Coastal Nomads - Suzi, John & Betty
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Lissabon, Edel vs. Elend und Skorpione

Veröffentlicht: 28.06.2024

8. Juni: Für unser Lissabon Sightseeing ist ausnahmsweise mal etwas durchwachsenes Wetter angesagt. Wir holen die Regenjacken aus dem "Keller" von Betty. Von Seixal aus (wo wir gut und sicher mit dem Van stehen und übernachten) nehmen wir früh morgens die Schnellfähre über den Tejo zum Cais do Sodre, dem zentralen "Fährbahnhof"  von Lissabon. Schnellfähre ist hier wörtlich zu nehmen, wenn der Kapitän den Gashebel nach vorne legt, wird man förmlich in den Sitz gedrückt. Nach nur 15 min kommen wir am Cais do Sodre an. Der erste Eindruck ist etwas ernüchternd, wie bei fast allen Bahnhofsgegenden der Welt ist auch der Cais do Sodre ein heruntergekommener Treffpunkt von Obdachlosen und Junkies, durch die man sich erstmal durcharbeiten muss.

Als erstes wollen wir eine Fahrt mit der berühmten Straßenbahn Linie 28 machen. Die Wagen der Tram 28 e (= elektrisch) stammen aus den 1930er Jahren und werden nach wie vor im täglichen ÖPNV eingesetzt. Im Inneren der Bahn findet sich viel lackiertes Holz und Messing. Die Trams sind kurz und schmal für die engen Gassen Lissabons. Mit der Metro U-Bahn fahren wir zur Endhaltestelle der Tram 28 am Campo Ourique am Zentralfriedhof Lissabons. Wir haben uns vorgenommen, zum Essen und Trinken die typischen Touristenfallen Lissabons zu vermeiden und nehmen ein zweites Frühstück in einem Arbeitercafe an der Markthalle ein. Insgesamt zahlen wir 7 € für drei Kaffee und vier süße Teilchen, darunter zwei leckere Pastel de Natas. Warum bezahlt man in Deutschland so viel Geld für Kaffee?? 

An der Tramhaltestelle müssen wir dank des Wetters (es regnet leicht) nicht so lange warten und bekommen sogar einen Sitzplatz; Später am Tag und bei Sonnenschein sollen die Wartezeiten schon mal 1-2 h lang sein. Die Fahrt ist ein wirklich einmaliges Erlebnis. Die Tram schlängelt sich durch schmalste Straßen, ratternd und quietschend  geht es die Hügel von Lissabon (insgesamt sieben) hoch und runter. Die bekannten Altstadtviertel Baixa und Alfama werden durchquert. Oft trennen nur wenige Zentimeter Tram und Hauswände. An der Endstation in der Altstadt steigen wir aus und befinden uns mitten im dichtesten Touristengewimmel. Dieser Teil von Lissabon kommt uns vor wie Disneyland und wird dementsprechend viel von US-amerikanischen Touristen bevölkert. Die Straßen mit den holprigen Kopfsteinpflastern werden von Tuc-Tucs (es gibt davon unzählige in Lissaon) und Uber-Fahrern beherrscht. Zu Fuß klappern wir den Stadtteil Alfama mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten ab und sind froh, abends mit der Fähre wieder in das beschauliche Seixal zu fahren.

Am nächsten Tag bleiben wir am südlichen Tejo-Ufer und besuchen die Christo-Rei Statue, die der berühmten Jesus Statue von Rio nachempfunden ist. Die Statue wurde von 1949 bis 1959 zum Dank dafür errichtet, dass Portugal vom zweiten Weltkrieg verschont geblieben war. Vor der Besichtigung ist aber mal wieder Wäschetag und wir suchen einen der zahlreichen Waschsalons auf, die es in Portugal buchstäblich an jeder Straßenecke gibt. Gegenüber des Waschsalons befindet sich ein Imbiss mit einer langen Schlange davor: Hier werden über riesigen Holzkohle(!)-Grills halbe Hähnchen "Frango Grelhado" gegrillt. Zusammen mit einer leckeren Salsa-Sauce anscheinend das Lieblings-Sonntagsessen der Portugiesen. Wir können nicht widerstehen, lecker! Von der Anhöhe auf der die Christo-Rei Statue steht, hat man einen unglaublichen Blick auf Lissabon und die berühmte rote Hängebrücke "Ponte 25 de Abril" über den Tejo. Der Autoverkehr über die Brücke erzeugt ein unglaublich lautes Summen, wie ein riesiger Bienenschwarm. Der Grund ist, dass ein Teil der Fahrbahnen auf der Brücke  aus einen Drahtgeflecht bestehen, die in Kontakt mit den Reifen das Summen erzeugen.

Am Montag setzen wir unser Lissabon Sightseeing fort. Nach einem kurzen Ausflug in die Altstadt konzentrieren wir uns heute auf das Ufer des Tejo. Vom Torre de Belem (ein "must-see") laufen wir auf der wunderschönen Uferpromenade stadteinwärts in Richtung Brücke. Zufällig kommen wir am Café de Belem vorbei, dem angeblichen Erfinder der Pasteis de Belem, besser bekannt als Natas. Täglich gehen hier x-tausend Natas über den Tresen, draußen stehen die mit dem Bus angekarrten Touristen Schlange. Nix für uns! Weiter geht es an Schlössern und Parks vorbei. Leider haben wir für das architektonisch eindrucksvolle Maat-Museum keine Zeit mehr. An einem Getränkestand (also Bier, es ist schon nach 16 Uhr...) kommen wir mit Frederic, dem Betreiber ins Gespräch. Als wir ihm von unserem Vorhaben erzählen, Portugal der Länge nach zu erkunden, ist er (als ehemaliger Van-Lifer) total begeistert. Kurzer Hand werden keine Kunden mehr bedient und Frederic schreibt uns eine unglaubliche Anzahl von Tipps für unsere Reise auf ein kleines Zettelchen (die wir später auch nutzen werden). Obrigado Frederic!

Für Mitte der Woche ist am weltbekannten Surfstrand von Guincho etwa 50 km westlich von Lissabon Wind angesagt. Auf dem Hinweg überqueren wir rote Hängebrücke über den Tejo und kommen durch die mondänen Badeorte Estoril und Cascais, die noch vom wilden Atlantik geschützt an der Mündung des Tejo liegen. Guincho hingegen liegt bereits an der Westküste, voll dem Atlantik ausgesetzt. Von der Park-4-Night-App und dem Surf-Spotguide wussten wir, dass Parken, insbesondere mit einem Van oder Wohnmobil, an diesem Spot ein Problem sein kann. Und das ist es auch! Fast alle Parkplätze sind mit Querbalken in 2,4 m Höhe für "uns" gesperrt. Wir können nur im Hinterland an der Straße parken und machen uns auf einen sehr langen Fußmarsch zum Strand auf. Schon auf dem Hinweg pfeift uns der Wind und der Sand um die Ohren. Es weht so stark, dass selbst die wenigen Locals auf dem Wasser (die alle mit PKWs anreisen und somit kein Parkproblem haben) ihre kleinsten Segel aufgeriggt haben. Heute sind mir die Bedingungen,  abgesehen vom Materialtransport zum Strand, an diesem mir noch unbekannten Spot zu ruppig  Wir schauen eine kurze Zeit zu, geben uns aber dann dem fliegendem Sand geschlagen. Außer den Wassersportlern ist auch fast kein Mensch am Strand, so rauh ist es. Etwas frustriert treten wir den Rückweg an.

Zwischen Estoril und Lissabon finden wir für die Nacht zwischen Yachthafen und dem schönen Praia (Strand) da Torre ein nettes Plätzchen auf einem kleinen Parkplatz direkt am Wasser für uns und Betty. Nachts, wenn alle Strandgänger weg sind, stehen wir dort ruhig und mutterseelenallein. So perfekt, dass wir insgesamt vier Nächte bleiben! Das liegt auch an der super ausgestattetem Freiluft-Fitness-Area oberhalb des Parkplatzes, die wir morgens eifrig nutzen. Wir fahren mit den Bikes die Küste entlang, bis in die mondänen Badeorte Estoril und Cascais. Hier haben seit weit über hundert Jahren die Reichen und Schönen dieser Welt ihre Schlösser und Villen am Strand. Wieder einmal erweisen sich die Bikes als ideal, um eine Gegend großräumig zu erkunden. Man sieht viel mehr, als man zu Fuß erkunden kann, praktischer als mit dem Fahrzeug ist es allemal und eine Portion Sport hat man nebenbei auch erledigt! Einen Tag verbringen wir mit den Mountain-Bikes im Naturschutzgebiet Cascais-Sintra. Diese Bergkette ist für Lissabon eine Wetterscheide, die den Wind und die Wolken von Lissabon fernhalten. Auf insgesamt 22 km Strecke und über 5oo Höhenmetern tauchen wir immer wieder in die feuchten Wolken ein. Es weht ein scharfer, kalter Wind, an der Leeseite lösen sich die Wolken wieder auf  und die Sonne scheint. Tolle Single-Trails durchziehen das Gelände. Insgesamt fühlen wir uns doch sehr an das Anaga-Gebirge auf Teneriffa erinnert.

Einer der Gründe, warum wir uns etwas länger im Großraum Lissabon aufhalten, ist, dass wir uns etwas ganz Besonderes vorgenommen haben: Relativ spontan haben wir uns für den 15. Juni Karten für das "Rock in Rio Lisboa" Open-Air Festival besorgen können! Headliner sind dieses Mal die Scorpions, die übrigens 2025 bereits ihr 60-jähriges Bühnenjubiläum vor sich haben! Wir finden morgens einen tollen Park- und Übernachtungsplatz im Expo-Viertel dicht an dem Festivalgelände, machen uns kurz festivaltauglich und dann geht es los. Das Festivalgelände liegt auf einer Anhöhe am Stadtrand von Lissabon direkt an der 17 km langen Vasco da Gama Brücke. Ein fantastisches Panorama über den Tejo, die Brücke und Lissabon! Auf vier Bühnen spielen an die 20 Bands von 14 Uhr nachmittag bis 1 Uhr morgens. Wir schaffen fünf Bands, Xutos & Pontapes und Blind Zero aus Portugal, die Rival Sons und Evanescence aus den US und die Scorpions aus good old Hannover. Die Band Europe ("It´s the final countdown") verpassen wir, man kann nicht vor allen Bühnen gleichzeitig sein (und zwischendurch noch etwas essen und ein Bierchen trinken...). Das Festival ist bis auf die später endlosen Warteschlangen für Getränke, Essen und WC gut organisiert. Es ist sehr sauber, viel sauberer als auf deutschen Festivals. Jeder kleinste Schnipsel wird sofort eingesammelt. Alkoholexzesse gibt es nicht. Insgesamt ist das Publikum (ca. 80.000) aber auch eher freundlich zurückhaltend, frenetischer Applaus ist hier unbekannt; Die Scorpions müssen ihre Zugaben dem Publikum förmlich aufdrängen, obwohl sie eine wirklich gute Show abgeliefert haben. Nach den Scorpions geht es um 1 Uhr nachts zufrieden und durchgefroren (auf dem Hügel wehte am Abend  ein sehr kühler Wind) zurück ins warme Van-Bettchen, welches noch unversehrt an Ort und Stelle auf uns wartet.

Am Sonntag wollten wir dann eigentlich ausschlafen, aber der Toningenieur vom Festival hatte anderes im Sinn und begann um kurz vor 8 Uhr morgens (!) mit dem wirklich lauten Soundcheck für den Folgetag des Festivals. Dazu standen wir dann doch zu dicht am Festivalgelände, die kurze Nacht war schlagartig vorbei. Noch eine kleine Radtour vom sehenswerten Expo-Gelände Parque das Nacoes von 1998 immer am Wasser lang bis in das Zentrum von Lissabon und zurück und einmal den Festivalstaub am Stadtstrand Praia da Torre abspülen und dann ist unsere Zeit in und um Lissabon endgültig zu Ende.

Fazit Lissabon: Der Großraum Lissabon ist faszinierend, die Kombination aus Lage am Tejo und am Atlantik, aus Stadt und Strand, zusammen mit dem tollen Klima ist sicherlich weltweit nur mit ganz wenigen Städten zu vergleichen. Im Stadtkern von Lissabon selber liegen Glanz und Elend dicht beieinander. Die Stadt lebt doch sehr vom morbiden Charme der immer mehr zerfallenden Altstadt. Geht man aber einmal um die falsche Ecke, befindet man sich im sofort im härtesten Drogenviertel. Alles ist übervoll mit "Kreuzfahrern" und "Insta-TikTokern". Für die < 30 Generation gehört der Lissabon Kurztrip zum Pflichtprogramm, da Party und "Kultur" auf engstem Raum möglich sind. Das ganze Touristenparadies wird getragen, von einer Heerschar von geringverdienenden Dienstleistenden, die in den seelenlosen Vorstädten auf beiden Seiten des Tejos leben (müssen).  Insgesamt sind wir hin- und hergerissen, aber wie schon öfters im Blog erwähnt, ziehen wir zumeist die Natur der Stadt vor und das färbt sicherlich auch unser Urteil über Lissabon. Ab morgen geht es weiter an der Westküste entlang in Richtung Norden. Die Surferparadiese von Peniche und Nazare warten!

On the road: 145 Tage
Insgesamt zurückgelegte Strecke: 8.350 km

FORTSETZUNG FOLGT




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