Veröffentlicht: 22.06.2023
Don Curry hatte die Tage in Borjomi bisher genutzt, um Sehenswürdigkeiten zu erkunden, die es nicht in seine eigentliche Reiseplanung hineingeschafft hatten. Selbst der Besuch in Borjomi war nicht vorgesehen gewesen, er wäre nur weiträumig an der Stadt vorbeigefahren, ohne Zeit für sie zu haben. Dank der aserbaidschanischen Regierung hatte sich das nun ganz anders entwickelt.
Den heutigen Tag wollte Don Curry allerdings nutzen, um zwei Ziele seiner ursprünglichen Reiseplanung vorzuziehen, damit das Programm späterer Tage entlastet werden konnte. Beide Ziele lagen zwar nur 100 km von Borjomi entfernt, doch bei Georgiens Gebirgscharakter und Straßenverhältnissen würde das ein gutes Tagesprogramm ergeben. Don Curry erlebte unterwegs sehr deutlich, dass vielerorts an den Straßenverhältnissen kräftig gearbeitet wurde. Das würde für spätere Reisende von Vorteil sein, für ihn hieß das, immer wieder durch georgische Baustellen zu fahren.
Sein erstes Ziel sollte die sogenannte Katskhi-Säule sein, ein wirklich einzigartiges Bauwerk. Auf dem Weg dorthin, sah er über dutzende Kilometer den Verlauf der künftigen Autobahn. Viele Tunnel waren schon fertiggestellt, die zuführenden Viadukte fehlten aber noch. Dann ging es in das nördlich der Autobahn liegende Bergland, wo wieder kurvenreiche Sträßlein überwogen. Nach einer der Kurven stand Xerra plötzlich mitten in einer Kuhherde, die sich komplett auf der Straße versammelt hatte. Selbst frenetisches Hupen ignorierten die Rindviecher ausdruckslos. Also blieb nur ein vorsichtiges Slalomfahren zwischen den Tieren durch, um sie nicht anzurempeln. Allmählich prägten immer mehr Felsen die Landschaft. Und dann sah Don Curry sie, die Katskhi-Säule: eine gut 40 m hohe, einzeln stehende Felssäule, auf deren Spitze sich eine Kirche und ein Wohnhaus befindet.
Don Curry kennt die Meteora-Klöster in Griechenland oder auch die Athos-Klöster in der gleichnamigen Mönchsrepublik, aber dieses Mini-Kloster auf einer Felssäule ist sicherlich weltweit einmalig. Seit einigen Jahren wird es wieder bewohnt - von einem einzigen Mönch. Mehr Platz ist dort oben auch nicht. Eine 40 m hohe Metallleiter bildet die einzige Zugangsmöglichkeit. Für Materialien und Lebensmittel dient eine Seilwinde dem Transport. Bis vor einigen Jahren war es für männliche Wagemutige ohne Höhenangst nicht ausgeschlossen, auf der Leiter nach oben zu klettern, doch durch die zunehmende Bekanntheit des Klosters hat sich das der Einsiedler auf dem Gipfel inzwischen verbeten. Ausschließlich orthodoxe Mönche dürfen noch zu einem Besuch oben vorbeikommen. Obwohl es auch heute noch keine Hinweisschilder zum Kloster gibt, erlebte Don Curry nach seinem Aufstieg zum Fuß der Felssäule das Gelände gut gefüllt mit einer großen Kindergruppe und ihren Betreuerinnen. Er selbst nutzte die Zeit, um das Museum zu besichtigen, das Fotos von der Wiederherstellung des Säulenklosters zeigt, aber auch Funde aus dessen mittelalterlicher Geschichte. Außerdem lohnte das kleine Kirchlein am Fuß der Felssäule einen Besuch, das mit moderner geschmackvoller Ausmalung überzeugen kann.
Eine weitere bemerkenswerte Kirche entdeckte Don Curry im nahe gelegenen Dorf Katskhi. Innerhalb eines mit Mauern bewehrten Kirchhofes erhebt sich eine dreistöckige Kirche auf achteckigen Grundriss. Ausdrucksstarke Reliefs verzieren die äußeren und inneren Mauern des Gebäudes. Der eigentliche Kirchenraum verblasste dagegen mit seinen zeitgenössischen Ikonen aus der Massenproduktion.
Nur wenige Kilometer weiter liegt die ehemalige Bergbaustadt Tschiatura. Sie liegt in einem Felsental, das einst die Minen beherbergte. Doch die glorreiche Zeit der Stadt ist längst vorbei. Einst sorgten mehrere Seilbahnen für den schnellen Transport zwischen den Stadtteilen im Felsental und auf den umgebenden Höhen. Heute rosten die Seilbahnstationen vor sich hin. Überall ragen bunt gestaltete Hochhäuser sowjetischer Bauart - auch als Plattenbauten bekannt - auf, zugleich wird der Verfall der Infrastruktur auf morbide Weise sichtbar. In seinem aktuellsten Reiseführer - Ausgabe 2023/24 - gab es zwei Restaurantempfehlungen für Tschiatura. Da es Mittagszeit war, steuerte Don Curry beide an. Doch beide schienen längst für immer geschlossen zu sein. In der Nähe fand Don Curry das Restaurant "Moniopol" - ebenfalls verschlossen. Ins direkt benachbarte Restaurant konnte Don Curry zwar eintreten, bekam aber sehr deutlich kommuniziert, dass es jetzt kein Essen geben würde. In Tschiatura wurde Don Curry auch Zeuge eine politischen Demonstration, an der sich Hunderte beteiligten. Begleitet von einem hohen Polizeiaufgebot zogen sie friedlich durch die Stadt. Worum es ging, konnte Don Curry leider nicht verstehen, aber allein die Ermöglichung eines solch friedlichen Massenprotestes erscheint ihm durchaus als positives Zeichen für die Demokratie in Georgien.
Hungrig kehrte er nach Borjomi zurück. Hungrig kehrte er nach der erfreulichen Erfahrung des gestrigen Abends, wieder im "My House" ein. Die junge Kellnerin von gestern begrüßte ihn erfreut, und Don Curry nahm den selben Platz wie gestern ein. Irgendwie hatte er sich zum Stammkunden entwickelt. Abermals orderte er zwei Klassiker der georgischen Küche: den Rindfleischeintopf Kharcho und den Hühnereintopf Chakhokhbili, den er gestern bereits im "Metropol" versucht hatte; dazu gab es Brot und ein Kazbegi-Bier. Der würzige Kharcho konnte auch hier überzeugen, das Chakhokhbili bestand im "My House" aus echten Tomatenstücken, Zwiebeln und Hühnerbrust in heißer Brühe und spielte in einer ganz anderen Liga als der misslungene Versuch des Bahnhofsrestaurants; mit gut 6 € machte der Preis außerdem nur die Hälfte dessen aus, was das "Metropol" verlangt hatte. Mehr als zufrieden kehrte Don Curry in seine Ferienwohnung zurück Und zum ersten Mal regnete es abends nicht in Borjomi.
Morgen, so wusste Don Curry, würde er wieder in sein eigentliches Programm zurückkehren....