Veröffentlicht: 03.02.2017
Don Curry kann inzwischen Indien mit einem Wort zusammenfassen: Farben. Indien ist ein Land voller Farben: seien es Gewürze, die Blumen- und Gemüsemärkte, seien es die grellbunten Saris der meisten Inderinnen oder die genauso knallig bemalten Tempeltürme Südindiens. All das quillt über von Farben aller Arten und Schattierungen. Don Curry fragt sich, wie einst die Briten mit ihrer nebelgrauen Noblesse diese optischen Orgien verkraften konnten, doch vielleicht hat die Evolution den nordwesteuropäischen Inselbewohnern einzig die Unterscheidung distingiuierter Grautöne gelassen, während die Fähigkeit zum Farbensehen nach jahrhundertelangem Nichtgebrauch längst ausgestorben ist. Don Curry jedenfalls genießt den bunten Rausch allüberall.
Seine Unterkunft, das Chettinadu Mansion kann selbst als Beispiel ungehemmten Farbeneinsatzes in Indien gelten, allein schon die Kombination der Bodenfliesen, Wandkacheln und der Tagesdecke auf seinem Bett hätten einen konservativen Innenarchitekten in den Wahnsinn getrieben.
Leider musste er diese liebenswerte Unterkunft bereits wieder verlassen, genoss noch einmal das vorbeikommende Frühstücksbuffet und ließ sich von Prince nach Norden fahren. Ein kurzer Stopp galt dem pittoresken Fort von Tirumayam, das fast mit den riesigen Felskugeln verwachsen zu sein scheint, auf denen es errichtet wurde.
Über die Großstadt Tiruchirappali, kurz Trichy genannt, war bald die Flussinsel Srirangam erreicht. Hier besuchte Don Curry zunächst den Arulmigu Jambukeswarar Tempel, der zwar nicht zu den bedeutendsten Tempeln Südindiens gehört, aber gerade dadurch noch sehr viel Ursprünglichkeit bewahren konnte. Hier musste Don Curry erstmals seine Schuhe einfach auf der Straße vor dem Tempel zurücklassen - kein Chappal und kein selbsternannter Schuhbewacher weit und breit. Doch eingedenk seiner beachtlichen Schuhgröße konnte er sich sicher sein, dass kein Inder versehentlich in seine Fußbekleidung schlüpfen würde. Neben den herrlichen bunten Tempeltürmen faszinierten ihn besonders die gezeichneten Boden-Mandalas in den verschiedenen Gängen des Tempels. Dieser Ort zeigte sich tatsächlich touristenfrei und wurde dennoch genauso aufwändig geschmückt und von Gläubigen genutzt wie die berühmten Heiligtümer.
Eines dieser berühmten Heiligtümer Südindiens ist der Sri Ranganathar Swamy Tempel, der eine große Fläche auf der Insel Srirangam einnimmt und als bedeutendster Vishnu-Tempel in Tamil Nadu gilt. Zu ihm gehört auch der höchste Tempelturm der Welt, der allerdings erst 1987 vollendet wurde.
Beim Betreten des Tempels bot sich die seltene Gelegenheit, für ein kleines Eintrittsgeld eine Aussichtsplattform zu besteigen, wobei sich diese Plattform einfach als die Dachfläche diverser Tempelgebäude erwies. Durch die stundenlange Sonneneinstrahlung hatte sich diese Fläche bereits so erhitzt, dass Don Curry nicht mal für eine Sekunde stehen bleiben konnte, ohne Brandblasen an den Fußsohlen zu riskieren. Freundlicherweise bedeckte den besten Aussichtspunkt die schon bekannten Kunstfilzmatten; von diesem Punkt waren nicht nur all die farbenfrohen Tempeltürme zu sehen, sondern sogar die goldene Kuppel über dem Allerheiligsten des Tempels.
Im Gegensatz zu den kräftigen Farben des Meenakshi-Tempels von Madurai, herrschen hier allerdings Pastelltöne vor: von altrosa über lindgrün zu zartblau. Neben den insgesamt 21 Tempeltürmen entdeckte Don Curry eine prachtvolle 100-Säulen-Halle, deren Außensäulen lebensgroße, sich aufbäumende Pferde und ihre kriegerischen Reiter bilden.
Bis zum Ziel des heutigen Tages, der alten Königsstadt Thanjavur, mussten nur 62 km zurückgelegt werden. Prince kannte hier ein Hotelrestaurant, das seiner Meinung nach auch für Nichtinder gut geeignet sei; allerdings hatte sich das Restaurant hauptsächlich auf chinesische Küche spezialisiert und dementsprechend fast ausschließlich chinesische Kundschaft. Don Curry wählte trotzdem konsequent indische Gerichte, musste allerdings deutlich länger als sonst auf das Bestellte warten. Ob der - vermutlich chinesische Koch - erst nachfragen musste, wie man das zubereitet?
Nach dieser Mittagspause stand das Gebiet des ehemaligen Königspalastes auf dem Programm. Dieses recht unübersichtliche, ausgedehnte Gelände im Norden der Altstadt verfügt immer noch über zahlreiche historische Gebäude, die heute verschiedenen Museen als Unterkunft dienen. Zunächst suchte sich Don Curry den Weg zur Maratha Darbar Hall, der ehemaligen Thronhalle der Marathen-Dynastie von Thanjavur aus dem 17. Jhdt. Der pompöse und verschwenderische Schmuck an Säulen, Decken und Wänden zeugt bis in unsere Zeit von der damaligen Prachtentfaltung in einem politisch wenig bedeutenden Kleinkönigreich Südindiens. Eine britische Delegation wäre am Hof von Thanjavur angesichts dieses Farbenrausches vermutlich augenblicklich erblindet.
Wesentlich gewichtiger stellt sich allerdings die kulturelle Bedeutung Thanjavurs dar. Eine bis heute erhaltene Bibliothek zeigt nicht nur frühe Buchdrucke, sondern auch mittelalterliche Palmblattsammlungen, mit Texten verschiedener Art - ein extrem seltener Schatz im tropischen Asien mit seinem zersetzungsfördernden Klima. Das größte Museum des ehemaligen Palastes widmet sich der einzigartigen Kunst Thanjavurs. Vor allem für den Bronzeguss ist die Stadt auch heute noch bekannt. Gleich zwei umfangreiche Hallen zeigen mächtige Bronzestatuen, die teilweise bis ins 10. Jhdt., die Zeit der großen Chola-Könige, zurückgehen.
Genau aus dieser Zeit stammt auch die bedeutendste Sehenswürdigkeit Thanjavurs: der Brihadisvara-Tempel, der auf Geheiß König Rajarajas I. errichtet wurde. Innerhalb von nur 6 Jahren entstand dieses Meisterwerk drawidischer Baukunst des indischen Mittelalters. Auf den ersten Blick spürt man hier, dass dieser Tempel zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört: während alle anderen bisher besuchten Tempel - selbst die Berühmtesten - neben aller Schönheit und Pracht immer auch echte Schmuddelecken aufwiesen, wirkt dieser Tempel geradezu klinisch rein. Schon das Außengelände begrüßt mit wunderschönen, gepflegten Rasenflächen und blühenden Sträuchern. Informationstafeln erklären vielsprachig alles Wesentliche zum Tempel, selbst die Schuhabgabe ist nicht nur ausgeschildert, sondern auch relativ gut organisiert; allerdings muss hier pro Schuhpaar eine Rupie (ca. 0,015 €) bezahlt werden.
Doch auch der Tempel selbst macht einen ganz anderen Eindruck als seine bisher besuchten südindischen Kollegen. Anstatt der mächtigen Gopurams (Tortürme), die sonst das buchstäblich herausragende Wahrzeichen der Tempel bilden, stellt hier ein mächtiger, pyramidenartiger Turm über dem Allerheiligsten alles in den Schatten. Zudem fehlt die farbenfrohe Bemalung. Der Brihadisvara-Tempel kleidet sich gänzlich in den warmen braunen Farbton seiner gewaltigen Granitsteine, aus denen er erbaut wurde, und die dazu allesamt aus mehr als 70 km Entfernung herangekarrt werden mussten. Um die aus einem riesigen Granitblock herausgearbeitete 81 t schwere Gipfelkuppel auf den Turm setzen zu können, mussten die Bauleute eine 6 km lange stabile Rampe errichten, auf der der Stein wahrscheinlich mit Elefantenkraft in seine endgültige Position gebracht wurde. Bei all dieser Monumentalität wirkte der Tempel auf Don Curry dennoch nicht bedrückend oder einschüchternd, dazu sind seine Wände mit extrem detaillierten Skulpturen aufgelockert und gegliedert. Im Licht der untergehenden Sonne sorgten die deutlichen Schatten, die die einzelnen Figuren warfen, für ein weiteres Gestaltungselement, das dem Tempel seine Wuchtigkeit nahm. Ein Großteil der Begrenzungsgänge verfügt außerdem über filigrane Fresken, die dann doch noch Farbe ins Spiel bringen. Don Curry zeigte sich so beeindruckt, dass er beschloss, am nächsten Morgen unbedingt noch einmal diesen großartigen Ort zu besuchen.
Auf Bitten seines Fahrers Prince erklärte sich Don Curry allerdings zunächst bereit, einen dieser speziellen Läden aufzusuchen, die vermutlich kein Mensch freiwillig betritt, sondern die ihre Kunden ausschließlich durch Reisebusse und Touristentaxis bekommen. Stets steht gelangweilt ein Portier vor dem Eingang, um dem möglichen Käufer geflissentlich die Tür zu den gut klimatisierten Räumlichkeiten zu öffnen, stets hält sich ausreichend Verkaufspersonal bereit, um auch ganze Busladungen von Touristen bewältigen zu können. Oft wird sogar erst das Licht überall angemacht, wenn tatsächlich mal ein Kunde auftaucht, sonst spart man lieber Energie. All diese Läden verkaufen typisch indisches Kunsthandwerk der gehobenen Kategorie: angefangen von winzigen Holzelefanten für 10 € bis zu Bronze-Ganeshas in Lebensgröße für um die 50.000 €. Damit diese Geschäfte überhaupt Käufer in spe geliefert bekommen, zahlen sie dem jeweiligen Fahrer eine kleine Provision, unabhängig von einem tatsächlichen Kauf, wie Prince versicherte. Leider ist so ein Shoppingbummel nie entspannt, da man zwar freundlich und sehr zuvorkommend behandelt wird, aber stets das gesamte Repertoire in allen Stockwerken zumindest einmal kurz wahrgenommen haben muss. In Madurai hatte Don Curry genau das getan, doch hier in Thanjavur wollte er diese große Runde einfach abkürzen: er hatte tatsächlich ein Kaufinteresse - nämlich DIE Ikone Indiens überhaupt, den Nataraja, den er hier in der Bronzegießerstadt Thanjavur als kleine Bronzefigur erwerben wollte. Bei einer Tasse Masala-Tee und den üblichen Verhandlungsmethoden, erreichte er nach ca. 30 Minuten einen akzeptablen Preis und konnte seine Reisetasche künftig noch schwerer machen. Auch Prince zeigte sich zufrieden: er hatte seine Provision bekommen.
Für heute stand nur noch das Einchecken im Hotel Gnanam an. Lust auf ein Abendessen im Restaurant stellte sich bei Don Curry nicht so recht ein. Daher orderte er einfach ein kleines Mahl und ein großes Bier beim Zimmerservice. Wenig später servierte der Hotelmitarbeiter bereits das Bier und - kostenlos dazu - 4 große Schalen mit Knabbereien: von salzigem Popcorn über Röstzwiebeln und winzigen Erdnüssen bis zu Tapioka-Chips. Beim nächsten Mal brachte er das Gemüsecurry und eine riesige Schüssel Reis; beim dritten Klingeln hatte er 2 Paratha-Brote und 4 verschiedene Chutneys und Raithas zum Brot dabei. Nicht einmal die Hälfte dieses "kleinen Mahles" konnte Don Curry bewältigen, aber er staunte abermals, wie viele Farben dieses kleine Privat-Buffet in sein Zimmer brachte...