Veröffentlicht: 03.01.2019
Nach einer Woche Pause in Thulo Barkhu schnürten wir wieder die Wanderstiefel. Ein wenig mussten wir, vor allem Swenja, mit der Motivation kämpfen: Die vor uns liegenden 2.000 Höhenmeter und die zu erwartenden kalten Nächte ließen das tropische Südostasien, wohin wir im Anschluss reisen wollten, immer verführerischer erscheinen. Unter diesen Voraussetzungen erwies sich der Langtang-Trek als sehr passend: Mit einer gut ausgebauten Lodge-Infrastruktur und nicht allzu anspruchsvollen Wegverhältnissen, bietet er dennoch eindrucksvolle Landschaften und Bergpanoramen sowie tibetische Kultur. Traurige Berühmtheit erlangte das Langtang-Tal durch das schwere Erdbeben 2015: Das Dorf Langtang wurde komplett unter einer Geröll- und Eislawine begraben. Über einhundert Dorfbewohner und Touristen kamen dabei ums Leben.
Da wir einen Großteil unseres Gepäcks in Thulo Bharku zurückliesen und der Weg gut zu finden ist, konnten wir nun ohne Guide und Träger unterwegs sein. So sehr wir die Gesellschaft der beiden genossen haben, war es für uns auch reizvoll auf eigene Faust weiter zu wandern. Wir konnten spontaner sein und kamen in noch direkteren Kontakt mit den Einheimischen.
Nach der entbehrungsreichen Zeit im Ruby-Tal waren die gut ausgebauten Lodges im Langtang-Tal genau das Richtige für uns. Auch genossen wir die Tischgespräche mit anderen Reisenden am Abend. Wir hatten den Eindruck, dass recht viel los sei, von vielen individuellen Trekkern wie wir, bis hin zu großen geführten Gruppen, die gleich mehrere Lodges in Beschlag nahmen. Überrascht waren wir, als wir hörten, dass die Besucherzahlen noch lange nicht wieder auf dem Niveau von vor 2015 sind. Viele Bewohner haben nach dem Erdbeben, zum Teil durch Spenden oder Regierungsgelder finanziert, Touristen-Unterkünfte gebaut, aber der große Ansturm bleibt aus. Dies führe wohl auch dazu, dass innerhalb der Dorfgemeinschaft vermehrt Konkurrenz und Missgunst aufkomme. Dennoch wird fleißig an neuen Lodges gebaut. Da wir dazu bereits in der Nachsaison unterwegs waren, führte dieser Umstand für uns zu einem Vorteil: Die Lodge-Betreiber lockten uns mit dem Angebot, dass wir nichts für das Zimmer zahlen müssen, sondern nur für unsere Mahlzeiten. Dieses Sonderangebot bekommt man jedoch nur dann, wenn man ohne Guide und Träger unterwegs ist. So hat es sich für uns doppelt ausgezahlt, dass wir selbst schleppten!
Insbesondere auf dem Langtang-Trek lernten wir zu schätzen, dass wir so viel Zeit zur Verfügung haben und diese völlig unabhängig planen und gestalten können. Während die meisten Wanderer den Aufstieg des Langtang-Treks in drei Tagen bewältigen, ließen wir uns Zeit und kamen erst nach fünf Tagen an. Dafür gönnten wir es uns auch mal in Ruhe auszuschlafen, lange zu frühstücken oder ein ausgiebiges Schwätzchen mit Yak-Hirten zu halten. Abgesehen davon, mussten wir auch immer wieder Windeln auswaschen und danach unsere halb gefrorenen Hände an einer heißen Tasse Tee wärmen. Nachdem Antonia nun Spaß am Laufen gefunden hat, war auch sie froh über kürzere Wander-Strecken: Weniger Zeit in der Kraxe, mehr Zeit zum Laufen.
Am Ende des Langtang-Treks liegt der Ort Kyanjin Gompa auf 3.850 Metern. Auch hier sind durch das Erdbeben viele Gebäude zerstört worden. Heute besteht der Ort hauptsächlich aus Lodges, von kleinen Gebäuden im traditionellen Stil bis hin zu großen pink angestrichenen Beton-Bauten, alle recht planlos umeinander gewürfelt. Wir haben uns auf einen Tipp von anderen Wanderern hin das wohl beste Zimmer im ganzen Ort gesichert: Eine der kleineren Lodges besitzt ein großes Dreibettzimmer, das direkt über dem Gastraum liegt. Da dieser abends gut eingeheizt wird und sowohl die Wärme als auch der heiße Rauch durch das Ofenrohr nach oben ziehen, hatten wir es nachts gemütlich warm. Das war auch einer der Gründe, warum wir es ganze fünf Nächte in Kyanjin Gompa aushielten, während viele andere direkt nach einer oder zwei Nächten wieder absteigen. Ein weiterer Grund war jedoch: Es lohnt sich!
Von Kyanjin Gompa aus gibt es einiges zu tun. So kann man zwei Gipfel mit 4.773 und 4.984 Metern besteigen, von denen man phänomenale Ausblicke genießt. Noch lohnender fanden wir es jedoch, das Flusstal zu erkunden, das sich hinter Kyanjin Gompa weiter in Richtung Tibet zieht. Dort gibt es keine Lodges mehr, dafür auch kaum andere Wanderer, stattdessen findet man halb-wilde Yak-Herden und eine grandiose Landschaft. Es fällt schwer, nicht die Zeit zu vergessen und einfach weiterzulaufen. Für uns entpuppte sich dieser Tag im Flusstal hinter Kyanjin Gompa als einer der beeindruckendsten unserer gesamten Reise im Himalaya. Ungewöhnlich auch deshalb, weil es nicht darum ging einen möglichst hohen Gipfel zu besteigen, sondern wir einfach gemütlich im Tal schlendern und die imposante Landschaft auf uns wirken lassen konnten. Natürlich ließ es sich Matthias aber nicht nehmen, in den folgenden Tagen noch den höheren der beiden erwähnten Gipfel zu besteigen.
Unseren Aufenthalt in Kyanjin Gompa maßgeblich versüßt hat uns Dorje‘s Bäckerei. Der Apfelkuchen des Bäckers Lokpa ist im ganzen Tal bekannt, wobei unser Highlight seiner Auslage die Frangipani-Mandel-Tarte war. Ein Besuch der Bäckerei stand jeden Tag auf unserem Programm. So kam Antonia auch zu ihrem ersten Facebook-Auftritt: Lokpa postete ein Foto seines bisher jüngsten Gasts. Und prompt stellten wir am nächsten Tag anhand eines Kommentars dazu fest, dass wir einen gemeinsamen Bekannten am anderen Ende der Welt in England haben.
Vor unserem Abstieg verpassten wir knapp die Einweihung einer neuen Yak-Käserei. Die geladenen Gäste sollten mit dem Hubschrauber eingeflogen werden, der sich aufgrund der Wetterverhältnisse in Kathmandu jedoch verspätete. Nur die Schweizer Botschafterin war pünktlich. Sie hatte es sich nämlich nicht nehmen lassen, den Weg zu Fuß zu bestreiten.
Auch beim Abstieg ließen wir uns Zeit und bauten noch einen kleinen Umweg ein. Denn so beeindruckend die Landschaft auch ist, eins hat uns auf dem Langtang-Trek gefehlt: Dörfer. Es gibt zwar viele Lodges, auch größere Lodge-Ansammlungen, aber keine Dörfer, in denen auch Menschen wohnen, die nicht vom Tourismus leben. Mit unserem Abstecher über zwei Etappen des Tamang-Heritage-Trails bekamen wir so noch einmal einen kleinen Eindruck von zwei Dörfern. Außerdem wurde uns nachträglich noch einmal bewusst, wie besonders die Erfahrung in den vom Tourismus noch fast unberührten Dörfern und seinen Bewohnern im Ruby-Tal war.
Der Langtang-Trek stellte sich als großartiger Abschluss unserer Wanderung durch den Himalaya heraus. Nun trennte uns nur noch eine Jeep-Fahrt von unserer langersehnten heißen Dusche in Kathmandu. Die Fahrt entpuppte sich als haarsträubender als erwartet. Dass diese verfallene, zerklüftetet Straße die derzeit einzige Verbindungsstraße von Nepal nach China sein soll, lässt uns nur den Kopf schütteln. Denn an anderer Stelle wird mit immensem Aufwand an neuen Straßen gebaut, anstatt die bestehenden ordentlich auszubauen. Dass über die bestehende Straße nichts desto trotz täglich viele Lastwagen und Busse rollen, lässt uns gänzlich den Kopf schütteln. Glücklicherweise erwies sich Antonia mal wieder als hart im Nehmen und machte diese ruckelige Fahrt – oder wie unserer Fahrer meinte: just a little bit off road – gut mit.
Unser Fazit: Die zwei Monate im Himalaya waren entbehrungsreich und anstrengend, aber mit der entsprechenden Vorbereitung auch mit kleinem Kind durchaus machbar und absolut lohnenswert.