Cassiopeia
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Mumbai - Indien

Veröffentlicht: 26.10.2023

Irgendwie schaffe ich es meine Nachtfahrten immer abenteuerlicher zu gestalten und ich frage mich so langsam wo das noch hinführen soll. Da ich zu spontan nach Mumbai fuhr, bekam ich im Nachtzug keinen Schlafplatz mehr und musste in der generell class mitfahren. In dem überfüllten Zugabteil roch es so stark nach Urin, dass ich mir sicher war nach so langer Aussetzung des Geruchs am Ende, wie alte Ärzt*innen, den Diabetes der Passagiere anhand ihres Toilettengangs diagnostizieren zu können. Notgezwungen legte ich mich dann mit den anderen Passagieren auf den schmutzigen Boden und versuchte zu schlafen. Ich wurde entweder durch meine Rückenschmerzen, dem wackeln des Zuges, den lauten Gesprächen anderer Gäste oder von fremden Füßen, die ringent nach Platz um sich tritten, geweckt. Einmal wurde es so laut, dass ich mich umschaute um herauszufinden woher der Lärm kam, als ich sah wie sich zwei Leute ins Gesicht schlugen, weil einer von ihnen sich den Schlafplatz des anderen wegnehmen wollte und ein Dritter aus dem Zug pinkelte. Das sind solche Momente in dem ich Vergänglichkeit lerne. Gestern noch in einem Casino auf einem Luxusboot, jetzt hier in der nächsten Filmszene.

Nach dieser erholsamen Nacht machte ich mich sofort mit meinem Backpack darauf Mumbai zu erkunden, da ich schon spät Abends am nächsten Tag weiter reisen würde. So nahm ich ein Boot auf die Elefanteninsel, auf der riesige Tempelanlagen und Skulpturen in Felsen geschlagen wurden. Dort traf ich dann auch eine Gruppe von indischen Kunststudenten, die ich ansprach um ihre faszinierenden Bilder und Illustrationen zu loben. So kamen wir ins Gespräch und verbrachten den restlichen Tag mit einander. Mit der lustigen Truppe ging es dann noch in ein Kunstmuseum und in ein Restaurant in dem mir mein Essen auf einem Bananenblatt serviert wurde und die kleinen, nett angerichteten Bestandteile bunter waren als jeder Regenbogen den ich bis jetzt gesehen habe.

Ich verabschiede mich von der lustigen und alterniven Gruppe, mit dem Versprechen ein Bild von ihnen zu kaufen wenn ich wieder Zuhause bin, klickte mir meine Kopfhörer rein und schlenderte eine Stunde mit einem richtig guten Technotrack, den mir Eva empfohlen hatte, zum hostel. Dort traf ich dann auch wieder lustiger Weise zwei deutsche Mädels, die ich ebenfalls vor ca. zwei Wochen in Munar im Süden schon kennenlernte. Glücklich und total fertig duschte ich mir dann all den Schmutz und Schweiß der letzten 30h ab und legte mich ins Bett.

Am nächsten Tag wollte ich mir eigentlich einen Tourguide organisieren um das größte Slum Asiens, das Dharavi Slum in Mumbai, zu erkunden. Da ich es aber einfach nicht hin bekam so kurzfristig jemanden zu finde machte ich mich kurzer Hand selbst auf den Weg und fragte mich ob ich da heile wieder rauskommen würde. Mein Optimismus und Neugier überredeten mich dann aber final und es hat sich absolut gelohnt. In Europa verbindet man Slums immer mit Armut, Elend, Chancenlosigkeit und Kriminalität. Jede einzelne dieser Vermutungen ist falsch wie ich heute lernte, aber dazu gleich mehr.

Ich flanierte also neugierig durch die kleinen, dreckigen und verwinkelten Gassen, die teilweise so schmal waren, dass nur eine Person durchpasste und auch an manchen Stellen, selbst am helligsten Tag, so dunkel wie Nacht waren. Überall lag Plastik und alle Gebäude und Wellblechhäuser sahen so aus als ob sie der leichteste Windstoß umpusten könnte. Die Blicke aller Bewohner richteten sich für die nächten drei Stunden auf mich und die Kinder hörten entweder auf zu spielen und gingen mit Vorsicht ein paar Schritte weg oder waren so neugierig und fragten nach meinen Namen, woher ich komme, was ich hier mache und so weiter und so weiter. Nach dem ich ein paar kleine Kiddies gnadenlos in einer Runde Batmanton auf der Straße abzog, hatte ich ihren Respekt gewonnen und sie liefen mir für ein paar Minuten wie Leibwächter hinterher. Ich trank hier und da Mal einen Chai und kam in Gespräch mit den Verkäufern und einem jungen Software Ingineur der mich prompt auf den besten Chai einlud den ich je hatte und mir viel über das Leben in Dharavi und das Bild was viele Menschen von Slums haben erzählte.

Alle Menschen hier waren voller Energie, lächelten und lachten viel und wirkten so als ob sie hier gerne wohnten. Der junge Inder erzählte mir, dass die meisten Menschen hier viel srbeiten und Produkte herstellten, was ich so auch wahrgenommen habe, und damit sogar ganz gutes verdienten. 600-800 Rupies pro Tag, was mehr ist als so manche ausstudierten verdienen. Aber warum leben die Menschen dann hier unter diesen Umständen, fragte ich ihn und er gab mir eine sehr schöne Antwort.

"Die Menschen leben hier meistens nicht weil sie keine andere Möglichkeit haben, sondern gerade weil sie die Freiheit haben hier wohnen zu können. Wenn man hier lebt, dann arbeitet und lebt man für das hier und jetzt. Nicht um irgendwann einmal ein schickes Auto zu fahren oder im Büro zu sitzen, sondern um im hier und jetzt mit seiner Familie die Tage zu verbringen und zu meistern. Du wirst hier mehr glücklichere und aufrechte Menschen finden, als in jeder Bank. Ich arbeite auch außerhalb des Slums und habe das Geld weg zu ziehen, doch mag ich mein Zuhause und habe eine Gemeinschaft die sich immer aushilft und für einander da ist. Die zwanzig bis dreißig Prozent der Slumbewohner die wirklich nichts haben und teilweise daraus kriminell werden, werden von Außenstehenden immer als Mehrheit verkauft und als Repräsentanten der Slums. Würden Slums realistisch dargestellt werden, dann wären sie auch nur halb so interessant, denn hier leben Menschen wie überall auch, nur unter anderen Umständen, und leben ihr Leben, Tag für Tag."

Ziemlich glücklich und beeindruckt verließ ich Dharavi und dachte noch länger über seine Worte nach. Ich besuchte dann noch ein mehr als entäuschendes Kunstmuseum und einen Skateplatz auf dem die Teenager in der Abenddämmerung mit Hip-Hop die Halfpipes unsicher machten. Auf dem Weg dahin kamen zwei kleine Kinder, wie so häufig, zu mir und bettelten nach etwas zu Essen, so kaufte ich ihnen was und ging weiter. Die Kinder aber fragten nach mehr Geld und hielten mich fest bis sie sich plötzlich bedankten und gingen. 30 Sekunden später realisierte ich dann nach meinem routinierten und obligatorischen Griff nach meinem Portmonait und Handy, dass meine Geldbörse nicht mehr da war. Ich drehte mich sofort um und rannte den Kindern hinterher. Als ich bei ihnen war verlangte ich mehr als energisch mein Geldbeutel zurück und hielt ihnen eine Moralpredigt. Ich hatte verdammtes Glück und die Kinder holten mein Portmonait aus einem Versteck heraus und gaben mir alles wieder. Ich war wütend und vor allem schockiert und ging weiter, jetzt aufmerksamer. Da verbringe ich 3 Stunden in einem Slum und vor einer Pizzeria in einer Gegend in der viele Bollywood Stars wohnen wird mir mein Portmonait gestohlen. Dass das ganze noch von Kindern ausging machte mich einerseits sprachlos und verzweifelt und auf der anderen Seite gab es mir Verständnis. Kinder, die noch kein Gefühl von Moral haben, in Armut leben, keine Konsequenzen schlussfolgern können und so erzogen wurden, können einfach nicht viel dafür. So bin ich also kein Fan von den zwei kleinen Gauner, möchte sie aber auch nicht zu sehr verurteilen.

Zum Abschluss des Tages und Mumbai's ging ich dann noch in ein richtig schickes Kino und schaute mir einen Bollywood Blockbuster auf Hindi an. Der Film war ziemlich sicher der schlechteste den ich je gesehen habe und ich hatte das Gefühl jedes Wort mitsprechen zu können, weil er so oberflächlich und vorhersehbar war, obwohl er auf Hindi war. Was ich interessant fande waren jedoch drei Sachen:

1. In allen Trailern zu anderen Filmen vor dem eigentlich Film war ein pakistanischer Fanat der Erzfeind des indischen Protagonisten, sowie die Russen in Hollywood. Da sieht man wieder, dass Konflikte in keiner Weise nur durch Kriege ausgetragen werden, sondern man sie in so vielen Bereichen, wie Sport, Kunst und Wissenschaft, wieder sieht.

2. Im Film wurde die ganze Zeit aus Coolness geraucht und getrunken und jedes Mal wenn man eine Zigarette oder Alkohol sah, dann wurde unten rechts ein Hinweis eingeblendet, dass Rauchen und Alkohol tödlich ist und man davon Abstand halten sollte. So direkte Wiedersprüchlichkeiten habe ich auch noch nie gesehen.

3. Der Film wirkte wie von einem 12 jährigen erdacht der gerade seine sexualität kennenlernt, aber nichts von der Realität versteht. Denn irgendwie war der ganze Film super sexuell aufgeladen, aber kein Mal wurde viel Haut, geschweige denn Brüste, intensives Küssen oder rummachen, noch Sex angedeutet. Das Frauenbild war wie aus dem tiefsten Mittelalter und jede der Charaktere war so unsympathisch oder dumm, dass man sich unmöglich mit einem identifizieren konnte. Der Film war einfach von vorne bis hinten schlimm. Obwohl der Film nur Action beinhaltete, war ich, nachdem ich zu beginn lange über den Film lachen konnte, nur noch gelangweilt und verlas das Kino verfrüht. Action ist keine Spannung, Spannung ist Konflikt mit unbekannten Verlauf. Ein Konflikt in einem Menschen selber oder zwischen verschiedenen Parteien. Das ist so eine einfache Regel des Filme Machens und doch verfehlte der Film es auf vollem Wege, da man jederzeit wusste was als nächstes kommt und der Konflikt nur in Form von Action oder dem schon krankhaften sexuellen Verlangen des angeblichen "Helden", welches er nicht so leicht ausleben konnte wie er es wollte, dargestellt wurde.

Danach ging ich noch in ein nettes Lokal um etwas zuessen und bekam eine Nachricht von Lara, dass ich in der Heimat vermisst werde. Das löste bei mir einerseits Heimweh, aber vorallem ein Dauergrinsen im Restaurant aus und mein Bauch wurde schon vor dem Essen mit wärme erfüllt, denn dieses Vermissen ist mehr als beidseitig vorhanden (⁠◍⁠•⁠ᴗ⁠•⁠◍⁠) 

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