Veröffentlicht: 14.06.2024
Weiter ging es also nach Buenos Aires, Welthauptstadt des Tango, des Fußballs, des Mate-Tees oder auch des Beef-Chorizo.
Was direkt nach Ankunft sonderbar erscheint, ist die Bargeldbeschaffung. Bei einer Inflation von weit über 250% kann es passieren, dass der Monatslohn nach ein paar Tagen auf dem Konto nur noch einen Bruchteil davon wert ist und somit versuchen viele Argentinier möglichst schnell das wertlose Papier los zu werden und in harte Währung, wie US-Dollar oder Euro umzutauschen. Das führte dazu, dass ein Parallelmarkt für den Geldwechsel entstand (der sogenannte Blue-Dollar) und man als Ausländer auf dem Schwarzmarkt teilweise fast das 3-fache des offiziellen Kurses getauscht bekam. Durch regulierende Maßnahmen der Regierung ist die fette Party zwar vorbei, allerdings erhält man aktuell noch immer 20% mehr für seinen Euro, wenn man diesen bei einem der zahlreichen und inoffiziellen Cambios tauscht.
In unserem Fall gab es bei der ersten Transaktion direkt die WhatsApp-Nummer des Schwarz-Bankiers und bei Bedarf wurde kurzerhand frei Haus geliefert. Da der größte Schein im Lande aktuell der 1000er ist, was ungefähr (Stand Mitte April) dem Gegenwert von 1 Euro entspricht (Blue-Dollar-Kurs) war der Cambio-Mann mit dem sprichwörtlichen Rucksack voller Bargeld unterwegs und auch selbst hatte man gelegentlich Probleme, die im Vergleich zu europäischen Verhältnissen unfassbar große Menge an Bargeld zu transportieren.
In vielen Geschäften gibt es an der Kasse automatische Zählmaschinen, die zumindest die Wartezeit beim Bezahlen des Wochenendeinkaufs erheblich verkürzen.
Mit den Taschen voller Geld ist der Zeitvertreib in Buenos Aires recht kurzweilig, man wird nicht erschlagen von hunderten Top-Sehenswürdigkeiten, wie beispielsweise in Rom oder Paris. Dennoch gibts ne ganze Menge zu sehen und auch das Flair der Stadt überzeugt mit seinen sehr unterschiedlichen Vierteln und den recht entspannten Menschen.
Genächtigt wurde in Palermo, einem der Bar- und Kneipenvierteln, recht nah am Stadtzentrum gelegen. Und auch sollte die Zeit in Buenos Aires vorerst die letzte Zeit in gewohnter Begleitung sein, bevor sich die beiden Mitreisenden wieder in die Lohnarbeit stürzen dürfen.
Zugegebenermaßen lag der Fokus in Buenos Aires ganz klar auf diversen Stadionbesuchen bei den zahlreichen Profivereinen der Stadt, schließlich ist man hier ja in der Welthauptstadt des Fußballs also was ist da naheliegender als vollends einzutauchen, in diesen Wahnsinn aus Fanatismus, Leidenschaft und Fankultur. Aber dazu im Detail mehr in einem gesonderten Bericht.
Im Stadtbild allgegenwärtig ist der wohl berühmteste Sohn dieses Landes, Diego Maradona. Der Messias oder auch Dios, verehrt wie ein Heiliger. In jeder Bar, in jedem Restaurant und überall in der Stadt: Malereien, Skulpturen, Wandbilder, Mosaike oder überdimensionale Graffitis des begnadeten Ballkünstlers und Exzentrikers. In zahlreichen Smalltalks über Fußball haben einige Argentinier beim Schwärmen von ihrem Diego Tränen in den Augen, man kann sich nur im Ansatz vorstellen, was der Ballsport hier für eine Bedeutung für die Menschen hat. Höchstwahrscheinlich aber auch, weil das für viele Argentinier oftmals die einzige Ablenkung vom doch so harten Alltag in diesem krisengeschüttelten Land ist.
Auch der Konflikt um die Malvinas (in unseren Breitengraden als Falkland-Inseln bekannt), der 1982 in einen Krieg zwischen Argentinien und dem Vereinigten Königreich mündete, ist hier allgegenwärtig. Über 900 Tote gab es damals zu beklagen und der Konflikt ist bis heute nicht gelöst, da beide Parteien nach wie vor territorialen Anspruch auf die Inselgruppe geltend machen. Für die Bevölkerung hier in Argentinien ist logischerweise klar, zu wessen Staatsgebiet die Inseln zählen und dies wird auch überall im Stadtbild von Buenos Aires zum Ausdruck gebracht. Neben den zahlreichen Graffiti und Fahnen ist auch die Abneigung gegenüber dem Königreich teilweise noch sehr deutlich zu spüren, gerade in der älteren Generation. Auf ganz dünnem Eis bewegt man sich, wenn man in Gegenwart der Einheimischen den uns geläufigen Begriff “Falkland-Inseln” benutzt. Malvinas - ein anderes Wort für die Inselgruppe ist im Sprachgebrauch der Argentinier nicht existent.
Was sonst noch im Stadtbild ins Auge sticht, sind die wunderschönen Mercedes-Busse älterer Baureihe, die einen zuverlässig und stilsicher von A nach B bringen. Mit allerlei Chrom verziert, bunt beleuchtet und im Innenraum teils mit extravaganter Lederausstattung verziert, bekommt man hier einen ordentlichen Komfort geboten, für seine ca. 30 Cent pro Fahrt. Über die Musikanlage schallen gelegentlich 70er und 80er-Jahre-Evergreens durch die oft überfüllten Kabinen und man kann sich wunderbar zu “Time after Time” oder anderen Klassikern durch die Stadt treiben lassen. Mit Stil durch den Stau sozusagen - gefällt mir richtig gut.
Der öffentliche Nahverkehr ist in Argentinien stark subventioniert, der Grund dafür ist wohl die Annahme, dass der Laden hier wahrscheinlich sonst vollends in sich zusammen fallen würde. Die arbeitende Bevölkerung muss schließlich bei Laune gehalten werden und das funktioniert nicht, wenn auch noch der Weg zur Arbeit unbezahlbar und zur Zumutung wird.
Im Stadtzentrum von Buenos Aires befindet sich mit der “Avenida 9 de Julio” im Übrigen die breiteste Straße der Welt. Zwar gibt es in der auf dem Reißbrett angelegten brasilianischen Hauptstadt Brasilia eine in den Ausmaßen noch breitere Straße, da diese aber zum Großteil aus dazwischenliegenden Grünstreifen besteht, kann man hierzu gern debattieren, welche der beiden Städte diesen Titel nun für sich beanspruchen darf. Da diese Verkehrsmagistrale um den Obelisken (das Wahrzeichen von Buenos Aires) erst nachträglich in das Stadtbild gestampft wurde, musste extra ein ganzer Häuserblock auf der kompletten Länge der Avenida weichen.
Die Verkehrssituation ist trotz zahlreicher mehrspuriger Schnellstraßen im Stadtzentrum mehr als bescheiden. Innerhalb der Stadtviertel sind die Quartiere oft schachbrettartig angelegt und man steht alle 100 Meter an einer Ampel. Hat man es einmal aus dem Kiez heraus geschafft, dann ballt sich der Verkehr auf den Ausfahrtstraßen und man steht im Stau. Geduld ist also gefragt. Und starke Nerven, wenn es dann wieder rollt. Nicht selten hat man, im Uber sitzend, das Gefühl, dass die Fahrer in bester Michael-Schumacher-Manier den deutschen Fahrgästen die gesamte Bandbreite ihres fahrerischen Könnens präsentieren möchten, welches nach kurzer Analyse aber eher den Fähigkeiten von Quack dem Bruchpiloten entspricht. Da hilft nur Durchatmen und am Besten zum Seitenfenster herausschauen, damit man von dem Wahnsinn möglichst wenig mitbekommt.
Fast wäre das auch einmal richtig schief gegangen: bei viel zu schneller Fahrt auf der Stadtautobahn, stellte ich beim kurzen Blick nach vorn fest, dass vor uns der gesamte Verkehr zum Stillstand kam. Der Fahrer allerdings, dessen Aufgabenbereich auch die allgemeine Verkehrsüberwachung umfassen sollte, hatte die Situation allerdings wohl nicht auf dem Radar und brauste weiterhin viel zu schnell auf das Hindernis zu. Durch akustischen Hinweis der Fahrgäste wurde schließlich eine Vollbremsung eingeleitet und das Fahrzeug wurde mit Ach und Krach gerade noch rechtzeitig zum Stehen gebracht. Fast gleichzeitig drehten die Köpfe auf der Rückbank um 180° und 2 Augenpaare fokussierten den Verkehr hinter uns. Man hörte nur ein Quietschen, vernahm kurz erleichtert, wie das Fahrzeug hinter uns noch zum Stehen kam und alles was sich danach abspielte, war pures Chaos. Während sich unser Wagen wieder leicht in Bewegung setzte, krachte und knallte hinter uns alles zusammen. Ein heranbrausender LKW schob auf der Mittelspur neben uns alles zusammen und an uns vorbei, Teile flogen durch die Luft, Airbags öffneten sich um uns herum und als wir uns wieder etwas schneller in Bewegung setzten, sahen wir hinter uns nur noch ein riesiges Knäuel aus Blech und Metall. Wir waren buchstäblich das letzte Auto, was nicht Teil dieser Massenkarambolage war. In jedem Fall ist es kein angenehmes Gefühl, in einer Blechbüchse zu sitzen und sich einfach hilflos der Situation ergeben zu müssen, ohne auch nur den Hauch einer Chance, diese in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Puhh - nochmal gut gegangen. Wohl auch mit Beistand von ganz oben, denn am Rückspiegel unseres Wagens hing eine Art Bändchen mit einer Heiligenfigur und der Aufschrift “Rdo de Luján - Protege mi Auto” (Schütze mein Auto.) Irgendeine Heilige hielt also ihre schützende Hand über uns. Hat auf jeden Fall funktioniert und beim Aussteigen wurde mit zitternden Knien noch einmal ein Dank an Rdo de Luián ausgesprochen. Gut gemacht!
Wenn man nicht gerade sein Leben auf der Stadtautobahn gefährdet, kann man sich auch in einer der zahlreichen Parkanlagen recht entspannt den Tag vertreiben. Allgemein muss man feststellen, dass die Stadt ziemlich grün ist und es zahlreiche Oasen gibt in denen man nur bedingt den Trouble der Großstadt wahrnimmt.
Zum Entschleunigen eignet sich auch das Künstlerviertel San Telmo mit seinen bunten Häuschen, der wunderbaren Markthalle und allerlei Floh- und Trödelmärkten. Hier riecht es nach Kunst und Krempel, Papier und Leim. Und gerade Sonntage sind dafür geschaffen, durch das Viertel zu trödeln und die antike Auslage der zahlreichen Shops zu bewundern, während irgendwo ein Plattenspieler die Szenerie mit lokaler Folklore beschallt.
Zum kulinarischen Angebot in der Stadt: Ist man ein Liebhaber tierischer Produkte, dann fühlt man sich hier recht gut aufgehoben. Zu jeder Tageszeit bruzelt irgendwo ein Grill, es riecht nach Holzkohle und unzählige Chorizo warten auf den Verzehr. Die der Länge nach aufgeschnittene Chori-Wurst, serviert im Brot (als Chori-Pan) gehört hier zum Kulturgut. Dazu verschiedenste Gemüsebeilagen und das leckere Chimichurri als Gewürz und fertig ist der schnelle Snack für Zwischendurch. Aber auch feinstes argentinisches Rindfleisch lässt sich hier für einen recht schmalen Taler erwerben und das sogenannte Asado (bei uns auch Barbecue oder Grillerchen) ist hier viel mehr als eine Schlemmerei und dient dem sozialen Frieden und Austausch, bei dem oftmals die komplette Nachbarschaft zusammensitzt. Dazu wird Fernet Branca in abgeschnittenen Colaflaschen serviert (die Argentinier beanspruchen die Herkunft des Fernet gern für sich, obwohl er eigentlich aus Italien stammt) und die Welt scheint für eine Weile absolut in Ordnung.
Das alles war mal ein kurzer Abriss zu Buenos Aires und es heißt nach ein paar Wochen: weiterziehen. Denn es warten hoffentlich noch weitere Abenteuer auf mich. Mehr Geschichten und Hintergründe zum Aufenthalt in Buenos Aires können gern persönlich beim Ersteller dieses Textes erfragt werden. ;)