Don Curry on Tour 4
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Don Curry bei den Tuschen

Veröffentlicht: 26.06.2023

Don Curry landete bereits gestern im Gebiet eines ganz besonderen Volkes. Die Bewohner Tuschetiens werden als Tuschen bezeichnet. Natürlich sind sie georgische Staatsbürger, aber dieses relativ kleine Volk hat über Jahrhunderte seine Eigenständigkeit behauptet. Die Tuschen verfügen über eine eigene Sprache, eigene Feste und insgesamt eine ganz spezielle Kultur. So wird gemutmaßt, dass die Tuschen zwar offiziell Christen sind, aber dennoch weiterhin vorchristliche Praktiken und Bräuche pflegen. In vielen Dörfern und an anderen Stellen stehen bis heute besondere Gebets- oder Opferschreine, denen sich nur Männer nähern dürfen. Sehr eigentümlich gestaltet sich auch der Lebensrhythmus vieler Tuschen. Während sie die Sommermonate in ihren Heimatdörfern in Tuschetien verbringen, um Viehzucht zu betreiben oder den wachsenden Tourismus zu ermöglichen, spielt sich ihr Leben in den Wintermonaten südlich des Kaukasus in eigenen Tuschendörfern ab. Nur wenige Alte überwintern in der eigentlichen Heimat. Für sie und für die georgischen Grenztruppen fliegt einmal monatlich ein Helikopter in die verschneite Hochgebirgslandschaft, um die Versorgung zu gewährleisten. Ansonsten sind sie komplett von der Außenwelt abgeschlossen. In keine Richtung gibt es irgendeine Verkehrsverbindung. Zu den Seltsamkeiten gehört auch, dass die Tuschen in Tuschetien niemals Schweinefleisch essen, in den Dörfern südlich des Kaukasus aber schon.Heute würde Don Curry den ganzen Tag im Gebiet der Tuschen verbringen. Eines hatte er schon gestern abend bemerkt. Der Tisch bei den Tuschen wird reichlich gedeckt. Auch zum Frühstück erwartete ihn ein dickes, pfannengroßes Omelette, Tomatenscheiben, Käse, selbstgemachte Butter, frisches Brot, Marmelade und ein Kessel heißes Wasser, damit er sich selbst Instantkaffee oder Beuteltee zubereiten konnte. Nicht einmal die Hälfte des Dargebotenen konnte er verspeisen, bevor die Sättigung einsetzte.Zumindest wuchs ihm ausreichend Kraft zu, um den Aufstieg zur sogenannten „Festung“ Keselo zu starten, die oberhalb Alt-Omalos auf einer steilen Hügelkuppe thront. Bewundert hatte er sie schon seit der Anfahrt gestern. Festung ist deshalb ein falscher Begriff, weil es sich um eine Ansammlung einzeln stehender Wehrtürme handelt, in denen die Tuschen früher Zuflucht suchten, wenn wieder einmal Räuberbanden oder Krieger aus den nördlichen Gebieten Dagestan oder Tschetschenien in Tuschetien einfielen. Das ganze Dorf konnte dann schnell in die Wehrtürme umziehen und notfalls wochenlang eine Belagerung abwarten. Anfang des 21. Jhdts. begann man, diese besonders herausragenden Kennzeichen tuschetischer Kultur zu rekonstruieren und damit vor dem endgültigen Verfall zu retten. Heute bilden diese Wehrtürme, die in vielen Dörfern erhalten sind, einen Hauptgrund für die touristische Attraktivität dieses so schwer erreichbaren Landstrichs. Don Curry bestaunte die im gleichen Stil, wie sein eigener Wohnturm auf Zeit, gebauten Türme aus nächster Nähe und erfreute sich zugleich an dem mächtigen Ausblick von dieser erhöhten Position.Dann kam wieder Xerra zum Einsatz. Geplant war je ein Ausflug zu den Nachbardörfern Omalos im Westen und im Osten. Bis vor kurzem verbanden reine Wanderwege die tuschetischen Dörfer, doch inzwischen wurden die meisten von ihnen zu befahrbaren Pisten ausgebaut. Wobei „befahrbar“ ein relativer Begriff ist. Sicherlich fehlte diesen Strecken die durchgehende Gefahrenlage der Abano-Passroute, doch Spazierfahrten boten sie keineswegs. Don Curry plante zunächst die Fahrt nach Osten nach Shenaklo und weiter nach Diklo, dem letzten Dorf vor der unpassierbaren Grenze zum russischen Dagestan. Steil ging es von Omalo auf mehreren Serpentinen in ein Flusstal hinab, wo eine Holzbrücke passiert werden musste. Anschließend führte die Strecke genauso steil hinauf auf die Höhe des Dorfes. Der Großteil der Pistenstrecke verlief durch dichten Wald, wo sich rutschiger Matsch gebildet hatte. Doch auf dem Hinweg traten keine größeren Probleme auf. Eigentlich wollte sich Don Curry in Shenaklo die einzige georgische Kirche aus früheren Zeiten in Tuschetien anschauen, doch im Dorf fandet sich keinerlei Parkmöglichkeit, so dicht stehen die Häuser dort zusammen. Er fragte zwei am Straßenrand stehende Männer ob die vor ihm liegende Piste ihn nach Diklo bringt, was beide bestätigten. Also nochmals 4 km auf und ab. Hinter Diklo stehen die Reste einer mittelalterlichen Grenzfestung, die Don Currys eigentliches Ziel darstellte. Laut Reiseführer musste er sein Auto am Ende des Ortes abstellen, um den Rest zur Festung zu wandern. Doch als er gerade Xerra zurücklassen wollte, gab ihm eine alte Frau zu verstehen, dass er durchaus weiterfahren könne. Erst in den letzten Jahren wurde die Strecke zur Festung offenbar ausgebaut, allerdings fast durchgehend eng zwischen Felswand und Abgrund. Noch während Don Curry auf diesem letzten Stück fuhr, setzte strömender Regen ein. Xerra erreichte zwar gut den Parkplatz bei der Festung, doch Don Curry hielt seinen Besuch sehr kurz; nicht nur wegen des Regens, sondern auch, weil er auf dem kurzen Fußweg zur Festung merkte, wie rutschig der Boden geworden war. Nur weg hier, dachte er, bevor das Fahren ganz unmöglich wird. Bis Diklo kam er gut voran, doch auf dem fast ebenen Teilstück hinter Diklo, hatten sich durch den heftigen Regen große Pfützen gebildet, die den Boden zusätzlich aufweichten. Immer häufiger drehten Xerras Räder durch, und plötzlich wollten die Hinterräder   Vorderräder überholen. Xerra stand fast quer zur Piste und konnte kaum noch kontrolliert werden. Don Curry ging davon aus, dass sich die Reifen inzwischen so mit Matsch zugesetzt hatten, dass ihnen jeder Griff abhanden gekommen war. Kurzerhand verließ er die Pistenspur und fuhr parallel dazu auf der Wiese. Danach ließen sich die Räder wieder besser einsetzen, doch vor allem auf den Abwärtsstrecken setzte Don Curry auf noch mehr Vorsicht als sonst schon. Viel später als gedacht kehrte er nach Omalo zurück.Jetzt noch die andere Tour nach Dartlo, dem schönsten Dorf Tuschetiens? Angesichts der regennassen Pisten verzichtete Don Curry. Außerdem zeigte die Tankanzeige, dass Xerra nur noch die Hälfte an Benzin mit sich führte. Das aber sollte das Mindestmaß sein, um beruhigt die Rückfahrt über den Abano-Pass anzutreten. Er wollte Tuschetien schließlich nicht nur als Ansammlung anstrengender Pisten in Erinnerung behalten, sondern als Hort nahezu unberührter Natur und großartiger landschaftlicher Schönheit. So blieb er in der Nähe Omalos, durchforschte hier eine Wildblumenwiese, suchte sich dort einen Platz mit traumhafter Aussicht auf die schneebedeckten Gipfel in der Ferne – oder genoss einfach nur die Sonne, die sich inzwischen durchgesetzt hatte. Denn was Don Curry bisher noch gar nicht erwähnte, sind die völlig ungeorgischen Temperaturen. Tagsüber klettern Ende Juni die Höchstwerte selten über 15° C, nachts bleibt es stets im einstelligen Bereich. Ohne die dicke Bettdecke und eine weitere Überdecke würde er es in seinem besonders durchgekühlten Wohnturm gar nicht aushalten.


Nach seiner Rückkehr zum Gästehaus erfuhr Don Curry, dass es einen neuen Gast geben würde. Beim gemeinsamen Abendessen lernte er ihn kennen: einen jungen Spanier, der mit seinem eigenen Mountainbike nach Georgien gekommen war, um sämtliche Kaukasusregionen radelnd zu bewältigen. Heute lag die Strecke von Chewsuretien nach Tuschetien hinter ihm, und er freute sich, ebenfalls im Wehrturm ein Zimmer bekommen zu haben, direkt unter Don Curry. Er stammte aus den spanischen Pyrenäen und daher in den Bergen zuhause. In vier bis fünf Tagen wollte er jedes Dorf in Tuschetien besuchen. Sorgen machten ihm allerdings die Hirtenhunde, die häufig sehr aggressiv ihre Herden bewachen. Don Curry musste berichten, dass Zwei dieser Hunde kurz vor Diklo heftig sein Auto attackiert hatten. Fahrradfahrer sind aufgrund ihrer hohen Bewegungsaktivität auf Augenhöhe der Hunde natürlich ein unwiderstehliches Ziel. Der Spanier entdeckte im Speiseraum eine Karte Tuschetiens, auf der die möglichen Aufenthaltsorte der Hirtenhunde sogar eingezeichnet wurden. 

Gut, dass jetzt das Essen serviert wurde, bevor die Sorgen des Spaniers noch wachsen konnten. Heute gab es neben der Gemüsesuppe, dem Käse und dem Brot einen Krautsalat, einen Tomaten-Gurken-Salat, ein warmes Pilzgemüse und - als Don Curry und der Spanier eigentlich schon satt waren - eine kalte knusprige Khachapuri mit Käsefüllung, alles wieder superlecker und für Don Curry komplett vegetarisch. Doch beide Gäste stimmten überein, dass diese Massen an Speisen einfach nicht zu schaffen waren.

Nach einem gemütlichen Abendspaziergang in den letzten wärmenden Strahlen der Sonne fragte Don Curry die Vermieterin, wann denn morgen die beste Zeit sein, um zum Abano-Pass aufzubrechen. "Um 10 Uhr", meinte sie. Doch heftig widersprachen ihre Töchter: "Nein, besser früher." So einigten sich alle, dass Don Curry morgen um 7:00 Uhr sein Frühstück bekommen sollte, um dann gegen 8:00 Uhr die anstrengende Fahrt zu beginnen. Während dieser Diskussion beschäftigte sich die ganze Familie mit der Herstellung von Chinkali, den typisch georgischen Nudelsäckchen mit Füllung. Don Curry erfragte die Erlaubnis zu einem Foto und bekam sie prompt.

Anschließend kroch er durch den Zugang zu seinem Zimmer im Wehrturm, um sich auf eine letzte kalte Nacht in Tuschetien einzustimmen. Morgen früh, so dachte er, werde ich das Volk der Tuschen zurücklassen. Doch er sollte sich darin ziemlich täuschen...

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