Don Curry on Tour 4
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Don Curry und der Todespass

Veröffentlicht: 25.06.2023

Don Curry neigt eigentlich nicht zu Dramatisierungen. Er schreibt seine Erlebnisse im realistischen Stil, manchmal mit einer kleinen Prise Humor gewürzt. Aber übertriebene Selbstdarstellung oder gar Aufschneiderei passt gar nicht zu ihm, liegt extrem fern seiner Intentionen. Wenn er heute dennoch eine - zugegeben - ziemlich reißerische Überschrift gewählt hat, dann zum einen, weil der Hauptbestandteil des heutigen Tagesprogramms tatsächlich oft mit diesem dramatischen Etikett versehen wird, zum anderen, weil eine gewisse Todesgefahr weitaus stärker bestand, als im gewöhnlichen Alltag des Lebens.


Am frühen Morgen begann der Tag noch völlig ungefährlich. Don Curry blickte von seinem Balkon Richtung Kaukasus und sah ihn nicht. Dicke Wolken hatten sich davor geschoben. Das passte so gar nicht zu Don Currys späteren Plänen. Aber noch hatte er ja Zeit, z. B. für's Frühstück im Hotel ARGE. Dieses war deutlich georgischer ausgelegt, als bei seinen anderen Unterkünften. So konnte er hier unter anderem die imerulische Khachapuri probieren, und auch Lobiani gab es, eine Art Khachapuri mit Bohnenfüllung. Gut gesättigt und insgesamt sehr zufrieden verließ Don Curry das nette Familienhotel, allerdings nicht ohne sich je 2 Liter seiner beiden Lieblingsweine vom gestrigen Abend abfüllen zu lassen: den bernsteinfarbenen Rkaziteli und den halbsüßen Saperavi. Er bekam jeweils vier 0,5 l Fläschchen, was er sehr praktisch fand.Dann startete er den vierten Versuch, das Kloster Neues Schuamta endlich zu besuchen. Dreimal stand es auf dem Tagesprogramm, dreimal regnete es so stark, dass Don Curry keine Lust hatte, Xerra zu verlassen. Heute regnete es nicht, obwohl dicke graue Wolken den Himmel dominierten. Nach 10 km war das Ziel erreicht, der Klosterparkplatz vollkommen leer, und es regnete immer noch nicht. Das einzige, was Don Currys Freude leicht trübte, bestand in dem "Fotografieren verboten"-Schild, das bereits die äußere Klosterpforte zierte. Und da er der einzige Kirchenbesucher sein würde, galt die Aufmerksamkeit der etwaigen Aufpasser-Nonne ihm allein. Es gab eine Aufpasser-Nonne. Doch als Don Curry ihr ein freundliches Nicken zur Begrüßung schenkte, strahlte sie ihn herzlich an, begleitete ihn aber in die ansonsten leere Kirche. Neues Schuamta gehörte einst zu den wichtigsten Klöstern Georgiens. Von dieser Bedeutung kündeten noch die Reste der farbenprächtigen Fresken. Leider überstanden sie nur an einigen Wandflächen die Wechselspiele der Zeit; mehrfach hatte man die Kirche zerstört. Doch die noch existierenden Fresken gefielen Don Curry so gut, dass er sie einfach fotografieren musste. Er zückte das Handy, drückte ab, und erntete keinen Rüffel. So hielt er ausgiebig die alte Klosterkunst fest und bedankte sich bei der verständnisvollen Nonne, die ihn daraufhin wieder überaus herzlich anstrahlte.


Neues Schuamta konnte Don Curry endlich abhaken von der Liste besuchenswerter Kunstdenkmäler Georgiens. Nun musste er einige praktische Dinge erledigen, damit die künftigen drei Tage gelingen konnten. Zuerst kaufte er im Supermarkt „Carrefour“ in Telavi ein paar Getränke und Knabbereien ein, holte sich etwas Bargeld aus dem Bankautomaten und tankte Xerra richtig voll. Damit konnten die Vorbereitungen als abgeschlossen gelten. Bevor es aber dem eigentlichen Ziel entgegenging, gönnte sich Don Curry noch einen kurzen Zwischenstopp beim Kloster Ikalto, dem vermutlich im Mittelalter eine Akademie angeschlossen war und das deshalb als geisteswissenschaftliches Zentrum im Osten Georgien gelten konnte. Zahlreiche Ruinen umringen die Klosterkirche, die immer noch über einen schön verzierten Zentralturm verfügt. Das Innere der Kirche wird allerdings durch zahlreiche Stahlträger geprägt, ohne die das Bauwerk höchst einsturzgefährdet wäre. Die einzige Inneneinrichtung der Klosterkirche bildet eine improvisierte Ikonostase, damit vorbeikommende orthodoxe Christen wenigsten ein paar Kerzen entzünden können.


Jetzt aber! Die Mittagszeit hatte bereits begonnen, und Don Curry sah mit großer Zufriedenheit, dass sich der Kaukasus seines Wolkenkleides immer mehr entledigte. Dort wollte Don Curry heute hineinfahren. Der Rest des Tages diente einzig und allein der Anreise. Doch was war das für eine Anreise! Sie führte über den Todespass. Korrekter ausgedrückt führte sie über den Abano-Pass, den mit 2826 m höchsten befahrbaren Kaukasus-Pass Georgiens. Starten würde Don Curry bei 450 Höhenmetern; das macht schon deutlich, welche Anstrengungen auf Xerra und ihn zukommen. Schwerwiegender ist allerdings der Umstand, dass die gesamte Strecke von 70 km über den Pass keine asphaltierte Straße darstellt, sondern eine kaum befestigte Piste, die nur Allradfahrzeuge bewältigen können. Gut, dass Xerra zufällig genau so ein Fahrzeug ist.


Das erste Teilstück der Gesamtstrecke empfand Don Curry am unangenehmsten. Durch den vielen Regen der letzten Tage kämpfte er mit einer extrem matschigen Wegbeschaffenheit. Immer wieder rutschte Xerra leicht zur Seite und hatte manchmal Probleme, die heftigen Steigungen auf dem glatten Untergrund zu bewältigen. Schnell gewann Don Curry an Höhe. Bald führte die Piste hoch über einem Gebirgsfluss an einer mächtigen Felswand entlang. Die gesamte Strecke hat man grundsätzlich nur einspurig angelegt, nur gelegentlich finden sich Ausbuchtungen, so dass Autos an diesen Stellen aneinander vorbei kommen. Don Curry schätzte sich glücklich, dass er nur zweimal während der 70 km mit Gegenverkehr zu tun bekam; in beiden Fällen gelang das Ausweichen recht unaufwändig. Problematischer gestalteten sich die Begegnungen mit zwei Kuhherden und einer Pferdeherde, die von Hirten über die Piste aufwärts zu ihren Sommerquartieren getrieben wurden. Da zahlreiche Kälber bzw. Fohlen zu den Herden gehörten, reagierten die Tiere besonders nervös, als Xerra immer näher kam. Weiträumiges Umfahren der Tiere stellte hier ein Ding der Unmöglichkeit dar. Also schloss sich Xerra jeweils den Herden an und kämpfte sich, umringt von den Tieren, zentimeterweise nach vorne, bis auch die vordersten Vierbeiner überholt waren. Manchmal halfen auch die Hirten mit, indem sie einzelne Tiere zur Seite schubsten.Nach der Matschstrecke entlang der Schlucht begann die Region der Serpentinen mit endlosen Haarnadelkurven. Vielen gilt gerade dieser Teil der Gesamtsrecke als der beängstigendste und gefährlichste. Die Piste wurde in gewaltige Berghänge hineingefräst und geht an einer Seite stets abrupt in gewaltige Tiefe. Don Curry vermied es geflissentlich, mal einen Blick zur Seite zu werfen. Er wollte gar nicht wissen, ob es 100, 200 oder noch mehr Meter wären, die Xerra unaufhaltsam hinabstürzen würde, wenn er nicht exakt auf der schmalen Fahrbahn blieb. Irgendwelche Sicherungen gab es keine. Erschwerend kam hinzu, dass die Piste nicht eben angelegt wurde, sondern manchmal so schräg gefräst war, dass Don Curry befürchtete, Xerra kippe einfach zur Seite. Doch Xerra hielt sich wacker. Don Curry spürte deutlich die zunehmende Anspannung und die höchste Konzentration, die diese Fahrt ihm abverlangte. Er merkte es daran, dass er immer wieder die Zehen verkrampfte, als wollte er sie zu Fäusten ballen. Häufig begegnete er Gedenktafeln mit den Namen und Gesichtern der Menschen, die auf dieser Strecke bereits ihr Leben verloren haben. Wirklich ein Todespass!


Dann geschah das, was Don Curry unbedingt vermeiden wollte. In den größeren Höhenlagen geriet er doch in die Wolken. Nun wurde seine Sicht nicht nur durch die zahlreichen Schlammspritzer gemindert, die Xerra inzwischen komplett verunzierten, sondern reduzierte sich auf wenige Meter vor ihm durch die dicke Wolkenschicht. Eigentlich nicht schlecht, dachte Don Curry, jetzt ist der Blick zur Seite wenigstens nicht mehr so beängstigend. Eine weitere Herausforderung stellten die zahlreichen schmalen, aber manchmal bis zu 2 m breiten Gebirgsbäche dar, die immer wieder die Piste querten und unter Wasser setzten. Manchmal musste Xerra regelrecht durch Wasserfälle fahren, die von der Bergseite herabrauschten und direkt nach der Piste weiter ins Tal stürzten. Wie gut, das Xerra ein echtes Schwergewicht darstellt, das nicht so schnell weggespült werden kann. An einer Stelle musste sogar ein Wasserfall passiert werden, der von oben auf Xerras Dach prasselte; eine natürliche Autowaschanlage, die dankenswerterweise die Frontscheibe von allen Schlammspritzern komplett freispülte - bis irgendwann die nächsten auf ihr landeten.


Plötzlich sah Don Curry eine winzige Kapelle am Straßenrand, und er entdeckte, dass ab hier die Piste abwärts führte. Das konnte nur eins bedeuten: er hatte den Abano-Pass erreicht. Don Curry gönnte sich und Xerra eine ausgiebige Pause und sog die herrliche Aussicht nach allen Seiten in sich auf, bis er in der ziemlich frischen Luft zu frösteln begann. Hier und auch auf dem gerade bewältigten Wegstück blickte Don Curry immer wieder auf große Schneefelder am Pistenrand. Von Oktober bis in den Mai ist die gesamte Passstrecke für den Verkehr komplett gesperrt, weil Eis und Schnee ein Durchkommen unmöglich machen würden. Nun ging es abwärts, was das Fahren allerdings nicht wesentlich erleichterte. Im Gegenteil: ab jetzt musste Don Curry fast durchgehend mit der Bremse arbeiten, damit Xerra nicht zuviel Geschwindigkeit bekam. Übrigens lag die durchschnittliche Geschwindigkeit auf der ganzen Strecke bei 15 Stundenkilometern, mehr war angesichts der brutalen Straßenverhältnisse nicht denkbar.Bereits auf dem Abano-Pass kündigte ein Schild an, dass Don Curry ab jetzt in Tuschetien angekommen sei. Diese abgelegendste Region Georgiens hat durchgehend Hochgebirgscharakter. Dementsprechend mussten auf dieser Seite des Passes nur rund 1000 Höhenmeter abwärts bewältigt werden. Nach einigen Haarnadelkurven erreichte Don Curry abermals das längliches Tal eines Gebirgsflusses, dem er künftig folgen konnte. Leider kehrten nun die Probleme der allerersten Teilstrecke zurück: die Piste bot sich zunehmend matschiger dar. Zwischendurch traf Don Curry auf ein einzelnes Pferd, das eifrig die Piste entlangtrabte. Erst nach vielen Versuchen gestattete es Xerra das Überholen. Irgendwie war ihm das schmutzige, laute Ding nicht geheuer. Dann gelangte Don Curry endgültig in tuschetische Landschaften: weite grüne Hügel inmitten dunkler Wälder, umgeben von schneebedeckten Bergen. Don Curry bestaunte viele von Wildblumen gesprenkelte Wiesen, auf denen Pferde grasten, und ab und zu erhoben sich ein paar bunte Häuser an einem Berghang, die eine kleine Siedlung bildeten, aber weiten Abstand zueinander hielten.


Endlich, nach über 4 Stunden nervenaufreibender Fahrt, erreichte Don Curry die Hauptstadt Tuschetiens: Omalo, die den gleichen Charakter einer Streusiedlung aufweist, wie die zuvor erblicken Ortschaften. Das von Don Curry vorgebuchte Zimmer sollte sich im Ortsteil Alt-Omalo befinden, oberhalb der modernen Stadt in gut 2000 m Höhe. Und so landete Don Curry in einem kleinen Dorf von vielleicht 20 Häusern, die alle dicht beieianderstehen und durch Trampelpfade verbunden sind. Landleben pur! Hier muht die Kuh, hier wiehert das Pferd. Fast alle Geräusche unserer modernen Zivilisation dringen dagegen nicht bis hierhin vor. 


Mitten im Dorf steht ein niedriger Wehrturm im typisch tuschetischen Stil ganz aus dunkelgrauen Steinplatten errichtet; an dem Turm fiel Don Curry sofort ein Schild auf „Hotel Tusheti Tower“. Hir musste er richtig sein. Seine Gastgeberin hatte Xerra bereits bemerkt und begrüße Don Curry mit einigen Brocken Englisch. Sie fragte, ob er im Wehrturm schlafen wolle? Diese Chance lässt sich Don Curry natürlich nicht entgehen. Selbst als er bemerkte, dass der Zugang zum Wehrturm nur 1 m hoch ist und er sich mühsam durchzwängen muss, wenn er sein Zimmer erreichen will, brachte ihn das nicht von seinem Wunsch ab. Wenn schon Tuschetien, dann auch richtig! Zu seinem einfach-rustikalen Zimmer gehört ein eigenes Bad mit Dusche; allerdings gibt es heißes Wasser nur an Tagen, an denen die Sonne scheint. Da Tuschetien nicht an das Stromnetz angeschlossen ist, gewinnen viele Bewohner inzwischen über private Solaranlagen ihre eigene Energie; für Licht reicht es immer, für heißes Wasser nur an Sonnentagen.

Für 19:00 Uhr erbat sich Don Curry ein Abendessen. Heute würde er der einzige Gast sein; die anderen Touristen sind in den Nachbarort gewandert und bleiben dort über Nacht. So hat Don Curry den ganzen Speiseraum direkt neben seinem Wohnturm für sich und bekommt ein üppiges Mahl serviert. Wahlmöglichkeiten gibt es hier nicht. Die Gäste bekommen vermutlich das Gleiche, was auch die Familie der Vermieterin zu Abend isst. Vor Don Curry breitete sich einiges aus: eine Schüssel Gemüsesuppe, ein Korb Brot, mehrere Teller, gefüllt mit großer Tomatenscheiben, gewürztem kalten Spinat, Badridschani (kalte gebratene Auberginenröllchen), tuschetischer Käse und in Öl gebackene Kartoffelstifte (tuschetische Pommes?). Schließlich wurde ihm noch eine Schüssel Eintopf gebracht, der vorwiegend aus großen fetten und knorpeligen Rindfleischstücken bestand. Don Curry beschloss, ab sofort Vegetarier zu werden, um gesichtswahrend auf diese Speise verzichten zu können. Getränke gab es übrigens keine, aber Don Curry hatte sich ja im Weinhotel nach dem Frühstück gut eingedeckt und würde den Wein eben nach dem Essen trinken. Zuvor aber streifte er noch etwas durch diesen wundersamen Ort in traumhaft schöner Umgebung. Dies hier bildete tatsächlich nochmals eine ganz andere Welt, als das übrige Georgien. Zu einem großen Teil verdankte es das aber dem Todespass, der schweren Erreichbarkeit. Bei diesen Straßenverhältnissen gelangten nur extrem abgehärtete Reisende hier her.


War Don Curry so einer? Er hatte sich den Abano-Pass als echtes Abenteuer vorgestellt, dem er sich stellen wollte. Er traute sich das zu, dachte er während der Planung der Reise. Während der endlos erscheinenden Fahrt über die Piste zeigte diese Zuversicht spürbare Erschütterungen. Don Curry kam die Idee, einfach für immer in Tuschetien zu bleiben, um niemals mehr die gleiche Strecke zurückfahren zu müssen. Oder er überlegte, in Tuschetien einen erfahrenen Fahrer zu mieten, der ihn und Xerra zurück in das asphaltierte Georgien bringen würde. Er hätte diesen 70 km langen Dauernervenkitzel mit erhöhter Todesgefahr nicht gebraucht. Doch er möchte genausowenig die vielen fantastischen Eindrücke während der Hochgebirgsfahrt durch eine unvermindert wilde und gefährliche Natur missen. Und das Ziel, so erkannte Don Curry, ließ die erduldeten Ängste und Strapazen ganz schnell vergessen. Tuschetien ist ein Traum! Und er würde morgen den ganzen Tag über diesen Traum weiterträumen können…
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