Veröffentlicht: 08.02.2022
4.2. und 5.2.2022 (see in english below)
Es sollten zwei sehr, sehr emotionale Tage werden und so brauchte ich eine Weile um die Zeit mit etwas Abstand zu beschreiben, da mich vieles gerade an diesen beiden Tagen sehr bewegt hat. Am Freitag starteten wir gegen 8:00 Uhr nach einer erholsamen Nacht und einem guten Frühstück Richtung Kumasi Culture Center. Wir quälten uns 40 Minuten die knapp 10 Kilometer durch den Verkehr bis wir das Center erreichten. Dort angekommen warteten schon viele potentielle Empfänger der Prothesen. Nach dem Aufbau gab es noch eine kurze strategische Besprechung: da durch die hohe Anzahl derjenigen, die auch schon an den Vortagen eine Oberarmverlängerung benötigt hatten, der Vorrat an Thermoplastic arg dezimiert war musste eine schwierige Entscheidung getroffen werden. Nach Kumasi sollte es ja für den Rest der Crew noch mehrere Tage nach Tamale gehen. Dort würden sie zum ersten Mal solche Prothesen, Gelenke und Verlängerungen an die Leute anpassen und verteilen. Da dort niemand das Projekt kannte, musste man viel Vertrauen gewinnen und das konnte nur funktionieren, wenn man das ganze Spektrum, also auch inkl. Thermoplastic-Verlängerung zum Einsatz bringen könnte. In Kumasi war dies Vorgehen und die Technik schon bekannter. Also entschieden wir, dass wir in Kumasi weites gehend (bis auf weniger schwerwiegende Ausnahmen) auf den Einsatz der Verlängerung verzichten und trotzdem alle etwas bekommen und sei es "nur" ein Provisorium, welche zunächst zum Trainieren und testen benutzt werden könnte. Diejenigen mit einer solchen Übergangslösung dürfen dann 2 Monate später, wenn Ogidi und seine Crew wieder (dann ohne uns) in Kumasi ist, wiederkommen und erhalten dann auch benötigte Verlängerungen und Gelenke. Gesagt...getan und so startete der Tag. Es war sehr heiss und trocken. Wir hatten knapp 40 Grad und uns lief die Suppe überall hin...auch da, wo man es nicht wollte.
Zwei besondere Fälle hinterließen am Freitag besonderen Eindruck bei mir. Da war zunächst der besonders tragische Fall eines jungen Mannes, den Chris G. behandelte Er war überfallen und dabei angeschossen worden. Die Schussverletzung war eigentlich nicht sehr bedenklich, allerdings entzündeten sich nach der Behandlung im Krankenhaus der gesamte Unterarm und Teile des Oberarms und er erlitt eine Sepsis. In einer fatalen Geschwindigkeit sorgte sie dafür, dass Teile des Arms bis zum Knochen freigelegt waren und der Arm oberhalb des Ellenbogens amputiert werden musste. Chris G. war sichtlich mitgenommen bei dieser Schilderung und einmal mehr wurde klar, dass die medizinische Versorgung in vielen Fällen erst zu einer Amputation führt oder, und das haben wir auch häufig erlebt, die Amputation sehr unglücklich bzw. nicht sinnvoll durchgeführt wurde.
Der zweite, für mich ganz persönlich sehr emotionale Patient an diesem Tag, war der kleine Abdul, dem nach einem Strom-Unfall der Unterarm bis kurz unter den Ellenbogen amputiert werden musste. Wir entschieden uns in diesem Fall dafür, dass er eine der wenigen Verlängerungen aus Thermoplastic erhalten sollte und ich übernahm in diesem Fall alle Arbeitsschritte von Anfang an. Mein Backup war dabei immer Eddie (Alaska), mit dem ich die Einzelschritte besprach und der immer wertvolle Tipps einfließen ließ. Die Verlängerung diente in diesem Fall der Stabilisierung, da der die Halterungen für die mechanische Prothese sonst keinen Halt finden würde. Das waren eine Menge kleiner Anpassungen und Nacharbeiten, aber am Ende war der kleine Mann sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ramon übernahm dann höchstpersönlich das Finish und überzog das Endergebnis perfekt mit der künstlichen "Haut". Es war der letzte "Prothesen-Akt" an diesem Tag, aber es sollte noch eine kleine Überraschung auf uns warten: Auf einmal erschien eine kleine Gruppe von Leuten und Führung einer resoluten Einheimischen. Sie erklärten uns, dass sie so glückliche Menschen aus dem Culture haben gehen sehen und sie wollten erfahren, was wir dort taten. Wir erklärten es ihnen und es stellte sich heraus, dass die Dame Besitzerin/Managerin eines Restaurants gleich um die Ecke war und sie war so begeistert von dem, was dort im Culture Center passierte, dass sie uns freies Essen für die gesamte Crew versprach, wann immer wir dort wären....Also sind wir nach dem Abbau direkt zu "IKES" Restaurant. Das Essen war sehr gut und so ließen wir den Nachmittag ausklingen.
Auf dem Rückweg zur Lodge sollte dann noch "kurz" der PCR-Test für Ramon und mich stattfinden. Da aber zunächst die Suche nach dem richtigen Ort zur Odyssee im schlimmsten "Kumasi-Feierabend-Verkehr" geriet und wir dann auch noch einige Diskussion mit Ogidis Hilfe führen mussten, da sich das Verfahren seit dem letzten Jahr geändert hatte, mussten die anderen bei 40 Grad im Bus ca. eine Stunde auf uns warten. Was das Regelwerk angeht: kurzum, die Testzentren dürfen die Ergebnisse nicht mehr per Mail versenden, da es so viele Fälschungen dieser Mails gab. Also werden unsere Proben nach Accra gesendet, dort analysiert und das Ergebnis sollte dann in einem Office am Flughafen für uns zum Ausdruck bereitliegen. Dass das wiederum nicht SO GANZ stimmte und wie diese ganze Geschichte zu einer 250 CEDI Geldstrafe und einer hitzigen Diskussion mit "EL GENERAL" (wie Ramon und ich ihn nannten) führte, erfahrt Ihr im abschließenden Blog-Eintrag vom Tag der Abreise.
Als nun die die Tests durch waren, fuhren wir weiter in Richtung Lodge. Es war ein sehr zäher Verkehr und wir bewegten uns langsamer, als die parallel zu uns gehenden Passanten. Nach einer halben Stunde wurde Seba dann etwas unruhig. Grund dafür ein kleiner, fataler Umstand im Restaurant. Er hatte ein vegetarisches Gericht bestellt. Und während alle andere Gerichte "von der Stange" und vorgekocht waren, wurde seins FRISCH zubereitet. Er bekam es auch deutlich später als alle anderen und wir vermuten, dass das Gemüse in seinem Gericht tatsächlich frisch geschnitten UND GEWASCHEN und dann aufgrund es Zeitdrucks leider nicht ganz gar gekocht bzw. gebraten wurde. Bei dem armen Kerl ging es dann auch ganz schnell und so mussten er und Ogidi kurz rausspringen und er durfte nach kurzer Verhandlung an dem einzigen Ort, der auf dem Weg lag und eine Toilette besitzen konnte eine Erleichterung finden....es war ein Krankenhaus. Es musste vermutlich danach für immer geschlossen werden, denn beide kehrten erst nach einer halben Stunde (aber nur einem Kilometer im Stau) in den Bus zurück. Seba war sichtlich erleichtert und er sollte keine weiteren großen Probleme danach mehr haben.
Am Abend trafen wir uns alle frisch geduscht auf in der Rooftop-Bar auf ein Bierchen und ließen den Tag Revue passieren.
Der Samstag begann wieder mit einem sehr guten Frühstück und einer langen Tour zum Culture Center. An diesem Tag warteten deutlich weniger Leute auf uns und wir waren schon gegen 11:30 komplett fertig. Bedrückend war dabei an diesem Tag die Geschichte eines jungen Studenten, den ich behandelte. Er schuldete einem Bekannten 10 CEDI (1,37 EUR). Und da er sie nicht zurückzahlen konnte griff der Bekannte ihn mit einer Machete an, um ihn zu enthaupten. Als er dabei seinen Arm als Schutz vor sein Gesicht hielt, wurde dieser abgetrennt. Unvorstellbar und ich habe noch heute bei dem Gedanken daran ein leeres Gefühl im Magen und bin aber auf der anderen Seite so unendlich traurig, da dieser junge Mann so viel vor hatte in seinem Leben und für 10 CEDI dessen beraubt wurde. Denn selbst mit der Prothese hat er, nicht nur in einem Land, wie Ghana, eine viel schlechtere Prognose. Die für ihn angepasste Prothese und die kosmetische Hand konnten ihn daher auch nur bedingt trösten, zumal das ganze auch noch nicht lange her war. Er war zwar froh und konnte gut mit der mechanischen Hand umgehen, aber ihm war die nachvollziehbare Bitterkeit noch sehr gut anzusehen.
Nun hatten wir ja noch sehr viel Zeit ... und das war auch gut so. Schon auf der Hinfahrt hatte der Bus das ein oder andere Schlagloch mit einem ächzenden Geräusch quittiert und als unser Fahre den Wagen aufbockte, viel das vordere Rad erstmal einfach ab. Nach einigen Analysen seinerseits machten wir uns mit der Gewissheit ,dort mehrere Stunden zu verbringen, auf den Weg zum Restaurant vom Vortag. Unser Fahrer machte sich unterdessen auf die Suche nach einer Werkstatt...Rad und Achse waren etwas beschädigt.
Der etwas längere Besuch im Restaurant hatte auch sein Gutes: nach langen Beschreibungen und Verhandlungen konnte endlich ein Essen und eine zusätzliche Würze gefunden werden, die Ramon in den 7ten Spicy-Himmel beförderten. Jede Mahlzeit hatte er gesucht und geforscht und war schon fast zu der Erkenntnis gekommen, das es in Ghana kein scharfes Essen gibt. Aber an diesem Tag trieb ihm endlich eine Kombination von stark gewürztem Grundgericht und zusätzlichem Babushito (komisches grünes Zeug mit der Konsistenz von Apfelmus) einzelne kleine Schweißperlen der Freude auf die Stirn. Er war so glücklich.
Irgendwann kam unser Fahrer zurück und es ging zurück zur Lodge. Es sollte unser letzter gemeinsamer Abend werden, da Ramon und ich am nächsten Tag Richtung Heimat aufbrachen und alle anderen sich um 4:00 Uhr morgens auf den beschwerlichen Weg nach Tamale machen wollten. Trotzdem trafen wir uns alle noch zu einem finalen Bier, einigen Fotoshootings und einer Runde Jägermeister :-) in der Rooftop-Bar. Es wurde ein sehr emotionaler Abschied. Ogidi schockierte uns kurz durch die sehr ernste Ankündigung einer Rede. Wir waren kurzzeitig irritiert, aber es stellte sich heraus, dass er sich tatsächlich nur einmal für alles bedanken wollte und klarmachen wollte, wie wichtig ihm das Ganze ist und wie bemerkenswert er Chris G.s Engagement findet und wie sehr ihm die gemeinsamen Tage gefallen habe.
Was soll ich sagen...am Ende lagen wir uns alle in den Armen und es war gerade für Ramon und mich ein sehr, sehr schwerer Abschied, da wir alle so schnell nicht wiedersehen sollten.
Erkenntnisse der zwei Tage: Ghana kann spicy, ein Rad zu verlieren ist noch lange kein Achsbruch und manchmal reichen ein paar Tage aus, um besondere Menschen kennenzulernen und sie FREUNDE zu nennen.
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Saturday started again with a very good breakfast and a long tour to the Culture Center. That day there were significantly fewer people waiting for us and we were completely exhausted by 11:30. The story of a young student that I was treating was depressing that day. He owed a friend 10 CEDI (1.37 EUR). And since he couldn't pay them back, the acquaintance attacked him with a machete to behead him. When he held his arm in front of his face to protect it, it was severed. Unimaginable and I still have an empty feeling in my stomach when I think about it and on the other hand I am so infinitely sad because this young man had so many plans in his life and was robbed of them for 10 CEDI. Because even with the prosthesis, he has a much worse prognosis, and not just in a country like Ghana. The prosthesis adapted for him and the cosmetic hand could therefore only comfort him to a limited extent, especially since the whole thing was not that long ago. He was happy and could handle the mechanical hand well, but the understandable bitterness was still very good to look at.