Veröffentlicht: 12.01.2024
Mit der Ankunft am Navadurga Tempel in Dörfchen Kanyale - irgendwo am südlichsten Küstenabschnitt Maharashtras - erreichen wir Anfang November das lang ersehnte Ziel unserer Radreise nach Indien. Dies ist einer von Sitas Sehnsuchtsorten. Ein Ort, der Erinnerungen weckt, der Heimatgefühle hervorruft, obwohl er so fremd und anders ist als all das mit dem wir beide aufgewachsen und bekannt sind. Es ist ein Familienplatz, ein Platz der Ruhe, ein bescheidener Platz; an dem es um nicht weniger oder mehr geht als zu sein. Als wir nach 48 Stunden der Einkehr und Andacht weiterziehen, ist es, als wär ein Reset Knopf gedrückt worden. Von nun an gibt’s nur noch grobe Ideen und Wünsche für die Weiterreise.
Vorerst soll es nur ein paar Kilometer weiter die Küste entlang nach Mandrem und Arambol in Goa gehen.
Goa ist ein kleiner Bundesstaat, der seit Jahrzehnten bei Backpacker:innen, Hippies, Aussteiger:innen und Sinnsuchenden aus dem Abendland beliebt ist. Die Beatles haben seinerzeit mit ihrer Ankunft hier eine Schleuse geöffnet, die sich bis heute nicht wieder geschlossen hat.
Die Fahrt über eine 50 Meter lange Brücke verändert die Kulisse schlagartig. Fuhren wir kurz zuvor noch über einsame Straßen und Wege, vorbei an verschlafenen Dörfern, leeren Stränden, durch stille Wälder und Felder - bringt uns jene Brücke, die ganz nah am Arabischen Meer Maharashtra mit Goa verbindet, mit einem Mal in eine gänzlich andere Welt.
Plötzlich sind die Straßen voll mit Zweirädern. Schöne Menschen rollen mit nackten oder halbnackten Oberkörpern auf tief brummenden Royal Enfields* cool durch die Gegend. Busse, Taxis und noch mehr Motorroller lassen von Ruhe und Beschaulichkeit nicht viel übrig.
Wir fühlen uns etwas an das Salzkammergut erinnert. Einheimische teilen ihre schöne Umgebung mit Touristenströmen. Sind geduldig mit und genervt von diesen. Machen ihr Business und gehen in ihrem Angebot mit der Zeit. Es wird gebaut und erweitert - alles um es den Besucher:innen so angenehm wie möglich zu machen. Inder:innen aus dem Norden naschen etwas mit, in dem sie Waren aus dem Punjab, Rajasthan und Nepal anbieten.
Bevor wir uns in das Getümmel der Aussteiger:innen und Künstler:innen, der Hippies und urlaubsreifen Jungfamilien, der ausgelassen Männergruppen und verliebten Honeymoon Pärchen mischen, ziehen wir uns für fast 5 Wochen zurück um Yoga zu lernen.
Im Himalaya Yoga Center gibt uns Yogamaster Lalit und sein Team in den nächsten fünf Wochen Einblick in die Yoga Tradition von Sri Rama und B.K.S. Iyengar - zwei der großen Yogis unserer Zeit. Wir sind von morgens bis abends beschäftigt Asanas *zu üben, unseren Atem mithilfe von Pranayama ** zu lenken, zu meditieren und dazwischen etwas über Yogaphilosophie, Anatomie und Ayurveda zu lernen. Ganz schön intensiv.
Für uns ist es auch ein bissl wie Urlaub. Die Anlage ist sauber, gut organisiert und meistens sehr ruhig. Zweimal am Tag gibt es extrem lecker Essen und es wird sogar für uns geputzt! Wir fühlen uns umsorgt und können uns voll auf Yoga einlassen. Die abendlichen Spaziergänge führen mich täglich an einem kleinen Hunderudel vorbei. Erneut entsteht eine Freundschaft auf Zeit.
Nach 5 Wochen ist es auch hier wieder so weit weiter zu ziehen. Um das gelernte zu verdauen bleiben wir in der Gegend.
Die folgenden drei Wochen verbringen wir zuerst mal mit Kranksein. Dann mit gemütlichen Feiertagen zum Jahresende. Wir erforschen die hiesigen Kuchenbäckereien gemeinsam mit unserer Guesthouse-Nachbarin und Yogafreundin Kerstin, bestaunen original Althippies beim Tanzen zur Musik einer Elektropunk-Band namens Arampunx, üben Yoga, schlemmen oft Selbstgekochtes, spazieren am Strand und planen unsere Weiterreise in den Norden.
Wir planen um und planen neu, bis wir schließlich am 1. Jänner mit einer groben Idee in Richtung Karnataka aufbrechen. Einem Bundesstaat, der sich südwestlich von Goa befindet, in dem das alte Dorf Hampi beheimatet ist.
Die ersten Kilometer bahnen wir uns den Weg noch durch das Gewusel der umtriebigen Küstenorte. Wenige Kurven und Kreuzungen weiter in Richtung Landesinneres umgeben uns wieder Stille und fast fahrzeugeleere Straßen. Ein weit verzweigter, von Sumpfland umgebener Fluss geleitet uns langsam aus Goa raus in Richtung der Western Ghats - einer Anhöhe, die das Küstengebiet vom Landesinneren abgrenzt.
Am zweiten Tag wieder im Sattel, sollen wir fast 2000 Höhenmeter zurücklegen und erreichen doch nur das etwa 800 müM gelegene Hochland des Bundesstaates Karnataka. Es ist dies eine Art Initiation - wo wir doch 2 Monate weg von den Strassen waren und auch unsere Laufschuhe nicht ausgepackt haben.
Es tut so unendlich gut wieder zu vagabundieren!
Es ist ein wahrer Genuss Landschaften sich verändern zu sehen, neugierig zu sein, was um die nächste Kurve, die nächste Kuppe wohl sein wird. Den Gedanken während des Tretens nachzuhängen, diese auch immer wieder zum Stillstand zu bringen. Abends in Dörfern und Städten anzukommen um nach einem Zimmer zu suchen und müde kurz nach dem Dunkelwerden in den Schlaf zu fallen.
Die Route führt uns von einer Kleinstadt in die nächste. Groß genug um mit Beherbergungsbetrieben aufwarten zu können. Schnell gewöhnen wir uns wieder an die Routine des Fortfahrens und Ankommens. Die Wäsche des Tages wird gewaschen, meist sind es Kübel-Duschen, mit denen wir uns den Staub der Straße abwaschen. Für Yoga Asanas haben wir nicht immer Platz oder Energie.
Das Wetter hier oben ist nun im Jänner angenehm. Die Tage sind zwar heiß aber trocken. Die Umgebung ist zusehends flach und windig.
Je weiter wir ins Landesinnere gelangen, desto ländlicher ist es. Holzkarren, von mächtigen Zebus gezogen und Traktoren mischen sich unter die Fahrzeuge, die mit uns die Straßen und Wege teilen. Bunt verziert, mit Bommel, Lametta, und Blumenschmuck. Reiher stolzieren geschäftig hinter den Maschinen her, wenn diese die Äcker umgraben.
Die Dörfer, durch die wir kommen, bestehen aus kleinen Häusern und Hütten. Oft steht ein Bett im Freien. Die Wasserleitung ist am kleinen Vorplatz angebracht, Sanitäranlagen scheint es in vielen Unterkünften nicht zu geben. So sehen wir vormittags die Anwohnenden mit kleinen Wasserküberl in die umliegende Landschaft verschwinden um ihre Notdurft zu verrichten. Dies ist keine neue Beobachtung, doch es stimmt mich nachdenklich, dass wir es als Menschheit bis heute nicht geschafft haben, sanitäre Grundversorgung für alle zu ermöglichen.
In der ersten Woche der Weiterfahrt treffen wir auf Menschen, die uns nach Tipps für ihre bevorstehende Europareise fragen. Menschen, die uns erstaunt nachschauen wenn wir ihre Wege kreuzen. Menschen, die selbst Rad fahren und im Gespräch mit uns Austausch suchen. Uns wird zu gewunken und zu gelächelt.
Wir fahren auf Autobahnen und vermatschten Feldwegen. Suchen uns den Weg auf Schotterpisten und kleinen, schönen Landstraßen.
Wir radeln an Feldern vorbei, fahren Flüsse entlang. Erkämpfen uns den Vorrang beim Fahren in den Städten und rollen gemütlich durch die Dörfer.
Und irgendwann, nach einer Woche des Schnaufens, Tretens und Genießens, erreichen wir die bizarre Gegend um Hampi.
Hampi ist eine historische Stätte, die vom 14. bis zum 16. Jhd. unter dem Namen Vijayanagara die Hauptstadt des letzten Hindu-Reiches von Vijayanagar war. ****
Hier verbringen wir einige Tage zum Erkunden der Ruinen und Tempel. Wir spazieren über die Felsbrocken und suchen alte Bekannte auf, mit denen ich vor vielen Jahren Zeit verbrachte. Es kommt zu einem herzlichen Wiedersehen, wir vernehmen schöne und auch traurigen Nachrichten. Vom Werdegang all der Dorfbewohner:innen, die damals eine Rolle spielten. Und vom viel zu frühen Tod einiger.
Alles hier, nicht nur die Menschen, hat sich verändert. Der Tourismus legt seinen Fokus nunmehr auf die Kulturstätten und noch aktiven Hindu-Tempel. Die Backpacker:innen haben Platz für Pilger:innen und Kulturinteressierte auf der einen Seite des Flusses, und Boulder:innen auf der anderen Seite, gemacht. Sehr sympathisch, sehr angenehm, weil ruhig und sanft.
Nach wenigen Tagen ist es an der Zeit weiterzuziehen. Der Norden des Landes ruft nach uns.
Text: Sita
*indisches Motorrad
**Körperübungen
***Atemübungen
**** lt. Wikipedia