Im Kojteich
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Kyōto - Tempelicious - Tag 1

Veröffentlicht: 30.03.2023

You gotta fight! For your right! To sleep well!

Nach einer zweistündigen Fahrt mit dem Expresszug und einem einstündigen Flug mit dem Bullet Train Shinkansen sind wir in Kyōto gelandet. Der übersprünglichen Hauptstadt des alten Japans. Wir checken ein im Pocket Hotel. Wenn's um Übernachtung geht, dann ist klein nun mal günstig. 2 Betten breit und 2,2 Betten lang, drin stehen 2 Betten, zwei 30 cm breite Aussparungen unter einem der Betten für Taschen. Wir bekommen unsere Keycards. Ich bekomme meine ausgehändigt und nehme den Aufzug in den fünften Stock. Ich bin so gespannt, wer für die nächsten drei Nächte mein Zimmergenosse sein wird. Und erlebe beim Öffnen der Tür einen Tritt in die Eier. Der Kettensägen schwingende Mondzerstörer liegt bereits in einem der beiden Betten und begrüßt mich. Ich grüße wohlwollend zurück, sterbe innerlich und betrete den Raum. Ich sehe mich um. Checke den Raum. Und sterbe innerlich ein weiteres Mal, diesmal in einer aufflammenden Wut. Die Weltpolizei hat beide Aussparungen unter dem Bett mit seinen kompletten Sachen in Anspruch genommen. Ich überlege etwas zu sagen, entscheide mich jedoch dagegen, schiebe seine Sachen in die erste Aussparung und quetsche meine in die zweite. Es anzusprechen hätte mich auf einen ungewünschten Pfad geführt. Er ist schwerhörig, trägt Hörgeräte und murmelt unangenehm laut und texanisch undeutlich. Es hätte meinen Geduldsfaden nur noch schneller abgebrannt.

"Wer kämpft, kann verlieren! Wer nicht kämpft, hat schon verloren!"

Da hilft nur Phoenix aus der Asche. Ich gehe runter in die Lobby, erfahre dass Charles vermutlich erneut das Einzelzimmer hat. Ich suche also Miho auf, ziehe sie beiseite und erkläre ihr die Situation. Und gestehe ihr offen, dass einer von uns diese Nacht nicht überleben würde. Ich schreibe paralell mit Charles, erkläre ihm die Situation. Ob er nicht mit meinem aktuellen Genossen tauschen wollen würde. Cowboy erhielte ein Upgrade und bekäme das Einzelzimmer, Charles käme zu mir. Charles willigt ein, zwinkert unter der Bedingung "1 glass of japanese Whiskey". Ich stimme nicht zu. "3 glass of Whiskey. Deal!" Nach 3 Nächten mit insgesamt 4 Stunden Schlaf wäre ich bereit gewesen ihm 3 Flaschen zu spendieren.Miho weiß Bescheid, spricht mit der Rezepetionistin und mit meinem Ami, alle gehen d'accord. Ich bin überglücklich, mein Schlaf ist gerettet. Diese gute Laune manifestiert sich innerlich, trägt mich durch den Rest des Tages, verleiht mir kleine Flügel der Unbeschwertheit.


Und diese Anlage, die ich meine, die ist riiiiieeesig!

Nach dieser Erleichterung geht es raus in die Stadt. Wieder hat sich eine gute Truppe versammelt. Björn und Olivia, ein Pärchen aus Dänemark sowie die drei Inselbewohner Adam "Sir British", Rob "The Ears & Eyes" und Sam "McBurnie". Sam den Schotte haben wir nun "McCharming" getauft. Jeder, der 15 Minuten mit ihm verbringt weiß wie gerechtfertigt der Titel ist.
Auf geht's zum alten Kaiserpalast. Das dies mal das Zentrum eines Kaiserreichs war, sieht man an allen Ecken. Die kaiserliche Anlage ist unbeschreiblich weit. 1.300m x 700m. Das so etwas überhaupt in einer modernen 1,5 Mio. Einwohner überhaupt seinen Platz behält ist erstaunlich. Wir schauen uns die Tempelanlage im strahlenden Sonnenschein an, wandern mehrere Stunden herum und posen rum.

Sorry Serge, keine Drohnen. ; )

Kommen ein Deutscher, zwei Britten und ein Australier in eine Bar

Irgendwann sag Rob zu mir: "You're the funniest German I've ever met!" Ich kontere: "Thanks mate, but technically I was born in Poland." 😁 
Erstaunlich. Wir haben bisher erst zwei Tage miteinander verbracht, aber die Gruppendynamik ist eine unvergleichbar harmonische. Rob ist quasi mein "Brother from another Mother". Kleiner, dünn, gut gelaunt, gleiche "That was a dick joke. Duuuhh!"-Mentalität im Kopf und immer ein Lied auf den Lippen. Dies wird uns noch herrliche Momente bescherren.
Auf dem Rückweg ins Hotel kommen wir an einem Irish Pub vorbei. McCharming's und Crocodile Dundees Mission: Einen japanischen Whiskey zu probieren. Bisher war die Mission erfolglos. Heute sollten sie erfolgreich sein. Wir gehen rein und haben eine gute Zeit.

Der sexy Schotte, der durstige Deutsche, der britische Bruder und der alte Australier

Stop! In the name of self-love!

Nachdem wir uns in der Lobby versammelt haben, geht die komplette Truppe im Dunklen Richtung Karaoke-Bar. Endlich ist es soweit. Rob und ich schnappen auf dem Weg 5 Sekunden eines Techno-Songs auf, dessen Name mir entfallen ist. Diese 5 Sekunden bleiben kleben, lockern die Tanzmuskeln. Wir gehen tanzend mit der Truppe, tanzen auch mal wildfremde Menschen an, Freude kommt als interkultuerelle Antwort zurück.
Ich erblicke einen Spielplatz. Ich erblicke einen Hügel. Ich drehe mich nach rechts, Rob schaut mich an. Wir schauen beide auf die Rutsche, schauen uns beide wieder an. Und laufen los. Als ginge es um Leben und Tod erklimmen wir so schnell wie möglich Hügel, springen auf die Rutsche und kommen unten lachend an. Auch Charles hüpft spontan mit drauf. Danach laufen wir wieder zur Gruppe zurück.
Leaf merkt an, dass sie manchen Humor nicht verstehen würde, es entwickelt sich ein kleines Gespräch. Unter anderem auch im Bezug auf die Rutsche. Ich schaue sie verwundert an und gebe sinngemäß zurück:

"Leaf, weißt du was? Ich kann nicht allen Leuten, denen ich begegne, gefällig sein. Glaub' mir, ich habe es versucht. Und dabei zu oft mein Zentrum abgegeben. Wenn ich mein Zentrum abgebe, bin ich fremdbestimmt. Lege mein Schicksal und mein Glück in die Hände anderer. Belüge mich selbst. Denn wenn ich etwas nur zum Gefallen anderer mache, dann lüge ich mich selbst an.
Was bin ich für ein Mensch für andere, wenn ich mich nicht mal selbst liebe? Wie will ich dann ein Überfluss an Liebe für andere haben?
Von daher, fuck it! Nicht alle Menschen werden dich lieben, hab' für dich selbst Spaß ohne andere zu schädigen und du wirst sein wie ein schwer Übergewichtiger auf einem Wasserbett - du ziehst alles in deiner Nähe an.
"

5 Sekunden später fängt Rob wieder mit dem Techno-Lied an, wir stehen uns wieder, mit den Armen und Hüften zappelnd, tanzend gegenüber.

What does the seal say?

Im Restaurant staunen wir nicht schlecht, zücken sofort unsere Handys für Fotos. Im Grunde sieht es aus, wie man sich ein typisch japanisches Restaurant vorstellt. Nur in echt. Ich studiere die Getränkekarte. "Hmmmm... Das klingt ... fremd. Das nehme ich."
Und ja, was soll ich sagen? Wenn ich jemals wieder die Gelegenheit bekommen sollte heißen Sake mit Kugelfischflossen bestellen zu können, ich werde es jederzeit anlächeln, dieser Gelegenheit zuwinken und vorbeiziehen lassen. Es schmeckt wie Fischsuppe mit Alkohol.
Wir warten nicht lange auf unser Essen. Nun ja, abgesehen von allen Sushi-Bestellern. Bei denen zieht es sich ungemein hin. McCharming neben mir betrifft es auch. Er quält sich ein wenig, jammert im tiefsten schottischem Akzent. Selbst englische Muttersprachler fragen nach, was er gesagt habe. Sein Blick. Die Absurdität. Sein Akzent. Der Sake. Und die Erleichterung über den Zimmergenossentausch. Die allgemein gute Laune. Nun ist es wieder geschafft - Thomas lacht wie ein erstickender Seelöwe - und ist nicht zu stoppen. Und die Laune steigt weiter. Es wird warm.

Sing Hallelujah!

"Dort wo gesungen wird, dort lass dich nieder,
denn böse Menschen kennen keine Lieder."

Aber diese Menschen, mit denen ich unterwegs bin, die kennen Lieder. Und selbst wenn nicht, der Text läuft mit. Genau, es ist Karaoke-Zeit!
Es ist mein erstes Mal. Ich habe nur den Kugelfisch-Sake intus. Aber beim Karaoke kommt es weniger auf den Pegel als auf die Freunde an, die mit einem unterwegs sind. Seit dem ersten Tag haben wir uns schon gegenseitig gefragt: "What's your karaoke song?" Ohne Backstreet Boys verlasse ich diese Laden nicht, schnappe mir sehr schnell das Tablet und gebe auch meinen Musikwunsch ein. Die komplette Bandbreite wird sich gewünscht; wo wir einigermaßen textsicher sind, singen wir mit. Das schiefe Singen wird überlagert von der freudvollen Energie, die den kleinen Raum durchflutet. Ich schaue nach ein paar Songs auf die Uhr, als ich mit Erschrecken feststelle, dass bereits eine 3/4 Stunde vergangen ist. Nur noch 15 Minuten. "Nelly - It's getting hot in here" kommt auf die Liste. Als die Stunde um ist, fängt es an. Wir verlassen tanzend und singend den Raum. 

Backstreet Boys in the hood

Improv(e) Theatre

Charles und ich liegen jeweils in unseren Betten, unterhalten uns angeregt. Irgendwann lasse ich fallen, dass ich eigentlich ein introvertierter Mensch sei. Er glaubt mir nicht. Hätte ich auch nicht, hätte ich mich heute Abend von außen auf der Bühne gesehen. Er fragt mich, was mir geholfen habe. Ich überlege. Nicht lange, denn diese Frage habe ich mir oft gestellt oder in Situationen wie solchen bereits beantwortet.
"Wenn ich dir nur einen YouTube Kanal nennen müsste, so wäre es 'Charisma on Command'." Er lacht kurz auf. Ja, er sei selbst Fan davon.

Ich frage ihn, wie alt er sei. 22. Wow, sehr jung.
Ich frage ihn, was seine Hobbies sein. Anime, Manga, unter anderem. Klar, nicht verwunderlich solche Fans auf so einer Reise anzutreffen.
Ja, der YouTube Kanal habe mir sehr weitergeholfen, aber es ist nur ein kleiner Teil.

Ich beginne angeregt über meine letzten drei Jahre Impro-Theater zu erzählen und wie Nicole's Arbeit mich hat wachsen lassen. Dass ich immer als erstes auf die Bühne bin, um mir diese Angst wegzutrainieren. Erzähle ihm von der Angst vor Ablehnung und dem damit verbundenen People-Pleasing. Dass ich gelernt habe, auf der Bühne nicht immer die Bestätigung anderer mit Hilfe von Blickkontakt zu suchen, sondern einfach im Hier und Jetzt mein Ding zu machen. Entweder andere haben Freude an meiner Fülle, oder nicht. Er ist interessiert, notiert sich gedanklich einen Probeabend zu machen.

Ich erzähle ihm ein wenig von meinem ersten Seminar für Männerarbeit, an dem ich teilgenommen hatte und die Arbeit am Kölner Männertag. Aber auch die Wichtigkeit des Gleichgewichts zwischen Weiblichem und Männlichen beim Aufwachsen. Und bringe natürlich mein übliches Beispiel des Kindes, dass einen Baum hochklettern will. Die Mutter tendiert zum Beschützen, will das Kind am liebsten sofort wohlbehütet auf dem Boden der Tatsachen wissen. Und der Vater? Der steht drunter und schreit das Kind an. "Noch ein Ast! Kommt, da geht noch was!"Beides hat seinen Platz, im Gleichgewicht. Mir kommt Judith's Spruch in den Sinn:

"Kinder die nichts dürfen werden Erwachsene die nichts können."

Ach ja, Papa, wenn du das hier und heute liest: Alles Liebe und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich hab' dich lieb. 🥳

Nach einer Stunde legen Charles und ich uns schlafen, wir hätten noch ewig quatschen können.
Sein erster Kommentar am nächsten Morgen: "Was wollte ich mir merken? Impro. Was noch?"
Was mir immer helfen würde, ist meine Gedanken niederzuschreiben. Papier sei wie gedüngte Erde, seine Gedanken wie Samen. Ich erspare mir jeglichen weiteren Kommentar. Er schnappt sich sein Handy für Notizen, ich gehe Duschen. Ein neuer Tag bricht an in Kyōto.

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