Veröffentlicht: 31.03.2023
05:30 Uhr. Der Wecker geht, weckt Charles und mich nach nicht mal 6 Stunden. Vorbereitung und Aufbruch um 06:15. Wir fahren mit der Metro. Kaum ausgestiegen werde ich nett überrascht. Die Bahnstation begrüßt uns mit einem Fuchsmotiv. Es handelt sich hierbei um Inari, die Göttin der Fruchtbarkeit, der Reise und... der Füchse. 🦊 Irani wird begleitet von den shintoistischen leuchtend-roten Shinto-Torbögen mit dem passenden Namen "Torii". Und für meine Herzenskrieger-Freunde; Irani wurde oft gleichgesetzt mit den bhuddistischen Dakinis. ; )
Und an Iranis und Toriis gab es keinen Mangel. Der ganze Berg war voll. Wir beginnen unseren Aufstieg um kurz vor 07:00, die Händler bauen links und rechts am Fuße des Berges ihre Fressbuden auf, in freudiger Erwartung auf die heutige fette Touristenbeute. Ich mache keine Anstalten die Toriis zu zählen. Auch wenn es bestimmt eine schöne Meditationsübung abgeben würde, die genaue vierstellige Zahl herauszufinden. Ein Torii reiht sich am nächsten, der Abstand beträgt gerade mal 30cm. Ein Bogen nach dem anderen, Richtung spitze des Berges schlängelnd. Was auffällt, sind Beschriftungen an den Toriis sowie die unterschiedlichen Größen und Alter. Mohi erklärt uns, dass die Torii gesponsert werden, von örtlichen Firmen und Personen. Und je dicker dein Spendenbeutel ist, umso größer ist dein Balken. Dies gilt nicht, wenn du dein Geld an dicke Autos spendest. ; )
Adam "Lord British" und ich fangen an zu philosophieren. Über die Endlichkeit des eigenen Lebens und der Vergänglichkeit. Darüber, dass jeder Mensch etwas von Wert hinterlassen will. Seien es Kinder, Schüler oder Werke.
Das Leben zieht zu schnell vorbei. Ich sehe nicht zum ersten Mal jemanden, der sein Handy im Gehen hochhält und ein Foto schießt. Kein Klicken beim Auslöser, er ist also Tourist. Japanische Modelle müssen einen Auslösersound haben, der Perverslinge wegen.
Ich überlege. Wie viel kann ein Foto wert sein, dass du so schießt, dass du einmal bei Insta postest, zwei Mal selbst anguckst und drei Mal Freunden zeigst. Stolz deiner ach so harten Anstrengungen und Achtsamkeit, die dich dieses Foto gekostet hat? Wie viel ist dieses Foto wert. Nein, wie viel war dir dieser Augenblick wert?
"Hört, hört! Seht, seht! Ihr törichtigen Narren. Staunet ob der meiner instagramablen Errungenschaft. So versinke der staunende Pöbel in der Jauchegrube des Neids. Aber so vergesset er nicht, einen egoschmeichelndes Like sowie seine Folgschaft zu hinterlassen."
Ich denke wieder an die Fahrt im Skytrain, als ich mich wie ein kleines Kind gefreut habe, nur weil ich aus dem Fenster geschaut habe.
Ich denke an meinen Unfall zurück, bei dem ich durch Trunkenheit fast ertrunken wäre.
An die norwegische Nacht, in der ich 3 Stunden auf die Bergrettung gewartet habe, bis sie mich vom kniehohem Schnee auf dem Bergplateu gerettet haben.
An all die Autofahrer, die im Blindflug an ihren Handys gefesselt meinen, dass genau diese eine Nachricht keine 15 Minuten warten könne.
Adam und ich beschließen erst den Eindruck wirken zu lassen und dann zwei Mal drüber zu denken, ob mir dieses Foto auch später noch etwas gibt. Wir stecken unsere Handys ein und lassen das unter uns wachwerdene Kyōto auf uns wirken. Wir sehen eine Menge Schreine und Toriis, ich spüre auch hier diese Verbindung zwischen Natur und Respekt.
Vom Fuchs geht's im Zug durch die Stadt, ein wenig außerhalb. Der Bambuswald wartet auf uns. Es ist super touristisch, die Massen quetschen sich durch. Es gibt spezielle Teilwege für Rikschas, inklusive Haltebucht für ein Fotoshooting. Ich schaudere, schieße genau zwei Fotos. Als Gedankenanker. Danach gehen wir zum Bahnhof, ein Bahnhof mit Flair. Dieser Nahverkehrsanbieter hat Stil.
Nach diesem Ausflug geht's weiter zum Goldenen Pavilion. Als Dritttempel ganz gut zu gebrauchen. Auch hier, Massen an Leuten. Wie zu erwarten bei den Hauptattraktionen. Aber hey, wir erhalten keine popplige HP-Drucker Eintrittskarte, diese und die späteren Tempel-Eintrittskarten machen was her. Mehr dazu, wenn ich etwas über Souvenirs schreibe.
Ich gehe aufs WC; dank Sonne, ständigem Trinken und kleinem Sonnenstich ein Ort, den ich gerade nur zu Genüge kenne. Auf dem Weg nach draußen sehe ich einen Jugendlichen mit einem Hoodie und lese die Aufschrift auf seinem Rücken. Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf.
Mein Gremlin sagt "Tu es!".
Mein Kopf sagt "Sich jetzt hinter ihn zu stellen und den Augenblick meditativ auf dich einwirken zu lassen könnte vielleicht ein wenig interkulturelle Irritation auf Grund von Perversion hervorrufen."
Mein inneres Kind sagt gar nichts sondert pisst sich vor Lachen ein.
Mein Gremlin zückt mein Handy. Zum Glück habe ich kein japanisches Modell. Verdammte Perverslinge.
Nachdem jeder von uns ein Matcha-Softeis hatte, trennen sich einige Wege. Adam und Rob fragen mich, ob ich Lust hätte mit in den Stone Garden zu gehen. "Of course!", lautet die einzig richtige Antwort.
Wir ziehen los und gelangen in die Tempelanlage. Sie ist relativ klein, aber dafür ist auch weitaus weniger los. Am Eingang müssen wir unsere Schuhe ausziehen, schleichen auf Socken durch die Anlage. Die Leute kommen für den steinernen Zen-Garden. Das typische, viele kleine Steine, durchzogen von kunstvoll und dennoch einfach angeordneten Furchen. Die komplette Holzterrasse ist voll von Leuten, auf mich wirkt es wenig einladend. Im wahrsten Sinne des Wortes ist direkt um die Ecke nichts los, und die grüne Aussicht spricht mich weitaus mehr an.
Überhaupt scheint das hier ein eigenes Thema zu sein. Du gehst an der mit Autos gefluteten Hauptstraße entlang, biegst in eine x-beliebige Seitengasse ein und landest in einer stillen Welt aus dem Edo-Zeitalter.
Wir ziehen weiter durch die Anlage, entdecken wieder das Thema Respekt. Respekt und Vertrauen.
In Deutschland würde das Stützen eines Astes mit einem Stock so nicht funktionieren, aus verschiedenen Gründen.
Es würde vermutlich keine Woche dauern und ein Halbstarker würde im Beisein seiner Gruppe Halbaffen das Ding wegknüppeln. Nur für einen schneller Lacher.
Was viel wahrscheinlicher ist, dass eine Behörde den Ast absebeln würde, zur Sicherung der umliegenden Bewohner.
Irgendwie bezeichnend für die Gesellschaft, in der wir leben. Wir sind so sehr auf uns selbst bedacht, dass wir lieber etwas zu unserer eigenen Bequemlichkeit abschneiden, obwohl es uns so viel geschenkt hat. Obwohl es auch andere Lösungen gebe. Äste werden durch totes Holz gestützt, ohne dass ein Mensch diesen ständig stützen muss. Warum also nicht auf die eigenen Kräfte und auf Synergien zugreifen, statt seine Oma ins Altersheim nach Ungarn zu schicken und darauf zu warten, dass man eine Urne voller Dreck zurückerhält. Ich meine, wie wertvoll können sterbliche Überreste sein, wenn der Mensch vorher schon wie Dreck behandelt wurde?
Etwas abschneiden liegt dem Menschen wohl. Ich meine, es gibt Frauen die rasieren sich die Augenbrauen, nur um sich diese dann wieder täglich ins Gesicht zu malen. Kein Tier ist so bescheuert und würde sich freiwillig den Arm abschneiden, nur um sich dann an einer Prothese zu erfreuen. Ich denke plötzlich an den bescheuerten "I identify as a blind person" Artikel.
Ich liebe diese Anlagen, sie sind schön. Da kommt kein sogenannter japanischer Garten in Deutschland gegen an.
Der Abend neigt sich dem Ende, es ist Zeit fürs Abend essen. Ich höre, wie der Essenszug sich nähert. Der Sushi-Train steht an. Nicht nur, dass ich mal endlich original Sushi probieren kann, nein. Es kommt auch noch auf einem Fließband zum Tisch. Bis wir allerdings am Tisch sitzen dauert es. Wir versuchen drei verschiedene Locations, alle sind voll belegt mit Warteschlage und Nummern ziehen. Überhaupt scheint es hier normal zu sein in einem Vorraum zu warten. Nicht weiter verwunderlich. Der Japaner an sich zahlt teure Miete für kleine Buden, das Leben findet außerhalb in den Restaraunts statt. Freunde werden fast gar nicht nach Hause eingeladen, mit trifft sich zum Speißen.
Es is(s) lecker, wir haben eine gute Zeit. Gegen 21:00 geht's zurück ins Hotel, morgen ist ein wenig ausschlafen angesagt, danach Free-Roam, letzter voller Tag im schönen Kyoto.