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Der Boss und sein Untertan oder Begegnung mit Harold

Veröffentlicht: 13.07.2024

In diesem Blogeintrag geht es vor allen Dingen um Bruce Springsteen und Herrn Ärmels Vorliebe für diesen. Er unterscheidet sich also etwas von den anderen Reiseblog-Artikeln hier.

Als Herr Michael Ende die Abenteuer von uns Lummerländern niederschrieb, schrieb er – verkürzend, wie ich finde – über mich, Herrn Ärmel: „[Er war] hauptsächlich Untertan und wurde regiert“. Das ist so nicht richtig. Abgesehen von meiner Vorliebe für fotografisches Fotos und für Frau Waas ist es so, dass ich mich nicht einfach von jedem regieren lassen würde. König Alfons der Viertel vor Zwölfte ist einfach ein weiser König. Persönlich bin ich eher anarchistisch eingestellt; Unterwürfigkeit ist mir zuwider.

Neben seiner Majestät gibt es aber noch jemanden, bei dem ich etwas peinlich verehrende Züge entwickel: Der „Boss“, also Bruce Springsteen.

Da ich nun schon einmal in New York City war (dazu in einem vorherigen Blogartikel mehr), wollte ich unbedingt auch nach New Jersey und auf den Spuren meines Lieblingsmusikers wandeln:

Die Anreise ist etwas irritierend. Die zentrale Bushaltestelle Port Authority ist schnell gefunden und auch Gate 326 für den Bus 139 habe ich schnell gefunden. Da aber eher abweisendes und abwesendes Personal den Bahnhof kennzeichneten, benötige ich einen Putzmann, der mir sagt, für welche Zone (die 13) ich buchen muss. Er hat auch die Freundlichkeit, mich auf das geänderte Gate hinzuweisen. Im Bus angekommen muss man in NY erst einmal sein Ticket beim Fahrer wegwerfen. Ich könnte also wahrscheinlich auch das billigste Ticket kaufen und bis zur Endhaltestelle fahren. Nachdem der Bus uns erst einmal 45 Minuten ohne Halt aus New York heraus fährt folgen 29 Haltestellen, ehe ich in Freehold ankomme. Dort kann ich gleich das nächste Ticket nach Asbury Park kaufen, was in NYC nicht möglich war. Ein Rückfahrticket nach NYC kann man mir hier indes auch nicht verkaufen – das soll ich dann in Asbury Park tun.

In Freehold sind es nur kurze Strecken zu Fuß die mich zunächst durch Reihen von Holzhäusern mit Frontporches führen, die abwechselnd mit US-Flaggen und patriotischen Sprüchen und (leider seltener) mit Regenbogenflaggen und weltoffenen Sprüchen dekoriert sind und die mich schließlich zum ersten Haus der Springsteens führen oder eher zu dem Parkplatz, der jetzt an der Stelle ist. Das alte Haus der Springsteens war schon in den ersten 6 Jahren im Leben Springsteens eine Bruchbude, die mit nur einem einzigen Kerosinofen geheizt wurde. Heute findet sich noch die verwitterte alte Einfahrt als Zeichen, das hier mal ein Haus war. Neben dem Parkplatz findet sich die Kirche St. Rose of Lima Church, die Springsteen in seiner Autobiografie beschreibt.

Weiter geht meine Tour zum noch stehenden Haus 39 ½ Institute Street, das eher ungepflegt daherkommt. Nichts zeigt, dass hier mal der berühmtes Sohn des Countys wohnte, keine Plakette oder sonstiges.

Dann geht es weiter nach 62 South Street, wo Springsteen als Jugendlicher und später allein mit der älteren Schwester (über die er „The River“ schrieb) lebte, nachdem seine Eltern nach Kalifornien gezogen waren. Während ich fotografische Fotos mache kommt Harold* (*Name geändert) auf mich zu. Er zeigt sich begeistert, dass ich extra aus Deutschland gekommen sei, spricht etwas Deutsch mit mir (er sei viel in Deutschland und China gewesen und habe die Sprachen gelernt) bevor wir auf Englisch fortfahren und er ein Fotoalbum aus dem Haus holt, das er nur den Fans zeigen würde, die einen sympathischen Eindruck machten. Es zeigt Bilder von ihm als Jungen mit den Eltern Springsteens, die ich wiedererkenne. Er habe schon damals dort gelebt gehabt, als die Springsteens eingezogen sein. Noch heute bekäme er freie Tickets vom Management, wenn Springsteen in der Nähe spiele. Als er ein Junge war, habe der 6 Jahre ältere Springsteen mit ihm Baseball gespielt und ihm erzählt, er wolle Baseballprofi werden. Er habe auch bis 2 Uhr nachts Springsteen beim Üben gehört, als dieser seine erste Gitarre gehabt habe und habe herüber geschrien, damit dieser endlich aufhörte. Harold zeigt mir das Fenster zum Zimmer, in dem Bruce gelebt hat, zeigt mir einen alten Baum, der damals schon stand und erzählt, wie der junge Bruce in schwülen Sommernächten manchmal auf dem Balkon schlief. Er zeigt mir den Porch und die Screen Door, die manchmal geknallt hätte, wenn der junge Springsteen Damenbesuch hatte und die später in einem seiner berühmtesten Songs besungen wurde: „The screen door slams / Mary’s dress sways / Like a vision she dances across the porch / As the radio plays...“

Anders als in den Darstellungen Springsteens habe er wohl eher wenig Zurückweisungen von der Damenwelt bekommen. „To me it seemed, he never had trouble with that“, berichtet Harold. Er erzählte auch, dass es nicht mehr die Originaltür sei. Die habe er damals auf dem Sperrmüll gesehen und ärgere sich bis heute, sie nicht vorm Sperrmüll gerettet zu haben.

Ansonsten erzählt Harold, wie Springsteen als Junge auf Zehenspitzen gestanden habe, um in das Wohnzimmer der Wilkinsons* (*wieder der Name geändert) zu schauen auf das dort stehende Klavier. Bruce sei davon fasziniert gewesen und auf den ersten Alben hat das Klavier tatsächlich eine tragende Rolle.

Harold erzählt mir, Springsteen scheine ihm die psychischen Probleme seines Vaters etwas künstlerisch zu übertreiben. Der Vater sei einfach ein normaler Arbeiter gewesen, der versucht habe, seine Familie über die Runden zu bringen und der sich besorgt gezeigt habe, Bruce könne über schlechten Umgang an die damals allgegenwärtigen Drogen geraten. Während Springsteens Kumpels und Bandkollegen aber alle gekifft hätten, habe Springsteen dies wohl nie getan. Harold erzählt auch von der Episode, als der Vater dem wüst protestierenden Bruce die langen Haare schnitt und Springsteen Jr. die nächsten Wochen nur mit Baseballkappe herumgelaufen sei.

Danach driftet Harold ungefragt in die Politik ab. Er erzählt mir, dass er nur aus Respekt vor Springsteens Ansichten und denen der meisten seiner Fans kein Trump-Schild in seinem Vorgarten habe. Er erzählt, wie es der Arbeiterschaft unter Trump besser gegangen sei und das Trump sich allein gegen China stelle. Europa kuschele mit China und Biden sei bezüglich Chinas völlig korrupt. Die Angst der Europäer und meine, dass das System von Checks and Balances keine weiteren Jahre Trump überstehe und Amerika faschistisch werde, sein übertrieben. Wir würden von liberalen Medien wie CNN belogen. Er schaue seit 10 Jahren kein TV mehr. Selbst Fox sieht Harold als Teil der Verschwörung gegen Trump. Die Amerikaner würden keine Diktatur zulassen.

Nachdem Harold mich zu einem früheren Zeitpunkt nach meinem Beruf gefragt hat, verwechselt er mich jetzt mit einem Psychologen und fragt mich nach einer Diagnose für Trump. Ich meinte, für mich habe Trump eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Da geht Hatold mit. Das helfe aber, wenn man sich gegen China stelle. Es ist erschütternd, dass er gar nicht in Frage stellt, dass Trump psychisch krank ist und er ihn trotzdem wählen wird. Er diskutiert weiter mit mir, weist meine Einwände zurück und gibt mir am Ende seine E-Mail-Adresse, um die Diskussion online weiterzuführen. Mal sehen…

Es geht für mich dann weiter nach Asbury Park, wo Springsteen erste Erfolge feierte und das namensgebend für sein erstes Album war. Mit 30°C und zig Meter Hohen Nebelschwaden, die vom Meer kommen, ist es an der Strandpromenade schwüler als ich es im Regenwald erlebt habe. Ich bin 5 Minuten lang froh, als ich im viel zu weit herunter klimatisierten Zug nach New York sitze, bevor ich meine Jacke rausholen muss, um nicht zu erfrieren. Auch hier wird mir mein Ticket weg genommen und durch einen kryptischen Zettel ersetzt, der an meinen Sitz geklemmt wird. Kann ich jetzt noch im Zug rumlaufen oder muss ich bei meinem Ticket sitzen bleiben? Egal, ich bin müde und döse vor mich hin, lasse meine Eindrücke vom Kleinstadtamerika Revue passieren und denke an Harold und das drohende Ende der Demokratie in Amerik, denke an Springsteen und freue mich auf das Wiedersehen mit Frau Waas im Hotel.

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