Cassiopeia
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indisches Himalaya

Veröffentlicht: 16.11.2023

Von dem überfüllten, dreckigen, Luftverschmutzten und Lauten Delhi ging es jetzt endlich in Berge. Willkommen Himalaya!! Nach einer zwei tägigen Bus- und Zugreise kam ich dann im langerwarteten Manali an. Ein kleines Dorf, welches nur so von Gelassenheit, Ruhe und Gastfreundschaft strahlt und mir den Stress der letzten Woche Minute für Minute entzog.

Da ich jetzt jedoch zwei einhalb Monate in Temperaturen von 28-40°C unterwegs war, und zuvor den mehr oder weniger existenten Sommer Deutschlands noch mit erlebte, fröstelten mich die Temperaturen sehr viel mehr als ich es eigentlich von mir kenne. Wenn die Sonne zu sehen war, war es überraschend warm, sobald sie jedoch verschwand sank die Temperatur auf ca. 3°C und Nachts auf bis zu -7°C. Das einzige was mich also so richtig warm hielt, waren einerseits meine Winterklamotten, die ich mir noch in Delhi kaufte, und andererseits meine kindliche Aufregung, durch den Anblick der schneeüberzogenen Berge links und rechts von dem Tal in dem das süße Dorf ruhte. Trotz der Müdigkeit der zweitägigen Reise und dem Stress der letzten Woche mietete ich mir sofort eine Royal Enfield Himalayan und zischte die nächsten 8 Stunden mit dem Motorrad über die endlosen, und tadellosen, Highways, die die kleinen Bergdörfer des indischen Himalayas miteinander verbinden.

Die Highways, sind trotz der massiven Erdrutsche durch den Monsumregen im Juli, in einem Zustand von dem jeder so autoliebene Deutsche wahrscheinlich Nachts feuchte Träume bekommen würde. Da ich normaler Weise alles andere als ein Auto- oder Motorradfanatiker bin, war ich selber überrascht was für ein unglaubliches Gefühl es war mit 70-80km/h durch die Täler zu düsen, während die Bergkämme des Himalayas links und rechts von einem durch die Wolkendecke empor stiegen, als ob sie niemals enden würden. Nach der hälfte der Strecke machte ich Rast in einem kleinen Dorf namens Keylong, welches von nepalesischen Bergbewohnern bewohnt wurde. Die Nudelsuppe wärmte und stärkte mich perfekt für den Rückweg, welcher durch die schwindene Sonne verdammt kalt wurde.

Am Ende war mir so kalt, dass ich sogar dachte, dass ich mich durch die Kälte schlecht fühlte, wobei ich dann aber bei der Rückkehr im Hostel merkte, dass es nicht die Kälte war, sondern mein Magen, der schon seit Jaipur nicht mehr zu hundert Prozent mitgespielt hatte. Es kam also wie es kommen musste. Ich zog mir meine erste Lebensmittelvergiftung der Reise zu, wobei ich sagen muss, dass 2½ Monate in Sri Lanka und Indien eigentlich eine verdammt gute Quote ist. Nichts desto trotz, fragte ich mich warum ich gerade an dem ersten Ort an dem ich bin wo es Nachts -7°C wird, wie ein Feuerhydrant meine auf Körperkerntemperatur aufgewärmten Körperflüssigkeiten heraussprießen muss. Trotz Zwiebeltaktik mit meinen Winterklamotten und einer gefühlt 5 Zentner schweren Decke fror ich als ob ich nackt neben dem Pionier Roald Amundson am Wettlauf zur Erstankunft am Südpol teilnahm.

Da das Hostel kein Klopapier zu diesem Zeitpunkt hatte und die Wasserdüsen, wie sie in Indien so typisch sind, hier komplett fehlten, musste ich kurzerhand mein Buch "Sapiens" ironischerweise zum Toilettenpapier degradieren und die bereits gelesenen Seiten herausreißen. Da ich mit dem Buch gerade erst angefangen hatte, war es ein Wettlauf zwischen der Frequenz zu der ich die Toilette besuchen musste und der Geschwindigkeit in der ich in meinem Zustand das faktenüberladene Buch lesen konnte. Den nächsten Tag machte ich nichts außer zuschlafen, zum ersten Mal wieder einen Film zu schauen und Abends mit anderen in eine natürliche Thermalquelle zu gehen, die mit ihren heißen ca. 45°C mich zum ersten Mal wieder richtig aufwärmte.

Die Atmosphäre im Hostel war ziemlich gut, was wahrscheinlich auch daran lag, dass in Himachal Padresh und Kashmir traditionell Marijuana angebaut wird und es für viele Familien ihre einzige finanzielle Einnahmequelle darstellt, und somit fast alle 24/7 bekifft waren und keinerlei Hektik entstand. Andere Drogen wie Acid, Pilze und LSD waren ebenfalls so prominent, dass man sich sehr schnell daran gewöhnte. Da es aber auch alles Drogen sind die tendenziell eher den Parasympathikus aktivieren und somit beruhigend wirken, waren die meisten nicht so sehr in Wanderlaune, weshalb ich mich zuerst alleine auf eine kleine Miniwanderung begab um herauszufinden wie sehr mein Körper von der Magendarm Erkrankung mitgenommen war. Recht stark war die Antwort, die mir durch schweres Atmen, Kraftlosigkeit und übermäßigen Schweiß gezeigt wurde. Das schöne war jedoch, dass mir bereits nach 10min ein Hund folgte, nach 15min der nächste und so weiter, so dass ich am Ende mit sechs Hunden zusammen wanderte und als ich mich an einem Aussichtspunkt zum dösen hinlegte, sich das neu zusammengewürwelte Rudel um mich herum hinlag und selber einen Schlaf einlegte. Da ich der überzeugung war, dass es mir am folgenden besser gehen würde und ich unbedingt vor meiner Abreise noch einmal richtig wandern gehen wollte, nahm ich mir für den nächsten Tag vor, meinen ersten Viertausender zu besteigen. War rückblickend nicht die beste Idee...

Morgens um 5 Uhr klingelte mein Wecker und ich machte mich schlaftrunkend auf den Weg. 26km, 4.246hm und 13h. Ich fühlte mich schon zu Beginn nicht super gut, schob es aber unbedacht auf die frühe Uhrzeit, die ich nicht gewöhnt war. Als sich mein Zustand nach 2½ h nicht besserte gestehte ich es mir so langsam ein und sagte mir, dass ich einfach so lange wandern werde bis ich nicht mehr kann und dann umkehre. Ich fing an meine Wasservorräte auszutrinken, da mein Körper, egal wie viel Wasser ich trank, mir immerweiter sagte, dass ich Durst hatte. Da auf der Karte mehrere Bäche eingezeichnet waren, trank ich dementsprechend meine 2L bedenkenlos leer. Nachdem ich dann den letzten angeblichen Bach überquert hatte, der in der Realität ausgetrockent war und ich immer noch unfassbar Durst hatte, kam bei mir zum ersten Mal eine wirkliche Besorgnis auf, mein Dickkopf trieb mich jedoch gegen aller Vernunft weiter Richtung Gipfel. Die letzten Drei Kilometer verliefen nur noch durch Schnee, der meist Kniehoch war und ein Weg niergends zu erkennen war. Doch konnte man den Gipfel in der Ferne schon sehen und mein Handy GPS sagte mir, dass ich wenigstens halbwegs auf dem Weg sei. Meine neuen Wanderschuhe sind, wie ich feststellte leider auch nicht wasserdicht und so marschierte ich die nächsten 16km mit nassen Füßen weiter.

Und dann kam ich an. Ich wünschte ich könnte sagen das ich die Aussicht in diesem Moment genießen konnte, doch setzte einerseits mir der um 36% niedrigere atmosphärische Druck mehr als zu, meine Kehle fühlte sich wie die Sahara an und mein Magen fing in diesem Moment an die Prozedur von vor zwei Tagen zu wiederholen. Ich hatte mir zwar viel Essen mitgenommen, jedoch kaum was gegessen da nur der Gedanke an Essen mir übel werden ließ. Mit all diesen Sachen und dem Wissen, dass ich für den Aufstieg 9h brauchte, es nun also 14 Uhr war, um 18 Uhr die Sonne unterging und dann die Braunbären im Kiefernwald am Beginn der Wanderung aktiv werden, machte ich mich schnellstmöglich wieder Berg abwärts. Denn auch wenn der 64% atmosphärische Druck mir das Denken schwer fielen ließ, so konnte ich dennoch die Rechnung machen, dass ich, um nicht als Abendessen eines Bären verspeist zu werden, den Weg in weniger als der Hälfte der Zeit, die ich für den Aufstieg benötigte, hinter mich bringen musste. Gegen den Durst fing ich an Schnee zu essen und meine leeren Flaschen mit ihm aufzufüllen, obwohl ich eigentlich tief im inneren wusste, dass Schnee keinerlei Elektrolyte enthält, also wie destilliertes Wasser ist und nach einer gewissen Menge die Elektrolytverschiebungen im Körper anfangen und langfristig zum Tod führen. Entweder ist es das Fehlverhältnis von Natrium, welches mir ein Hirnödem bringt, das Kalium, welches mich durch eine Herzrythmusstörung umlegt oder das Kalzium, welches bei mir Muskelkrämpfe auslöst bis mein Körper versagt. Mit dem Wissen, dass ich aber hoffentlich zum Einbruch der Dunkelheit wieder in der Zivilisation sei, versuchte ich mir jedoch die Langzeitfolgen von dem Konsum von destillierten Wasser nicht zu sehr ins Bewusstsein zu rufen und optimistisch zu bleiben. Die immer wiederkehrende Situation, die sich ca. alle 30min wiederholte, dass ich mein Buch "Sapiens" weiter dezimieren musste, machte die ganze Erfahrung noch weniger zum Vergnügen, als sie so oder so schon war und entzog mir noch mehr Elektrolyte als gut war. Nachdem ich dennoch im Dunkeln durch den Wald hastete und frisch aussehende Kratzspuren an den Kiefern sah aus denen noch flüssiger Harz herauslief, eilte ich noch schneller Bergab und küsste die asphaltierte Straße als ich sie endlich erreichte, einfach nur froh, lebendig angekommen zu sein.

Es war eine total dumme Aktion, die ich zwar nicht bereue, weil ich recht viel gelernt hatte, jedoch niemals unter diesen Umständen wiederholen würde. Und ich vergaß zu erwähnen, dass mir auf dem Weg nach oben alle Bergbewohnern die ich ab und zu Mal traf, sagten, dass es eigentlich eine zwei- bis drei-Tages-Route sei. Als ich am Hostel ankam, sich der Hostelbesitzer erkundigte wo ich denn heute gewandert sei und ich es im erzählte, sagte er mir ebenfalls, dass er noch nie in seinem Leben von jemandem gehört hat, der diese Tour an einem Tag geschafft hat und genau so fühlte sich der Tag auch an.

Ich schlief viel und lange und erholte mich mit viel Tee, frischen Toilettenpapier und ein paar Runden Qatan mit den anderen Leuten vom Hostel, wobei die Erschöpfung bis jetzt anhält und es vermutlich auch daran liegt, dass ich bis jetzt seid 21h im Bus und Zug immernoch mit Durchfall unterwegs Richtung Taj Mahal bin und die Inder ein anderes Verständnis für Bequemlichkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln haben als wir Europäer. Der Lichtblick für mich, ist das Telefonat, welches ich mit Eva heute Abend geplant habe um trivial persuit zu spielen während wir beide einen Kakao trinken. Wobei ich wahrschnlich besser auf Tee zurückgreifen sollte.

In dieser Zeit ist in mir nicht viel emotionale Entwicklung vorgegangen, da ich meistens auf die Grundbedürfnisse und -instinkte reduziert war. Dennoch wurde mir wieder mal klar, wie viel ein Mensch eigentlich erreichen kann, wenn er einerseits dickköpfig ist, aber vorallem wenn auch nur ein Hauch von Angst um die eigene Existenz hervorkommt. Anders kann ich mir nicht erklären, wie meine Muskeln mich trotz aller physischen und psychischen Hindernisse zurückbringen konnten. Vielleicht mag diese Schilderung für den ein oder anderen übertrieben wirken, doch waren die Gefühle und Ängste an diesem Tag für mich mehr als real.

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