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Ich dachte, ich bin stark

Veröffentlicht: 20.09.2018


..Aber es gibt Momente, wo man einfach nur in den Arm genommen werden möchte.

Mittwoch, 19.09.2018

Heute musste ich 7Uhr beginnen, da ich mit nur einer weiteren Schwester fest im Dienst eingeplant war. Im Nachtdienst wurde ein Kind mit einer Fehlbildung geboren und meine erste Aufgabe bestand darin, das Kind in eine andere Klinik zu verlegen. Ich hatte ja bereits Erfahrung mit dem Ambulanz- Wagen zu fahren.. Es war aufregend, da diesmal keine Schwester mitfuhr, aber die Übergabe funktionierte auf Englisch und ich hoffe, dass dem Kind geholfen werden kann.

Es waren weitere 4 Frauen unter der Geburt, aber keine schien zu entbinden. Es war 14Uhr, der Spätdienst war bereits da und die Schwestern unterhielten sich am Tresen lautstark. Ich wollte mich gerade umziehen und hörte eine Frau aus dem Kreißsaal schreien! Untypisch für tansanische Frauen.

Sie schreien wirklich nur im Notfall.

Ich schaute zu den Schwestern- keine Reaktion. Was hatte ich auch erwartet..

Ich überlegte nicht und eilte zu der Frau. Sie erwartete ihr zweites Kind. Das Erste ist leider während der Geburt verstorben.

Es ist seltsam gewesen, ich hatte den ganzen Tag ein ungutes Gefühl bei ihr. Ich empfand vom Abtasten ihres Bauches, dass sie viel Fruchtwasser und ein kleines Kind hatte. Doch die Herztöne waren stets im Normalbereich und es gab keine erkennbaren Gründe für mein unwohles Bauchgefühl.

Bis zu diesem Moment.

Mir fällt es noch immer schwer es in Worte zu fassen..

Als ich neben der Frau stand, sah ich, dass ihre Fruchtblase gesprungen war und sie in der letzten Phase der Geburt stand.

Ich wollte sie untersuchen und da sah ich schon, dass es sich um einen akuten geburtshilflichen Notfall handelt. Es ging nicht der Kopf voran, sondern ich sah die Nabelschnur zwischen den Beinen der Frau. Mir stockte der Atem.

Nabelschnurvorfall

Ich zog mir so schnell Handschuhe an, wie ich konnte. (Die Frau war HIV- positiv und Eigenschutz ist an dieser Stelle trotzdem noch allem voran gestellt)

Ich bat die Frau, sich umzudrehen. Die Knie- Ellenbogen- Position hilft, um den Druck vom Köpfchen zu nehmen, zeitgleich hielt ich die vorfallende Nabelschnur in der Hand und versuchte diese nach oben zu schieben, um die Kompression dieser und damit die Unterversorgung für das Kind aufzuheben und rief ebenfalls gleichzeitig um Hilfe.

Die Frau verstand nicht, was ich von ihr wollte und es kam noch immer niemand.

Ich musste also die Nabelschnur loslassen, um die Schwestern von draußen zu informieren.

Sie kamen und erkannten das Problem. Mit der Position konnten sie nichts anfangen, aber erklärten es der Frau. Ich bat darum, dass wir JETZT SOFORT eine Notsectio machen müssen, da die Nabelschnur immer wieder nach vorn fiel.

Doch sie begannen wieder mit der Blutentnahme für ihren sinnlosen HB- Wert in diesem Moment und ich wusste, die Zeit haben wir nicht. Noch immer versuchte ich die Nabelschnur zu halten, doch ich spürte, wie sie aufhörte zu pulsieren.

Mir gingen tausend Dinge durch den Kopf.

So dürfen wir doch nicht einfach aufgeben.

Ich überlegte kurz und wusste für einen Kaiserschnitt hier in Tansania war es zu spät. Also lies ich die Frau in einer anderen Position mitschrieben, um die Kompression der Nabelschnur schnell zu beenden. Es funktionierte, zwei Wehen später war das Kind geboren, doch es hatte zu diesem Zeitpunkt seit 15Minuten keine Versorgung mehr über die Nabelschnur erhalten..

Es zeigte keine Lebenszeichen und ich begann sofort mit der Reanimation. Die Schwestern gingen. Ein Arzt konnte ich zum Glück noch überzeugen mir zu helfen, während ich noch Medikamente in den kleinen Körper gab zur Unterstützung.

25Minuten kämpften wir für den kleinen Jungen, der gerade mal 2,3kg auf die Waage brachte.

Es war zu spät.

Wie konnten einfach nichts mehr tun.

Für mich brach eine Welt zusammen.

Ich stand da wie gelähmt. Direkt vor dem Bett der Frau befand sich unser einziges Wärmebett auf dem ich reanimierte. Sie warf mir einen Blick zu, der so viel Ausdruck hatte und der sich bei mir eingebrannt hat.

Es war eine Mischung aus Zuversicht ‚Du schaffst das‘, aus der Bitte, alles zu geben und aus Leid ‚Ich schaffe es nicht nochmal ein Kind zu verlieren‘.

Und ich kniete mich neben ihr Bett, weinend und musste ihr sagen, dass ich es nicht geschafft habe.

Es war große Trauer in mir und Mitleid der Frau gegenüber. Aber auch Enttäuschung, es gefühlt nicht geschafft zu haben, sowie Wut und Hilflosigkeit des ganzen Ablaufes gegenüber. Und vor allem Unverständnis bezüglich der hier arbeitenden Menschen.

Ich saß lange bei der Frau und nahm sie in den Arm.

So gern wollte ich, dass ihr auf ihrer Sprache alles erklärt wird, doch niemand war bereit für mich zu übersetzen. Es war furchtbar.

Über eine Stunde später saß ich am Tresen, um ihre Papiere zu schreiben, mir liefen noch immer die Tränen.

Eine Schwester kam zu mir und sagte: Du siehst aber müde aus.

Ich konnte mich nicht mehr zügeln und wurde laut, dass sie mal genau hinschauen soll. Es ist keine Müdigkeit in meinem Gesicht, ich bin traurig! Traurig, weil ich es nicht normal finde, dass ich täglich tote Kinder im Arm halten muss und nicht einfach raus gehen kann ohne einen Funken Empathie zu zeigen.

Ich wollte einfach nur weg.

Weg von diesen herzlosen Menschen. Es ist für mich unbegreiflich, wie man so kalt werden kann.

Zu Hause bin ich in den Armen meiner Mitbewohnerinnen zusammen gebrochen.

Ich fühlte mich so schwach. Zu schwach, um das alles hier durchzustehen.

Die Situationen sind einfach unendlich traurig. Doch dieses Unverständnis der Schwestern macht mich einfach fertig. Mit dieser Art Menschen hier, die ihre Gefühle stets unterdrücken, keine Schwäche zeigen, keine Schmerzen äußern und dadurch abgestumpft und kalt wirken, bin ich einfach nicht auf einer Wellenlänge.

Ich stellte alles in Frage. Meine Entscheidung hier her gekommen zu sein. Meine Kraft, um diesen Beruf weiter ausüben zu können. Und meine psychische Belastbarkeit.

Die Woche war hart, sehr hart.

Doch ich flüchte mich jetzt einige Tage ins frei, um Kraft zu sammeln für die letzten Wochen Geburtshilfe in Afrika.

Ich hoffe, ich habe meine traurigen Momente jetzt erlebt und versuche mit Zuversicht in die nächsten Dienste zu starten.

Danke an Saskia, Mia und Ines für die Unterstützung vor Ort!

Und Danke an die Menschen, die trotz großer Entfernung stets ein offenes Ohr für mich haben in solchen Momenten!

‚Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln.‘ 

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