Veröffentlicht: 31.08.2018
Südarmenien war stolze 20 Jahre lange eine unabhängige Republik - bis die Sowjetunion sie einnahm. Die Republik des bergigen Armeniens.
Die ersten drei Nächte in der Republik verbrachte ich in Tatev. Gemeinsam mit den schweizer Geschwistern Jessica und Matthias fuhren wir vier Stunden mit dem Taxi in das Bergdorf. Dass wir mit 18.000 AMD einen guten Preis verhandelt hatten sahen wir am unzufriedenen Gesichtsausdruck des Taxifahrers, als er uns absetzte. Sorry...
Tatev ist vor allem bekannt aufgrund des wichtigen Klosters. Touristen fahren in das Dorf nur wegen dieses Klosterkomplexes. Am nächsten Morgen nach einer Nacht in kuscheligen Decken schauten wir uns den Komplex an….nunja...Kloster halt. Keine Ahnung...aber ich denke, wenn ich allein für dieses Kloster vier Stunden gefahren wäre, hätte ich mich geärgert. War nett, mehr aber auch nicht. Aber natürlich bewerte ich Kloster nur anhand ihrer Mauern, die tiefliegende Bedeutung/Architketur/Geschichte usw werden berechtigen, warum Tatev Monastery so wichtig ist.
Auf dem Bike Camp hatten mir ein paar fleißige Radfahrer erzählt, dass sie einen Eco-Trail bei Tatev gebaut hätten. Mit einer Gruppe internationaler Freiwilliger ist dieser erst vor wenigen Monaten entstanden. Unser Nachmittagsplan stand somit. Um zum Trail zu gelangen mussten wir allerdings noch den Berg hinunter. Grob über den Daumen kalkulierten wir für den Weg bis zum Start des Trails eine halbe Stunde. Grob verschätzt. Der Weg wollte nicht enden, irgendwann hielt Jessica leicht entnervt ein Auto an, dass uns nach einer Stunde Serpentinen-Herunterunterwandern mit runter nahm. Der Trail war dann aber wirklich schön. Er ging vier Kilometer in das nächste Dorf, das ähnlich wie Tatärätä, Taramsasa oder Tralala hieß. Während die ersten beiden Kilometer noch nettes Wandern waren, bestanden die letzten beiden Kilometer aus einem recht steilen Hang. Matthias eilte hinauf, Jessica wanderte auch beschwingt und leichtfüßig, ich erlebte indessen einen grausamen Lungen- und Kreislaufkollaps. ¨Ich bin einfach sehr sportlich¨ flötete Jessica. Jo, ich nicht! Nach meinem erfolgreichen Eintritt in den Radsport dachte ich zwar kurzzeitig das Gegenteil aber dieser Berg killte mich. Naja, irgendwann kamen wir an und die Aussicht war der Hammer. Das erste Auto nahm uns auch direkt mit zurück nach Tatev. Zuhause fielen wir alle erschöpft und glücklich auf die Couch. Ganz ist der Bergaufstieg nämlich auch an den Geschwistern nicht vorbei gegangen.
Next day, next hike. Matthias machte sich einen Lauen, seine Schwester und ich zogen für die nächsten Stunden wieder los. Weniger Berge, noch schönere Aussicht und super Gespräche. Soviel dazu.
Am nächsten Morgen ging die Reise weiter. Die Schweizer, in deren Winterthurer Dialekt ich mich über die Tage hineingehört habe, zogen zurück nach Yerevan, für mich ging es weiter in den Süden. Der Ort Kapan sollte nur 50km entfernt liegen, easy! In einem alten Sowjetbus ging die Reise los. Man kann es wirklich Reise nennen. Drei Stunden brauchte der Bus für die 50km. Und während ich die erste Stunde ja noch ganz reizvoll fand und Spaß an dem Geruckel und der Aussicht hatte, betete ich die restlichen zwei Stunden der Ankunft entgegen. Immer wieder dachte ich an meine Mutter, die im BMW meines Vaters über die schlechte Federung klagte. Was würde sie hier sagen? Wirbesäulenbruch und Schleudertrauma. Doch immerhin fuhr der rund 85jährige Busfahrer uns nicht die steilen Abhänge hinunter. WIr kamen - bis auf den physiotherapeutisch zu behandelnden Verspannungen der Fahrt - unversehrt an.
Meine nächsten und letzten zwei Nächte in Armenien kam ich auf einem kleinen Biobauernhof unter. Anahit Dryfruits wurde mir von einem Eco-Camp empfohlen, das mich leider nicht hosten konnte. Der Name war Programm. Während das Bett und Zimmer nicht in Sachen Komfort punkten konnten, konnte es alles andere allzumal. Die 9-Köpfige Familie nahm mich als 10. Familienmitglied auf. Im Halbstundentakt bekam ich neue Früchte aus dem Garten gebracht und beinahe in den Mund gesteckt. Die kugelrunde Oma erklärte mir mithilfe des Vokabelhefts ihrer Enkelin den ganzen Garten. Alles frisch, alles bio, alles selbst gemacht. Sogar der Käse und die Rosen-Limo waren selbst gemacht. Die Frauen regelten das Kochen, die Männer...machten auch etwas, hier herrschte aber eine klare Rollenverteilung. Ein bisschen Leid taten mir die Frauen schon, vor allem die 24-jährige Schwiegertochter, die sagte, sie würde gerne in Deutschland leben, weil man da nicht so früh heiraten müsse. Hm...ein Wehrmutstropfen des Aufenthalts.
Als ich erzähte, ich wolle den nächsten Tag zum Kloster Vahanavank wandern, wurde telefoniert. Mit dem Priester des ehrwürdigen Klosters. Der ist ein Freund des Oberpatriarchen hier und hat diesen und seine Frau vor wenigen Monaten getraut. Die Familie organisierte, dass ich mit ihm einen Tee im Kloster trinken sollte. Puh...ob ich da Lust drauf hatte? Eine Wahl hatte ich zumindest nicht. Und so fand ich mich am nächsten Morgen mit dem Priester in einem Auto zu seinem Kloster.
Das war richtig toll! Allen Vorbehalten entgegen, hatte ich einen spitzen Morgen mit dem Priester, der mir die Geschichte des Klosters erzählte, aber auch von seinem Leben berichtete, das er dem Priestertum gewidmet hat und für das er all die Kilometer und Stunden weg von seiner Frau und seinen drei Töchtern gezogen ist. Bei Brot, Käse (pfui, ich mag wirklich keinen armenischen Käse) und Tahin saßen wir beisammen. Plötzlich hatte er es sehr eilig. Er musste schnell zu einer Beerdigung und dann sollte es nach 2 Jahren in Kapan zum ersten Mal wieder nach Yerevan zu den Kindern gehen. In Windeseile erledigten wir gemeinsam die Aufgaben eines Priesters in Vahanawank: die Kirche mit Weihrauch einräuchern und das Licht mit neuem Öl befüllen. Ich war quasi Messdienerin des ganzen. Guter Typ, wenn ihn jemand mal besucht:viele Grüße von seiner Facebook-Freundin Steffi.
Nach dem Kloster ging ich dann wandern. Alleine 4km durch den Wald. Irgendwie beschlich mich ein komisches Gefühl. Ob es wohl Bären oder Wölfe hier gebe. Nach der Lektüre von Ratgebern im Umgang mit den Tieren machte ich die Musik auf meinem Handy laut und stapfte singend den Berg hinauf. Musik und Singen würden Menschen als Menschen identifizieren weswegen sich Bären fernhalten würden. Als trällerte ich in allen Tonhöhen und Lautstärken.
Weder ein Bär, noch ein Wolf sind mir über den Weg gelaufen, nur ein paar Bullen, die ich auch etwas gruselig fand, bei denen ich aber nicht auf die erlernten Abwehrtechniken aus dem World Wide Web zurück greifen musste. Dank GPS fand ich nach etwa 2 Stunden mein anvisiertes Ziel, das Halidzor Fortress. Steine auf dem Berg, aber richtig coole Steine. Mega schön. Hier picnickte ich den vom Priester mitgegebenen Kuchen und las ein Buch. An so einem friedlichen Ort war ich lange nicht mehr. Kein Mensch, eine bomben Aussicht und ein leichter Wind bei 27 Grad. Ich ließ mir Zeit.
Gegen 18 Uhr kam ich wieder auf meinem Biobauernhof an, wo mir die kugelrunde Mama schon entgegen kam und mir auf armenisch deutlich machte, dass sie sich schon Sorgen gemacht habe, wo ich so lange gewesen sei. Voller Freude über meine Rückkehr bekam ich wieder verschiedene Früchte ich den Mund geschoben. Eigentlich wollte ich für meinen nächsten Tag und den Grenzübertritt iin den Iran packen, doch um ein weiteres gemeinsam Abendessen, Feigen, Maulbeeren, Haselnüsse und noch mehr Maulbeeren kam ich nicht drum herum. Ich war zu viel mit Kauen beschäftigt - Packen werde ich morgen früh. Tupperdosen voller getrockneter Früchte sind schon im Rucksack und warten darauf den Gastgebern im Iran geschenkt zu werden.
Fazit Kaukasus
Armenien hat es sehr gut mit mir gemeint. Ein wundervolles Land! Vor allem in den letzten Tagen habe ich eine Reihe von super Erfahrungen gemacht und Dingen erlebt. Die Gastfreundschaft, das Lächeln, die Herzlichkeit und Wärme haben Georgien ausgestochen. Das Land ist noch nicht so touristisch wie Georgien, was das Reisen manchmal etwas schwieriger macht, da man keine Infos darüber findet wann welcher Bus wohin fährt (meist fährt er auch nur einmal am Tag), angekommen bin ich trotzdem immer.
Georgien hatte es etwas schwer bei mir. Es ist schwierig genau zu sagen, woran es liegt. Vielleicht nur daran, dass ich noch nicht entspannt genug war und mich erst an einige Dinge gewöhnen musste, vielleicht daran, dass ich die falschen Leute kennengelernt habe, wobei das natürlich wahnsinnig unfair der tollen Tina, der lieben Rosan, den Schweizern und all den anderen netten Kontakten ist. Vielleicht liegt mir Armenien aber auch einfach mehr. Ich brauche es, dass Menschen lächeln, diese gewisse Herzlichkeit, die mir in Georgien gefehlt hat. Andere Reisende haben diese Herzlichkeit erfahren, meine Erfahrungen haben keine Allgemeingültigkeit. Ganz alleine bin ich mit der Impression aber auch nicht :)
Worin Georgien definitiv gewinnt ist in Sachen Essen. Da hat Armenien mich jetzt wirklich nicht mitgenommen. Schaschlik, Tomaten und Gurken gab es zwar auch in Georgien aber dazu gab es dort immerhin noch diverse Käse- und Auberginenspielereien, Pflaumensauce und Khinkali. Armenischer Käse, armenischer Joghurt, all die Milchprodukte erinnerten mich eher an schlechtgewordene übersalzene Milchsäurebakterien aus misslungenen Kochexperimenten.
Morgen geht es über die Grenze in den Iran und ich bin schon wahnsinnig aufgeregt. Ich hoffe es klappt alles und ich verplappere mich nicht an der Grenze damit, dass ich Politik studiert habe und bei einer Cochsurferin schlafe. Zwei No-Gos.