe ich gemütlich zum Kaffeetrinken an Bord.
18. Juli. Oranienburg - Potsdam. Wir fahren weiter auf der Havel-Oder-Wasserstraße. „Wasserstraße“, weil wir hier nicht mehr im Kanal sind, sondern auf der Havel. Eine schöne, abwechslungsreiche Fahrt: mal auf dem Fluss und mal auf den seenartigen Erweiterungen. Es ist Wochenende, und viele „Spaßboote“ mit Partymachern sind unterwegs. - Ein paar Namen gefällig, wo wir überall vorbeikommen? Henningsdorf, Niederneuendorfer See, Valentinswerder, Spandau, Wannsee, Grunewald, Schwanenwerder, Pfaueninsel, die berühmte Heilandskirche von Sacrow, Glienicker Brücke, Tiefer See, ALDI (ja, kein Scherz, es gibt dort extra einen Anleger für Bootsfahrer, die bei Aldi einkaufen. Mach ich natürlich auch). - Zwischendurch ein besonderes Erlebnis: Auf der breiten, seenartigen Havel bei Gatow kommt plötzlich ein Sportpaddler im Höchsttempo von schräg auf mein Boot zugefahren. Ich denke, was will der denn? Als er dicht an Steuerbord achtern auf meiner Heckwelle "reitet", wird es mir klar: Er wollte sich ein Stück ziehen lassen. OK, warum nicht, wenn er das schafft. Der Typ hatte es echt drauf, die ganze Zeit bis zum Wannsee, ungefähr eine halbe Stunde, paddelte er locker hinter mir her. Ganz schöne Ausdauer! Am Wannsee bog er dann links ab und rief mir noch ein "Danke fürs Mitnehmen!" hinterher. Und so fuhr ich allein weiter, an Potsdam vorbei zum Templiner See, wo ich in einer Bucht namens „Hinterkappe“ den Anker fallen ließ. Wir (Miss Marple und ich) gönnen uns eine ruhige Nacht am Anker.
19. Juli. Potsdam - Brandenburg. Um 06.00 bin ich auf. Der See liegt glatt wie ein Spiegel in der Morgensonne. Eine himmlische Ruhe, fast möchte man garnicht wagen, den Motor zu starten. Aber eine Stunde später ist der Anker hoch und wir fahren mit "Ganz Langsam" aus der Bucht. Die Havel fließt hier durch einige bekannte Seen, man hat nicht das Gefühl, auf einer Bundeswasserstraße zu sein, vielmehr in einer Seenlandschaft: Templiner See, Schwielowsee, vorbei an Werder/Havel, dann Großer Zernsee, Kleiner Zernsee, vorbei an Ketzin, durch den Trebelsee und weiter durch das Landschaftsschutzgebiet „Brandenburger Osthavelniederung“. Dann sind wir vor der Vorstadtschleuse Brandenburg und werden um 1,20 m runtergeschleust. Unser Ziel, den Anleger am Slawendorf mitten in Brandenburg, erreichen wir um Punkt 13.00 Uhr. Hier war ich auch schon mehrmals. Die Stadt Brandenburg hat viel Sehenswertes zu bieten. Es macht Freude, Altbekanntes wiederzusehen.
20. bis 25. Juli. Die Weiterfahrt ab Brandenburg geht zunächst die idyllische Stadthavel entlang, dann durch den Breitlingsee, den Plauer See und den anschließenden kleinen Wendsee. Danach kommt nur noch Kanal, Kanal, Kanal, größtenteils ausgebaut für große Schubverbände, also viel gerade Strecken, „entschärfte“ Kurven und befestigte Ufer. Als Sportbootfahrer die reinste Autobahnfahrt. Da gibt es nicht viel zu berichten. In Genthin füllen wir unseren Dieseltank wieder auf. Die großen Schleusen Hohenwarte nehmen wir zusammen mit Berufsschiffahrt. Wir überqueren die Elbe auf der Trogbrücke des Mittellandkanals. Hinter der Brücke gibt es einen kleinen Anleger für Sportboote - beim alten Schiffshebewerk Rothensee. Dort will ich festmachen und übernachten. Beim Anlegen passiert es: Ein Segelboot, das die ganze Zeit hinter mir gefahren war, will es mir nachmachen und auch anlegen. Dabei verschätzt sich der Skipper und fährt mir in die Seite. Mist! Auf so etwas kann ich gern verzichten. Zufällig kommt die Wasserschutzpolizei und nimmt den Unfall auf. Das ist immer gut wegen der Schadensregulierung mit der Versicherung. Aber trotzdem: Ich bin bedient! U.a. ist das Verdeck-Gestänge total verbogen und das Verdeck hängt auf halb sieben. So kann ich nicht weiterfahren. Ich beschließe, die Fahrt abzukürzen und auf direktem Wege nach Hause zu fahren. Eigentlich wollte ich noch in Hamburg vorbeikommen, aber das ist nun gestrichen. Am 25.7. abends um halb neun mache ich Miss Marple wieder fest am Heimatsteg an der Lesum.