Nach nur einer Nacht verließen wir das kleine Örtchen „National Park Village“. Auch wenn die Gemeinde, die wohlmöglich den unkreativsten Namen von ganz Neuseeland erhielt, keine kulturellen Angebote bietet, muss man ihre perfekte Ausgangslage hervorheben. Sie spezialisiert sich ausschließlich auf Touristen und liegt zentral im „Tongariro National Park“ - dem Ältesten aller neuseeländischen Nationalparks.
Das Wetter war wie erhofft (mehr als) gut - das längere Warten in der vergangenen Woche machte sich jetzt schon bezahlt. Bereits vor dem Frühstück waren die prominenten Wahrzeichen der Region zu sehen.
„Mount Ngauruhoe“ ist, ähnlich wie „Mount Taranaki“ an der Westküste, ein perfekt geformter Vulkan, wie man es aus Bilderbüchern kennt. Derselben Meinung schien auch der Regisseur Sir Peter Jackson gewesen zu sein, der den 2.287m hohen Berg als einen Drehort für die „Herr der Ringe“-Trilogie auserwählte. Genau hier endete die lange und beschwerliche Reise von Frodo und Sam, indem sie den Ring im Schicksalsberg (engl.: Mount Doom) zerstörten.
Doch allzu lange gibt es Mt Ngauruhoe noch nicht. Er ist der jüngste Vulkan der Nordinsel und brach bis zum Jahr 1975 alle neun Jahre aus!
In unmittelbarer Nähe befindet sich der Namensgeber des Nationalparks: „Mount Tongariro“. Ebenfalls ein Vulkan mit einer Höhe von 1.976m, dessen letzter, größerer Ausbruch vor sechs Jahren stattfand.
Der dritte und letzte Vulkan im Bunde ist gleichzeitig der höchste mit 2.797m. „Mount Ruapehu“ ist ein unberechenbarer Vulkan, der schon häufiger für Zerstörungen sorgte. Am Weihnachtsabend des Jahres 1953 kollabierte beispielsweise der Rand des Kratersees und gab dadurch eine große Welle Vulkanschlamm frei. Diese begrub eine Eisenbahnbrücke unter sich. Ein heranfahrender Zug konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und stürzte in die Tiefe. Über 150 Menschen verloren bei der Tragödie ihr Leben.
Doch
von all den Fakten ließen wir uns nicht einschüchtern und fuhren geradewegs auf
die Vulkanlandschaft zu. Hierbei ergaben sich natürlich einige
Fotomöglichkeiten am Straßenrand. So entstand zum Beispiel das tolle Bild von
einem Hinweisschild, welches vor herumlaufenden Kiwis warnt, zusammen mit Mt Ngauruhoe.
:)
Nach gut 30 Minuten näherten wir uns dem Bergdörfchen „Whakapapa“. Dabei
gerieten wir ohne jegliche Vorwarnung in einen Stau! Die Hauptstraße (und
beinah einzige Straße in diesem Ort) war überfüllt mit Autos und
Wintersportfreunden. Mehrere Busse transportierten die Ski- und Snowboardfahrer
in das nahgelegene Ski-Gebiet.
Glücklicherweise fanden wir einen Parkplatz direkt im Stadtzentrum - und
mussten nicht 15 Minuten oder länger die Landstraße entlanglaufen, auf der die
Autos mit hoher Geschwindigkeit an einem vorbeisausen.
Wir verschafften uns in dem heillosen Sonntags-Trubel einen Überblick und waren schon
kurz danach auf einem Wanderweg unterwegs. Der zweistündige Rundweg zu den
„Taranaki Falls“ führte zu Beginn durch flache Steppe, wodurch man die drei
Vulkane stets im Blick behalten konnte. Anschließend wanderten wir durch ein
dichtbewachsenes Waldgebiet entlang eines Bachlaufs. Quasi aus dem Nichts
tauchte nach 50 Minuten der 20m hohe Wasserfall auf. Durch einen Spalt in
der Felswand suchte sich der Taranaki Fall seinen Weg ins Tal. Ein
beeindruckendes Bild, was ihn in unserem persönlichen Ranking unter die 15 schönsten Wasserfälle von Neuseeland katapultierte.
Vom Auffangbecken des Wasserfalls ging es für uns weiter zu seinem höchsten
Punkt. Wir folgten dem Rundweg und standen schon bald
selber auf der Felswand, die wir eben noch von unten betrachteten. Von hier
eröffnete sich ein weitläufiger Blick auf die Ebene - sogar Mt Taranaki war in
250km Entfernung auszumachen!
Jetzt mussten wir eine schwierige Entscheidung fällen. Belassen wir es beim
zweistündigen Rundweg und kehren zurück nach Whakapapa oder ist unsere
Motivation groß genug, um noch zu einer weiteren Sehenswürdigkeit zu
marschieren? Ins Auge gefasst hatten wir hierbei den 7km langen Track zu den
„Tama Lakes“. Die Laufzeit wurde mit weiteren 90 Minuten für den einfachen Weg
angeben. Dies bedeutete: Wir sind mindestens die
nächsten vier Stunden unterwegs …
Wir wollten es versuchen. Das Wetter war heute einfach zu gut. Also bogen wir
gegen 11:45 Uhr am besagten Wegweiser ab und hatten nur noch ein Ziel vor
Augen: die Tama Lakes. Wegen des (größtenteils) flachen Gebiets gelang es uns, immer mal wieder den weiteren Wegverlauf zu erahnen. Doch ein Ende der Reise
war lange nicht zu sehen. Nach knapp 40 Minuten kamen erste Zweifel auf. Der
Schicksalsberg, welcher sich ständig in unserem Blickfeld befand, war
mittlerweile von einer Wolkendecke umgeben. Zudem verschwand die Sonne hinter
Wolken, was die Außentemperatur auf über 1.200m Höhe nicht angenehmer machte.
Nach weiteren 20 Minuten tauchte ein erster Hoffnungsschimmer auf. Ein Schild
wies die weitere Strecke bis zu den Seen mit weniger als 30 Minuten aus. Von
diesem Punkt an gab es nur noch eine Richtung: Vorwärts!
Noch schnell eins, zwei Bachläufe überquert, erreichten wir nach über 2,5
Stunden (inkl. dem halben Rundweg zu den Taranaki Falls) den unteren Tama Lake. Wir
kamen am Aussichtspunkt an, tranken einen großen Schluck Wasser und bestaunten
sprachlos das Bild, welches sich vor uns eröffnete. Wo vor über 10.000 Jahre
noch aktive Vulkankrater wüteten, hat sich heute ein Süßwassersee gebildet.
Der hellblaue See, eingerahmt von bewachsenen Berghängen und die vielen, dünnen
Flussadern, die in ihn münden - unglaublich. Mittels Fotos und Videos versuchten
wir die Dimensionen einzufangen, die nur schwer nachzuempfinden sind.
Da die Anstrengung bis hierhin verfolgen war, folgten wir hochmotiviert dem restlichen
Wanderweg. Umso weiter wir liefen, umso winterlicher wurde das Drumherum. Der
Trampelpfad war teilweise vereist, gelegentlich lag knöchelhoch der Schnee und
auch die Wegweiser waren nicht immer auf Anhieb zu erkennen. Zu unserem Glück
konnten wir Sichtkontakt zu einem weiteren Pärchen halten, die nur einige Meter vor uns herliefen und nach einem geeigneten Weg suchten. ;)
Nach ungefähr 20 Minuten baute sich vor uns der anspruchsvollste Abschnitt der
Wanderung auf. Die Strecke führte über einen steilen Berghang, der ausschließlich
aus losen Steinen bestand. Abgesehen von der Steigung war es vor allem die
Ausrutschgefahr, auf die wir nun achtgeben mussten! Wir drosselten die
Geschwindigkeit, setzten ein Fuß nach dem Anderen und erklommen die Passage
ohne Zwischenfälle. Auf den letzten Metern gesellte sich immer mehr Schnee
dazu, unsere Oberschenkel begannen zu brennen und die Stimmung drohte zu
kippen. Genau in diesem Moment begegnete uns ein Backpacker, der uns Mut
zusprach: „It’s absolutely worth it!“. Also los jetzt, es ist nicht mehr weit.
Minuten später kamen wir am steinigen Plateau an. Das 360° Panorama,
welches uns nun umgab, ist mit Worten nicht zu beschreiben … Wir nahmen
erschöpft auf einem größeren Stein Platz und genossen mit einer Handvoll
weiterer Wanderer, jeglichem Alters, neben den warmen Sonnenstrahlen die
sagenhafte Aussicht vom „Upper Tama Lake Lookout“. - Wir hatten hohe
Erwartungen an den Tag gelegt, haben ja schließlich auch lange darauf gewartet.
Doch die Bilder, die sich von hier oben boten, entschädigten für Alles - das Warten
und die Mühen, hier rauf zu kommen! - Der Blick auf den tiefblauen See, Mt Ngauruhoe
und die weiße Winterlandschaft war phänomenal. Auch die Sicht zur anderen Seite
war fantastisch. Der breite Mt Ruapehu mit seinen schneebedeckten Hängen war
uneingeschränkt zu sehen. Ebenso wie der Lower Tama Lake. Spitze. Einfach Bergspitze!
Nachdem wir unzählige Bilder geschossen hatten, ließen wir uns unser Äppelsche
schmecken und wären am liebsten nie wieder gegangen.
Gegen 14:10 Uhr brachen wir schweren Herzens zur Rückreise auf. Vorteil hierbei
waren die markanten Stellen, die uns Orientierung gaben, wie weit es noch ist. Trotzdem können wir es nicht
verleugnen - der Weg zurück nach Whakapapa zog sich trotz weniger Pausen ins Unendliche.
Irgendwann tauchten die ersten Häuser am Horizont auf - und nach insgesamt
sechs Stunden kamen wir erleichtert, ausgelaugt und überglücklich zurück am Auto
an! Dabei legten wir eine Gesamtstrecke von über 17 Kilometern zurück. Kann man
mal sehen, was in uns kleinen Hobbits so steckt. ;) Zur Belohnung gab es ein
Stück Schokolade der besonderen Art. Eine Neuseeländische, welche mit
Erdnussbutter gefüllt war.
Yummyy!
Inzwischen war es 16:10 Uhr und ein Schlafplatz für die Nacht noch nicht
gefunden. Wir versuchten unser Glück auf dem örtlichen Campingplatz in
Whakapapa. Der Rezeptionist machte uns zunächst keine großen Hoffnungen. Als er
allerdings erfuhr, dass wir lediglich in einem Auto schlafen und keinen großen
Camper fahren, zauberte er doch noch einen Stellplatz aus der Trickkiste. Am
engen Straßenrand durften wir parken und die Räumlichkeiten mitbenutzen.
Unser Sam stand zwar ziemlich abschüssig, doch wen interessiert das noch
nach so einem Tag?