Veröffentlicht: 17.07.2017
Wenn man für fünf Monate auf einer Insel lebt, möchte man so viele Ecken und Facetten wie nur möglich davon gesehen haben. Lustig, währen ich das schreibe fällt mir auf, dass ich seit 25 Jahren in Hamburg lebe, aber bestimmt die Hälfte der Stadt noch nicht kenne. Wie dem auch sei, Charley und ich haben Lust, wo wir nun schon so vieles im Süden und im Westen Balis gesehen haben, endlich den Norden der Insel zu entdecken.
Eine Nacht wollten wir ganz oben in Lovina und die zweite Nacht etwas weiter unten in Munduk, mitten in den Bergen verbringen. Von dem Wetterbericht, der für die Nächsten Tage 80% Regenwahrscheinlichkeit für die gesamte Insel angesagt hat haben wir uns nicht beirren lassen. Warum eigentlich nicht? Frage ich mich jetzt mal nachträglich. Hätten wir der Wetterapp mal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wäre uns wohl so einiges erspart geblieben...
82 Kilometer zeigt mir Google Maps an, als Charley und ich unsere Strecke nach Lovina berechnen. Okay, here we go! Noch zu Hause haben wir eine Liste geschrieben, was wir in den nächsten zwei Tagen im Norden alles sehen wollen. Nach Lovina wollen wir hauptsächlich, weil man dort morgens um 6 Uhr eine Delphintour machen kann. Der Weg in den Norden ist schön. Wie eigentlich überall auf Bali liegen auch auf dieser Strecke riesige, knallgrüne Reisfelder. Die Sonne lacht uns ins Gesicht und ich denke mir nur "pff, von wegen schlechtes Wetter. Läuft doch alles tippitoppi". Wir haben schon von Freunden gehört, dass es je weiter man nach oben in den Norden fährt, immer kühler wird und, dass wir uns lange Klamotten mitnehmen sollen. Ca. 1,5 Stunden vor Lovina machen wir also kurz Rast und ziehen unsere Pullover an. Kurze Zeit später fahren wir in Serpentinen durch das erste Gebirge. Hujujui, ganz schön fresh hier. Und... düster.
Wenige Minuten später ruft Charley, die einige Meter vor mir fährt, über die Schulter "Gina, ich hab grade Regentropfen abbekommen". Ohoh, ich jetzt auch. Und dann dauert es keine drei Minuten, da kommt ein monsunartiger Regen auf uns herabgeprasselt, so dass man nichtmal mehr die eigene Hand vor den Augen erkennen würde. Es gibt keine Chance mehr weiterzufahren, wir stellen uns bei der nächsten Möglichkeit unter einen kleinen Dachvorsprung. Auch zwei Einheimische parken hektisch ihre Roller und stellen sich dazu. Es dauert nicht lange, da ist die Straße so voll mit Regen gelaufen, dass wir mit unseren Turnschuhen in einem Fluss stehen. Auch die Reifen unserer Roller sind bereits zur Hälfte versunken. Okay, das muss jetzt Karma sein. Wer nicht hören will, der muss wohl fühlen. Ca. 30 Minuten später verlieren wir so langsam unseren Optimismus, dass es demnächst aufhören könnte, denn Petrus hat scheinbar noch einige Wassermassen da oben im Vorrat. Wir haben Hunger. Wenn wir hier noch weiter stehen bleiben steht uns das Wasser bald bis zu den Waden. Wir beschließen, uns unsere Regencapes bis unter's Kinn zu ziehen und die restliche Strecke auf uns zu nehmen.
Ich brauche glaube ich nicht mehr weiter zu beschreiben WIE SEHR es geregnet hat. Ich denke es reicht, wenn ich sage: Es hat bis zum Ende unseres Aufenthaltes in Lovina nicht mehr aufgehört.
Klitschnass in unserer Unterkunft angekommen haben wir erst einmal -lauwarm- geduscht und bei dem Guesthouse-Besitzer, der sich recht sicher war, dass der Regen nur noch heute andauern wird, die Delphintour für den nächsten Morgen gebucht. Anschließend haben wir die einzige regenfreie Minute genutzt um schon zitternd vor Hunger gegen 17:30 Uhr zu dem nächstbesten Restaurant zu kommen. Völlig deprimiert sind wir am Abend eingeschlafen und noch viel deprimierter um 5:30 Uhr vom Weckerklingeln aufgewacht. Der Regen ist nichtmal minimal weniger geworden. Noch im Halbschlaf stapfe ich vor die Tür um nach irgendeinem Mitarbeiter zu schauen und abzuklären, dass eine Bootstour jetzt wohl keinen Sinn macht. Da steht doch tatsächlich der Bootsmann höchstpersönlich mit Regencape mit seinem Roller auf dem Parkplatz und will uns abholen.
Hä? merkt der es nicht? ES GIEßT !!!! Ich versuche ihm freundlich zu erklären, dass wir unter diesen Umständen die Tour leider nicht machen möchten. Er versteht es und fährt in Zeitlupe vom Hof. Nachdem Charley und mir endgültig bewusst geworden ist, dass wir die Hälfte unserer To-Do-Liste schonmal wegstreichen können, packen wir unsere Sachen zusammen und machen uns mit unseren Regencapes auf den Weg nach Munduk. Auf dem Weg halten wir zumindest bei einem der Tempel von unserer Liste an. Nach 10 Sekunden mit zusammengekniffenen Augen durch den Regen glotzend, beschließen wir es einfach dabei zu belassen und weiter zu fahren.
Auf dem Weg hört es irgendwann endlich auf zu regnen. Tja, aber weil man ja einfach nicht vorsichtig genug fahren kann fliege ich natürlich auf der noch nassen Straße aus einer Kurve. Keine Panik - bis auf ein paar Schürfwunden ist zum Glück nichts schlimmes passiert :). Aber Charley hat lustigerweise in diesem Moment hinter mir mit ihrer GoPro gefilmt und dadurch ist dieses nette Foto als Andenken entstanden:
Munduk ist kalt, aber wundervoll. Unser Weg zu dem kleinen Dörfchen führt uns zurück durch die Berge. Es ist zwar noch sehr wolkig aber immerhin endlich trocken. Die Straße führt uns immer weiter die Berge hinauf und ich frage mich, ob wir Petrus wohl gleich noch persönlich unsere Meinung geigen dürfen, oder ob wir wohl auch irgendwann ankommen werden. Aber tatsächlich befinden wir uns nach ca. einer Stunde Fahrt über den Wolken. Und wie sang der gute Reinhard Mey doch so schön: Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Und ja, die Freiheit fühlt sich hier ganz schön grenzenlos an! Die ganze schlechte Laune ist wie weggeblasen und ich bin ganz plötzlich wieder sehr dankbar dafür, grade hier sein zu dürfen.
In unserer neuen Unterkunft angekommen freuen wir uns über eine Restaurantterrasse mit einem wunderschönen Blick über die Berge. Ein bisschen ärgern tun wir uns nun aber darüber, dass wir das günstigste Zimmer für 6,50 € gebucht haben wo es nur kaltes Wasser, ein dünnes Laken als Decke und keine schließbaren Fenster gibt. Es ist nämlich wirklich bitterkalt hier oben. Wir verbringen den Tag noch ein bisschen damit uns die Gegend anzuschauen und wir haben tatsächlich einen der in meinen Augen betrachtet schönsten Orte Balis entdeckt:
Würden wir nicht so weit weg wohnen würde ich hier am liebsten jeden Tag herkommen und auf diesen See schauen.
Als uns am Abend immer noch die Kälte in den Knochen sitzt, ist es wie ein Segen als uns beim Spazieren gehen "HOT Stone Massage" auf der Karte eines Spa's ins Auge sticht. Dankbar eilen wir eine halbe Stunde später den beiden Masseurinnen in ihren Behandlungsraum hinterher um dann völlig enttäuscht feststellen zu müssen, dass auch dieser Raum eiskalt ist und keine schließbaren Fenster hat. Auf die Frage hin, ob wir wohl unsere Kuschelsocken während der Massage anbehalten könnten, lächeln die beiden nur und sagen "oh no, you have Massas on feet as well". Die müssen sich gefragt haben, wie man bloß solche Eisklumpen als Füße haben kann.
Denkt bitte nicht, dass ich maßlos übertreibe. Aber die einzige lange Hose und das einzige Sweatshirt was wir dabei hatten, trugen wir seit 24 Stunden an unseren Körpern und beides war klamm. Und wenn man seit 3 Monaten 30 Grad gewöhnt ist, friert man wahrscheinlich recht schnell.
An diesem Abend hatten Charley und ich ein interessantes Gespräch. Wir haben in den letzten Wochen so viele Einheimische, grade auch in den nicht so touristischen Gebieten gesehen. Und immer wieder ist uns aufgefallen, was für eine Zufriedenheit alle ausstrahlen, obwohl sie doch nur so wenig haben. Aber sie sind unbeschwert und glücklich mit dem was ihnen zur Verfügung steht. Charley hat dann also zu mir gesagt, dass die Balinesen doch eigentlich zu beneiden sind, mit diesem zwar einfachen, aber unbeschwerten Leben. Ich wollte ihr erst zustimmen, aber dann ist mir mal aufgefallen, dass die einzigen die wirklich zu beneiden doch eigentlich wir sind. Wir haben es so gut. Uns liegen alle Möglichkeiten der Welt vor den Füßen, aber wir machen viel zu wenig daraus. Wir haben das Glück in einem Land aufgewachsen zu sein, was so weit entwickelt ist, dass jeder von uns zur Schule oder Uni gehen und die Ausbildung machen kann, die einem gefällt. Wir haben alle die Möglichkeit viel Geld zu verdienen und jeder von uns könnte genug davon sparen um die ganze Welt zu bereisen. Der größte Teil der Balinesen könnte sich nichtmal einen Flug aus Indonesien raus leisten. Und was machen wir? Wir meckern und beklagen uns, wir bauen uns Hürden ins Leben, weil "warum einfach wenn's auch schwer geht" und stricken uns aus jeder Kleinigkeit Probleme.
Als wir am nächsten Tag die Heimreise antreten fühle ich mich, trotz des ganzen Regens, doch ziemlich bereichert und bin froh, dass wir der Wetterapp am Anfang nicht so viel Beachtung geschenkt haben. Auf der Rückfahrt haben wir sogar noch ein bisschen Sonne und können wenigstens noch zwei Punkte von unserer Liste abhaken.