Veröffentlicht: 10.09.2018
Neun Wochen haben wir es im Alltag ausgehalten, bevor wir wieder eingeknickt sind: die Hauptsaison im Job, die anhaltende Hitze, und das Fernweh waren übermächtig. Anlässlich des 60. Geburtstags meiner Mama wurden wir eingeladen, ihre Lieblingsorte in der Normandie kennenzulernen. Im Anschluss an die Hochzeitssause von Marco und Kathi (Lars’ Bruder und Schwägerin) haben wir unsere mobile Leihbehausung geschnappt und sind 11h bis nach Longues sur Mer gefahren, wo Ida mit den Großeltern schon gewartet hat.
Erster Stop sind die Geschützbatterien der Deutschen an der Küste. Irgendwie sind die stummen Zeugen des zweiten Weltkriegs kein schöner Start in einen Urlaub, doch sind wir der Meinung, dass man es mal gesehen haben sollte, bzw die Erinnerung auch gerne noch mal auffrischen kann. Selbstverständlich war der D-Day Teil des Kurrikulums in der Schule, und als Geschichtsinteresierte haben wir so manche Doku geschaut. Es ist uns also durchaus bewusst, was sich vor 75 Jahren an der nordfranzösischen Küste abgespielt hat. Tatsächlich aus den Schießscharten auf das Meer zu blicken, ist dennoch eine völlig andere Nummer.
Mit dem Wissen, wie viele Menschen hier ihr Leben ließen, wie viel Leid und welche Grausamkeiten hier stattfanden (sowohl physisch, als auch psychisch), ist es mehr als beklemmend, in den Betonkästen rumzulaufen. Fast fühlt es sich schon falsch an, hier mit Ida zu spielen, um die Wette zu laufen und das Leben zu genießen.
Aber, seelig sind bekanntlich die Unwissenden. Und so soll es auch weiterhin sein. Wir haben Ida nicht erzählt, wofür die seltsamen Bauten errichtet wurden, und sie hat Gott sei Dank nicht weiter hinterfragt, warum so viele Munitionslager eigentlich gebraucht wurden. Sie wird noch früh genug mit der ‚Schuldfrage‘ konfrontiert werden, so dass ihr im Hier und Jetzt die Unbeschwertheit gegönnt sei.
Die Küste der Normandie war nicht umsonst bereits zu Zeiten Napoleons ein beliebts Reiseziel. Anfang des 19. Jahrhunderts tummelte sich hier die britische High Society und es entstand das erste französische Seebad in Dieppe. Wenn man die düstere Geschichte beiseite lässt, kann einen die Landschaft tatsächlich verzaubern: die von Brombeeren überwucherten Klippen, ockerfarbene Sandstrände mit schwarzen Felsbrocken, die bei Ebbe weit aus dem hellblauen Wasser ragen.
Wir haben einen begehrten Stellplatz mit Blick entlang der Küste ergattert (selbst hier hat der Massentourismus Einzug gehalten), und freuen uns über die grandiose Aussicht.
Nur wenige Kilometer entfernt lugen Teile des künstlichen Hafens der Alliierten aus den Wellen. Da die Wehrmacht sämtliche Häfen an Westeuropas Küste besetzt hielt, war eine Invasion auf Le Havre, Cherbourg, Dünkirchen, etc. nicht möglich. Hätte ein Wiederaufbauen der eroberten Häfen doch Jahre in Anspruch genommen. Die Briten entwickelten also riesige transportable Betonklötze und schleppten sie über den Ärmelkanal, um sie vor Arronmanches zu einem gigantischen portablen Hafen zusammenzufügen. Deutlich vom Salzwasser gezeichnet liegen diese Pontons noch heute wenige Meter vor dem eigentlich idyllischen Örtchen. So richtig kann man sich nicht vorstellen, wie hier 40.000 der insgesamt 140.000 Soldaten der Alliierten, die hier im Juni 1944 an Land geschickt wurden, den Tod fanden. Es wirkt alles so friedlich. Die hübschen Blumenarrangements, die Souveniershops und die Eistheken vor liebevoll sanierten Fassaden. Geradezu grotesk dagegen: die Military-Shops, in denen man sich nach Lust und Laune mit Stücken aus den Kriegsjahren eindecken kann. Und als Andenken noch schnell ein Foto in Uniform.
Greifbarer wird diese unvorstellbare Zahl erst, wenn man einen der zahllosen Soldatenfriedhöfe betritt. Reihe um Reihe stehen die weißen Kreuze. Soweit das Auge reicht. Allein auf dem amerikanischen Friedhof bei Colleville Sur Mer am Omaha Beach sind es knappe 10.000 davon. Beklommenheit und ein Gefühl, von diesem Meer aus Kreuzen erdrückt zu werden, setzt hier bei uns ein.
Durch die Reihen zu laufen, die Namen der Gefallenen samt Herkunftsstaat zu lesen, versetzt uns eine gigantische Gänsehaut! Bedenkt man, dass diese Soldaten fielen, um ein nahezu wildfremdes und tausende Kilometer entferntes Land, bzw einen ganzen Kontinent zu befreien, lässt bei uns Demut und tief empfundene Dankbarkeit aufkommen!