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Zeit zum Nachdenken

Veröffentlicht: 22.06.2017

21. Juni 2017

grad jetzt, wo ich das datum aufnotiere, kommt mir in den sinn, dass heute sommersonnenwende ist. das heisst, heute am mittag muss die sonne senkrecht über mir gestanden haben, ohne dass man einen schatten sah. zu kuckuck, und das fällt mir erst jetzt ein. hätte doch ein schönes foto gegeben. immerhin habe ich um die mittagszeit zufällig ein foto geschossen draussen, worauf man den schatten ziemlich unter den kindern erkennen kann.

überhaupt habe ich heute kaum fotos gemacht. ganz am morgen, auf dem weg zur fundacion zwei landschaftsbildchen und in der schule, weil drei kinder unbedingt ein foto machen wollten. das bild steht denn auch als blickfang da, hat aber mit dem geschriebenen hier nichts zu tun. 

bevor ich mich nach ecuador aufmachte war ich mir bewusst, dass die tätigkeit hier mich nicht komplett ausfüllen würde. jedenfalls nicht immer. die zeit in der selva war tatsächlich, so betrachtet, eine zeit der stille, des nachdenkens, des träumens, der langeweile. zuvor in der sprachschule war das weniger der fall. schule, lernen, ausgang mit den studentenkollegen, wochenendausflüge, das alles hielt mich schon eher auf trab. kommt dazu, dass dort die internet-verbundenheit komplett vorhanden war. wie jetzt auch. das entscheidende, warum ich zeit zum nachdenken habe, ist ein anderer umstand. ich habe kaum verantwortung. nicht in der schule, ausser dass ich hier meine angekündigte volontariate durchziehe und danach einen bericht schreibe. nicht zu hause, was kann ich denn schon tun, hier in der ferne? Andrea (und hoffentlich die mitbewohner) müssen die gesamte hausarbeit und das büro zum familienbetrieb machen. ich komme mir vor wie niklaus von der flüe, der frau und kinder sitzen lässt, um in der stille (na ja, so still ist es dann auch wieder nicht. siehe bericht von vor zwei tagen!) nachdenken und einfach für sich sein kann. ich habe mich von meinem nebenjöbchen als technischer mitarbeiter der st. galler wanderwege für dieses jahr freistellen lassen. ich mache keine workshops für den büchler verlag in dieser auszeit. ich bin einfach weg und nicht erreichbar. 

wie gesagt, das war mir bewusst und ich habe mich sehr gefreut, zeit zum nachdenken zu haben. ich erinnere mich an die erste zeit als lehrer. damals habe ich die sache viel lockerer genommen, habe daneben noch handball gespielt, trainiert und im vorstand gearbeitet, war in anderen ämtlis involviert und war auch oft spätnachts noch ... egal. alles muss nicht breitgeklopft werden.  jedenfalls hatte ich damals viel mehr visionen als heute. beruflich könnte man noch dieses oder jenes machen, mal den unterricht umstellen oder eine exkursion machen. zum beispiel gabs da mal ein sommerlager auf dem eichenwieser schwamm während den ferien. trotz all dem stress sonst noch und ich habe es nicht als stress empfunden, sondern als bereicherung und ausgleich. wahnsinn! 
jetzt ist es anders. ich bin ausgelastet, manchmal richtig erschöpft von offensichtlich viel weniger. ich weiss, dass ich viel mehr zeit brauche und nehme sie mir auch. unter diesem aspekt und in diesem bewusstsein also auch dieser bildungsurlaub. sorry, heisst jetzt intensivweiterbildung, ist aber dasselbe mit strengeren leitplanken. also, ich habe vieeeel zeit zum nachdenken. und wisst ihr was? es wirkt. ich habe seit langem nicht mehr so viel geträumt wie hier, vor allem in der selva. 
heute hat mir susanne büchler geschrieben, von den herausforderungen, sich auf dem umkämpften markt der lehrmittel zu behaupten. dann habe ich alines stundenplan angesehen. sie wird ja im nächsten schuljahr in eichenwies und montlingen unterrichten. ich habe mit andrea gewhatsäppelt und mit vivi ebenfalls. 
alle diese impulse kann ich aufnehmen und wirken lassen. die eine oder andere idee wird sich herauskristallisieren, der eine oder andere gedankengang initiiert. 
das ganz grosse aha-erlebnis aber war, dass mir plötzlich heute der gedanke kam, dass ich in meiner arbeit als klassenlehrer mal den versuch starten könnte, ein schulfach wie mathe komplett individuell durchzuziehen. müsste möglich sein. mit klar umrissenen zielen, bzw. einem anforderungskatalog oder im lehrmittel verankerten lernzielen und guter kommunikation im team und mit den eltern. die gedanken gingen weiter und ich mag sie hier nicht ausführen, bringt nix, denn ich muss sie selber weiterspinnen. doch dass ich darüber nachdenke geht nur, weil ich freiraum habe. wenn ich in meiner tätigkeit stets eingeschnürt werde, präsenzzeit absitzen muss, an erzwungenen teamevents teilnehmen muss, lektionsreihen zu lehrplan21 schlagwörtern obligatorischerweise erarbeiten muss, obwohl sie längst von lehrmittelverlagen publiziert wurden, ... man sieht, am ende jedes satzes steht MUSS. da müsste aber noch ein E angehängt werde, damit es zu MUSSE wird. "Musse haben" bedeutet zeit haben für sich und seine gedanken.
wenn ich zeit habe, kann ich frei denken. wenn ich zeit habe, entwickeln sich ideen, werde ich kreativ und kriege lust, mal was neues auszuprobieren. wenn ich ein gutes umfeld habe bringe ich meine idee vor, suche rat, unterstützung, andere impulse. warum zum kuckuck investieren ideenfabriken wie google in derartig angenehme arbeitsumgebungen? 
ehrlich, ich bin verdammt froh um diese auszeit. ich sehe neues, ich sehe wieder mal aus der ferne, ich erkenne mein hamsterrad, ich habe zeit, ich bin einfach hier oder da und denke. ich erkenne auch, was mir an meinem zuhause, bei meiner arbeit und in meinem freundes- und bekanntenkreis wertvoll und wichtig ist. ich werde anders nach hause kommen, als ich gegangen bin - das könnte jetzt natürlich auf zweierlei arten ausgeleget werden.

aber keine angst, das "anders" liesse sich umschreiben mit positiver, zufriedener, gefestigter. davon bin ich überzeugt. 
ich mag nicht so viel spanisch gelernt haben, wie ich dachte. aber ich habe mit guten und unangenehmen emotionen viele verschiedene erlebnisse durchgemacht. das geht dann schon etwas tiefer hinein als ein wörtchen zehnmal zu wiederholen.

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