Veröffentlicht: 13.01.2017
Don Curry schmunzelte in sich hinein. Er tat es wissend, keinesfalls irgendeiner Form von Erheiterung folgend. Genauso hatte er es sich gedacht: Jenseits von Delhi war Indien ganz anders. Jenseits von Delhi konnte man all die üblichen Vorurteile getrost ablegen. Jenseits von Delhi - war Indien noch ganz anders andersartig...
Nach einem reichhaltigen Frühstücksbuffet, bei dem sich Don Curry konventionell an Müsli und etwas Papaya hielt, galt es die Suite zu verlassen. Mr. Sanjay stand schon bereit und stürzte sich leidenschaftlich hupend auf die Straßen von Delhi.
Erstes Ziel war der Lakshmi-Narayam-Tempel, wo Mr. Brahm bereits wartete und hier sein spezielles Wissen ausspielen konnte. Eigentlich arbeitete er Geschichtslehrer, der sein karges staatliches Gehalt durch Dienste als Fremdenführer aufbesserte; und er schrieb gerade ein Buch über indische Tempelarchitektur.
So wurde Don Curry reichlich angefüllt mit Wissen über die typische Gliederung hinduistischer Tempel, den Unterschied zwischen Skulpturen und Ikonen im Hinduismus und zahllosen Geschichten über die komplexen Zusammenhänge unter den Göttern. Außerdem wurde er von Mr. Brahm mit einem "Gebetspunkt" zwischen den Augenbrauen versehen, zum Zeichen, dass er in einem Tempel gewesen war. Alle Welt sollte es wissen können...
Die verspielt-leichte Architektur des Lakshmi-Narayan-Tempels mit ihrer wunderbar gelb-orangen Farbgebung bezeichnete Mr. Brahm als "Trailer", als kleine Werbung für den eigentlichen "Movie". Dieser "Movie" sollte der gewaltige Akshardam-Tempel sein, den eine hinduistische Sekte erst 2005 erbauen ließ, und der seitdem Angkor Wat als größter Tempel der Welt abgelöst hat.
Monströs zeichneten sich die Silhouetten der verschieden Tempelgebäude schon von weitem ab, monströs war aber auch der Sicherheitsaufwand. Nur Kleidung und Portemonnaie durfte mit aufs Tempelgelände, alles andere wurde weggeschlossen. Die folgende Sicherheitskontrolle erwies sich als intensiver und strenger als auf manchem Flughafen, und alles war auf die Abfertigung von Menschenmassen ausgerichtet: rund 20.000 Menschen besuchten den Tempel täglich. Da Don Curry bereits kurz nach Öffnung hier war, hielt sich die Menge der Anwesenden noch sehr in Grenzen. Der riesige Haupttempel mit einer Mischung aus Hindu- und Moghulstil erwies sich innen wie außen als lückenlos und kunstvoll ausgeschmückt. Dennoch wirkte das alles sehr gewollt auf Don Curry, als hätte Ludwig II. von Bayern seine Hände im Spiel, oder schlimmer noch: irgendwie hatte das ganze Gelände eine Aura von Disneyland auf hinduistisch: z.B. gibt es eine Bootsfahrt durch die indische Geschichte, riesige Souvenirshops und andere "Attraktionen".
Den Sockel des Tempels bildet ein gewaltiger 360 m langer Wandfries, der mit lebensgroßen Elefantenskulpturen zeigen will, wie Menschen richtig leben sollen: gemeinschaftlich, geduldig, beschützend, fürsorglich... Elefanten sind halt die besseren Menschen, weiss der Hindu.
Für Mr. Brahm war dieser Tempel offensichtlich der Höhepunkt des Delhibesuchs, für Don Curry nur der Schlusspunkt. Dankbar verabschiedete er sich von seinem Guide, um nun mit Mr. Sanjay allein sich in die Weiten Indiens zu stürzen.
Nach dem üblichen Kampf durch Delhis Straßen und Speckgürtel, wurde der Unterschied zum Land recht bald deutlich. Delhi war größtenteils sauber gewesen, die Umgebung war es nicht. Ein Sinn für Ästhetik und Sauberkeit über die eigene Privatsphäre hinaus hatte sich im harten Alltag der meisten Menschen noch nicht entwickeln können. Vor allem die kleineren Städte und Ortschaften strotzten geradezu vor Müll und Unrat entlang der Straße. Hunde, Katzen und die ersten Kühe durchsuchten eifrig die entsprechenden Berge nach Fressbarem. Auch schwarze und rosa Schweine mit putziger Punkfrisur tauchten öfters am Wegesrand auf, dazu Ziegen, Zebus, Büffel, Esel, und gelegentlich Pferde. Als auch noch Dromedare, Affen und sogar Pfauen die Straße säumten, fühlte sich Don Curry fast schon wie in einem Safaripark. Beim Mittagessen in einem kleinen Gartenrestaurant, teilten Streifenhörnchen und Papageien den Garten mit ihm. Einzig die endlosen, blühenden Rapsfelder brachten etwas heimisches Kolorit in die exotische Umgebung.
Die Straßenverhältnisse zeigten sich sehr unterschiedlich: teilweise ging es recht zügig voran, natürlich mit dem typischen Gedrängel, Gehupe und Gegengehupe, teilweise kamen aber noch erhebliches Gerüttel und Geschüttel mit dazu
Pünktlich zum gesungenen Abendgebet erreichte Don Curry den Rani-Sati-Tempel in Jhunjhunu, dem Tor zur Shekhawati-Region. Im Licht des Vollmondes und bei farbenfroher Beleuchtung strahlte der auch architektonisch beeindruckende Hindutempel eine ganz besondere Atmosphäre aus. Der "Gebetspunkt" war heute wohlverdient, fand Don Curry.
Nach einigen weiteren Kilometern kamen sie endlich in Mandawa an, in dessen Zentrum sich eine trutzige mittelalterliche Burg erhob, die seit einiger Zeit teilweise zum Hotel ausgebaut war. Allerdings hatten sich hier niemals Ritter auf rassigen Rössern bewegt, dieses Gebiet am Rand der Wüste Thar war seit Urzeiten Kamelland. Don Curry wurde ein Zimmer auf der dritten Ebene zugewiesen, das nur durch eine verwirrende Folge von Treppen, Gängen und Terrassen erreicht werden konnte. Verwirrend wirkten auch die Spiegel in Kopf- und Fußende des Bettes: so konnte sich Don Curry erstmals selbst beim Schlafen zusehen. Verwirrend zeigte sich schließlich sogar die Art des Dinners. Don Curry konnte nicht wählen, ihm wurde nach der Suppe einfach ein Teller mit Hühnchen, Reis, Gemüse und Pasta kredenzt. Als er einen Teil weggegessen hatte, füllte das eifrige Personal den Teller mit indischem Spinat und Paneer-Käse sofort auf. Anschließend erschienen 4 Kellner im Minutentakt, um ihm von all dem jeweils einen Nachschlag anzubieten, bis Don Curry schließlich mehr als gesättigt aufgab.
Den schönsten Raum der Burg hatte man zur Bar umgebaut: komplett mit farbenfrohen Wand- und Deckengemälden aus dem 19. Jhdt. versehen. Don Curry gab sich dem Farbenrausch bei einem Domestic Gin hin, der allerdings hinter den optischen Eindrücken weit zurückblieb. Auf dem Heimweg durch die diversen Innen- und Oberhöfe der Burg prangten hunderte von Lichtern und Strahlern. Indien war wirklich ganz anders andersartig, immer wieder...