Im Kojteich
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Nagano - Japanisches Tschernobyl

Veröffentlicht: 10.04.2023

Sonntags-Meditation 🧘‍♂️

Heute geht's auf zur Zazen-Meditation, entsprechend muss vor 07:00 aus den Federn. Um diese Zeit ist in Deutschland Mitternacht. Ich ziehe los, auf den Straßen ist im Grunde gar nichts los. Es ist 7:30 Uhr, die Sonne strahlt.

Auf dem Tempelgelände angekommen suche und suche ich die Meditation, finde aber nichts. Ich höre eine Glocke, weiß aber nicht woher das Geräusch kommt. Kein Schild weist darauf hin, die Anlage ist groß. Ich schließe den Wachmann zu fragen, mit Hilfe des Google Übersetzers. Ich halte ihm das Handy hinten um zu fragen, wo ich die Meditation finden. Er kann mir selbst mit der automatischen Übersetzungsfunktion keine halbwegs zufriedenstellende Antwort geben. Ich höre wieder eine Glocke, die Meditatation fängt in Kürze an. Ich werde hier jetzt keine Räume öffnen, von denen ich nicht weiß, was sich dahinter verbirgt. Unbekannte Räume zu öffnen ist in so einer Anlage seine eigene Geschichte. Ich ärgere mich, hatte ich mich doch drauf gefreut und bin extra früher aufgestanden. Ich gebe auf, gehe ich halt in eine andere Meditation. Eine Geh-Meditation am Fluss entlang. Bei dem Sonnenschein ist das wohl das Beste, denn ich werde heute sechs Stunden bei diesem Wetter im Zug verbringen.🌞

Thomas hinter der Lokomotive 🚅

Diese Fahrt wird für mich zweimal umsteigen bedeuten. Mit der Gruppe war es easy, Miho hat sich um alles gekümmert. Wir sind nur von einer Stadt zur anderen gefahren, ohne umzusteigen. Miho hat uns die Sitze reserviert, wir mussten unsere Ärsche einfach nur auf  die zugewiesenen Plätze schwingen. Nun hingegen heißt es selbst die Strecke inklusive Umsteigen zu organisieren und einen Platz klar machen. Ein leichtes kribbeln, der Puls steigt. Aber ich habe hier schon schwierigeres bewältigt, z.B. Karabinerhaken zu finden. 😅

Ich sitze im Zug, alles läuft glatt. Am Platz sitzend ziehe ich meinen Laptop, tippe meine Zeilen nieder. Hier und da gehen die Mitarbeiter rauf und runter. Einer fällt mir aus den Augenwinkeln von hinten auf. Er ist ein Ticken langsamer als die anderen, er weckt meine Neugierde. Auch er geht durch den Wagon, aber lässt seinen Blick wie in einer lang einstudierten Choreographie schweifen. Von links nach rechts, von Reihe zu Reihe, in einem gleichbleibenden Tempo. Aber nicht aus den Augenwinkeln, er schwenkt seinen Kopf hin und her. Ein wenig erinnert er mich an eine menschliche Schreibmaschine. Hmmmm, da ist es wieder. Dieses Rituelle, dieses Achtsamkeit, der Fokus und diese Hingabe.

Ich werde nur kurze Zeit später an diese Achtsamkeit erinnert. Die Bahn fährt früher in Nagoya ein als erwartet. Ich packe hektisch meine Sache zusammen und bin dabei meinen Platz zu verlassen. Ich stehe bereits, bin einen Platz weiter, als ich mich selbst zur Achtsamkeit rufe. Gut so, denn es hätte mir wenig gebracht, wenn ich ausgestiegen aber mein Portemonnaie weiter gefahren wäre. 😓


Die drei von der Tankstelle

Ich treffe Damian und Mark. Ich kenne Damian aus alten ZA Zeiten, wir haben zusammen gearbeitet und uns immer super verstanden. Wir quatschen uns am Eis- und Kaffeeautomaten fest. "Sollen wir zum Zug?", lautet irgendwann Damians Frage. Shit, 2 Minuten, wir hetzen. Auch das noch, die Station akzeptiert weder einen JR Railpass noch die Suica. Vom Mitarbeiter werden wir auf die Automaten um die Ecke verwiesen. Okay, ich stelle mich an den Automaten. Aus heiterem Himmel öffnet sich neben dem Automaten vor mir eine Klappe, der Bahnmitarbeiter guckt raus. 🤣 Ich habe davon Bilder gesehen, aber das hat mich echt überrascht. Er fragt mich wohin es geht. "Yudanaka.", antworte ich. Ich soll wieder um die Ecke gehen. Nun drückt er mir ein Stück Papier in die Hand. Wir sollen beim Ausstieg zahlen. Wir hetzen runter zum Bahnsteig, schaffen es auf die letzten Sekunden. Danach genießen wir eine Stunde lang die weite Landschaft mit den Bergen im Hintergrund.

Nagano und Umgebung, 1998, im Winter. Olympische Winterspiele in Japans Alpen, das Land ist vorbereitet, Gebäude wurden dafür aus dem Boden gestampft.

25 Jahre später. In Yudanaka angekommen sind wir ... etwas überrascht. Die Stadt hat schöne Ecken, aber generell hat die Stadt hatte von einem creepy Tschernobyl-Film. Zur vollen Stunde spielt über die ganze Stadt hinweg laut ein Klingelton. Vor einem ehemaligen Sportgebäude steht eine Uhr, gibt zur vollen Minute eine gruselige, mehrsekündige Melodie wider. Wir holen uns nur kurz am Automaten etwas zu Trinken, aber die Melodie beginnt sich schnell wie spaltbares Material in  die Gehirne zu fressen. Gebäude sind teilweise verfallen, die alten Gebäude schon bestimmt seit Jahrzehnten nicht mehr betreten.

Wir ziehen weiter durch die Gegend. Diese Gegend ist bekannt für ihre heißen Quellen, deshalb werden wir morgen auch zum Affenpark gehen. Dort baden die Affen in den heißen Quellen. Hier kommt das heiße Wasser kostenlos aus dem Hahn, in der Stadt finden wir ein öffentliches Fußbad.

Fooood 🍜

Später geht's zum Ramen essen. Eher eine mittlere Enttäuschung, Würze richtet es auch. Aber immerhin der Onsen richtet es. Wir verbringen locker 20 Minuten in dem heißen Wasser. Da ist es wieder, diese totale Entspannung, die mir ein unwillkürliches Lachen hervorlockt.


Träumen Kois? 🎏

Ich dachte, er ist tot. Nein, alle. Als ich die Fenster später öffnete, sehe ich alle Kois im Teich auf dem Rücken liegend. Hin und wieder zucken sie. Ich stelle fest, dass ich nicht so viel über Fische weiß. Wie schlafen sie. Träumen sie wie Hunde es machen? Ich freunde mich mit dem Gedanken an. Es ist ein schöner Gedanke.

Japanisches TV 📺

Mark und Damian kommen vorbei, ausgestattet mit Chips und Dosengetränken sowie Erdbeermilch. Wir schalten den TV an, wollen es wissen. Was haben uns die nicht mal 10 Sender an Unterhaltung zu bieten.
Erneut, auf fast jedem Sender wird ein kleines Bild gezeigt, Reaktion von zuschauenden Personen. Das kuriose: Es ist eine Nachrichtensendung, auf dem Schirm läuft ein Video von einem Hubschrauber, der scheinbar abgestürzt ist.

Okay, weiter. Wir landen bei einer Gameshow. Unten rechts läuft ein Timer herunter, er steht aktuell bei 35:00. Da drunter läuft ein Zähler hoch, er zählt einen Geldbetrag hoch.
Wir erfassen die Show recht schnell. Sie heißt "Run for the Money". Es sind Kandidaten auf einem leeren Freizeitparkgelände zu sehen. Dann wechselt das Bild zu bedrohlich wirkenden Männern und Frauen in Schwarzen Anzügen und weißen Hemden. Ausgestattet mit einer schwarzen Chronos Sonnenbrille und einer daran angebrachten Kamera. Die schwarze Atemschutzmaske rundet das Visuelle ab.
Auditiv kommt hinzu, dass bei jeder Einblendung eine bedrohliche Melodie eingespielt wird. Es hätte auch der Terminator-Sound laufen können. Das Sahnehäubchen ist der Sprecher. Seine einzigarte Stimme unterstreicht die Bedrohung. Wir verstehen so gut wie nichts, aber ein überbetontes Wort springt hervor. "Hunter".

Uns wird sehr schnell klar, was hier abläuft. Fangen für Erwachsene mit Geldgewinn für die Übrigbleibenden.

18:3418:33. 18:32 

Wir merken, dass wir bereits über eine Viertelstunde dran kleben. Na dann können wir es auch zu Ende schauen. Es sind noch sechs Spieler an dabei, alle anderen wurden gefangen durch die vier Hunter. Zwischendurch bekommen die Kandidaten Missionen. Die letzte Mission lautet drei als Monster verkleidete Menschen auf dem Gelände einzufangen. Zwei Monster können gefangen werden, hier und da holt sich ein Hunter einen Spieler

 05:02. 05:01. 05:00

Die Mission ist gescheitert. Das Monster befreit 10 weitere Hunter, die wie von einer Wespe gestochen aus einem Raum laufen und das Gelände fluten.

00:35. 00:34. 00:33

Das war's. Wir sehen dabei zu, wie auch der letzte Spieler gefasst wurde. Wir hatten eine witzige Zeit, trotz Sprachbarriere.

Wer Lust drauf hat, kann es sich im japanischen VPN auf Netflix anschauen. Definitiv eine Empfehlung für solche Abende.

Danach schauen wir uns Werbung mit Nasenspülung an. Bei uns siehst du einen Schauspieler, eine Animation, den Schauspieler. Hier hingegen bekommst du das volle Programm. Du siehst, wie die Suppe aus dem Nasenloch rausläuft. 😂

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