Veröffentlicht: 22.11.2023
Mit der Lebensmittelvergiftung ging es dann auf eine ziemlich unangenehme Reise nach Agra. Eine Stadt die alle negativen Aspekte und Seiten von indischen Großstädten vereint und trotzdem jährlich Millionen von Touristen anzieht, warum? Tja, vor hunderten von Jahren hat ein größenwahnsiniger und Hals über Kopf verliebter König den Taj Mahal für seine verstorbene Frau erbauen lassen und somit eins der neuen sieben Weltwunder errichtet.
Ich lag die ganze Zeit nur flach und pendelte zwischen Bett, Toilette und meiner Reiseapotheke. Zum Glück war der Besitzer im Homestay unfassbar lieb und peppelte mich wieder auf. Die anderen Backpacker waren ebenfalls einfach nur fantastisch und ich hatte trotz der Magendarmgeschichte viele, lange und lustige Gespräche. Nachdem ich mir ein paar Medikamente reinpfiff, nutze ich die Gelegenheit des kurzen Zeitfenster der Besserung und ging mit ihnen zum Taj Mahal, der an diesem Morgen in einem wundervollem und dichten Nebel eingehüllt war. Auch wenn Indien immer auf den Taj Mahal reduziert wird und angeblich die Kultur des Landes repräsentieren soll und das in keiner Weise stimmt, ging ich mit niedrigen Erwartungen hin, wurde aber doch überrascht. Der Ort und das Grabmal hatten einfach eine Präsenz und Faszinierung die nur schwer zu beschreiben ist. Rückblickend hat die Erfahrung dennoch einen recht geringen Stellenwert in meiner Indienreise eingenommen, im Gegensatz zu Varanasi, dem letzten Ort meines Indienaufenthalts.
Mit immernoch anhaltenden Magendarm kam die nächste Nachtfahrt und meine ersten Gedanken ein Krankenhaus aufzusuchen, da es sich nach der langen Dauer auch um eine parasitäre Infektion handeln könnte und ich somit mit meiner Reiseapotheke soviel anrichten könne wie Globolies. Zu meiner Überraschung aber war die ganze Sache ab meiner Ankunft in Varansi verschwunden und ich hätte niemals gedacht, dass ich einen Freudenruf raus lasse, wenn ich einen festen Stuhlgang habe. Es war fantastisch :D
Mit neuen Kräften konnte ich mich jetzt also in das letzte Abenteuer werfen. Varanasi, die heilige Stadt am Ganges in der die toten Hindus verbrannt werden und neben den Badenen Indern in den Fluss geworfen werden. Bei der Zersetzung von Organsimes entstehen teilweise bestimmte Bakterien der Gruppe der Clostridien, welche solch eine Toxizität besitzen, dass das US-Militär sie in Feldzügen als Biowaffen nutzten um feindliche Brunnen zu vergiften und schon bei einer Konzentration von 0,01mg letal sind. Daneben liegen Teile der größten indischen Industrien am Ganges, welche ihre Schadstoffe und Abfallprodukte der Leder-, Pharmazie- und Elektronikproduktionen hier entsorgen. Ein Bad für einen Ausländer endet somit nicht allzu selten mit starken Folgeerkrankungen bis hin zum Tod. Nichts desto trotz bin ich mir über Infektionswege bewusst und habe für mich entschieden in dem Fluss baden zugehen, da ich erstens keine offenen Wunden hatte und zweitens nur bis zum Hals rein gegangen bin. Auch wenn ich mir dem geringen Infektionsrisiko mit meiner Variante bewusst war, so war ich trotzdem der einzige Europäer den ich oder einer meiner Bekanntschaften sah der hineingegangen ist.
Als ich morgens ankam traf ich noch einen Deutschen und eine Kolumbianerin mit der ich mich super verstand und viel redete bis sie irgendwann aufbrach um die Stadt zu erkunden und ich um zu telefonieren und zu organisieren. Ich merkte während ihrer Abwesenheit, dass ich mich die ganze Zeit fragte wann sie denn wiederkomme und ein Kribbeln mein Bauch erfüllte. Plötlich kamen sogar Emotionen wie Angst und Unsicherheit auf, die ich schon länger nicht mehr gespührt hatte.
Es ist schon verrückt, da lerne ich in Indien so viel über mich, habe das Gefühl dem inneren Frieden näher zu sein als je zuvor, mich nicht von anderen Einflüssen stören zu lassen und zu wissen was ich wolle und brauche, und dann kommt eine 24 jährige Kolumbianerin die in Paris wohnt und bricht meine Ruhe, Selbstwertgefühl und Sicherheit während sie noch nicht einmal da ist. Valentina brachte meinen kompletten inneren Frieden auseinander, man ey! Aber irgendwie ist es ja auch die Unzufriedenheit und Unruhe die schön ist, weil sie aus starken positiven und nicht negativen Emotionen entsteht. Gegen halb zwölf Abends saß ich im Bett und laß noch ein wenig, als sie mir schrieb und fragte ob ich noch aufs Dach hochkommen möchte. Kurzer Hand ging ich nach oben wo Sie noch mit anderen saß und sie sich unterhielten. Der Truppe löste sich aber recht schnell auf und so blieben nur noch wir auf dem Dach übrig und lachten und redeten bis zwei Uhr nachts über unsere Beziehungen, Erwartungen, Wünsche, Religion, Gesellschaften, Kulturen und Politik während wir uns lange in die Augen schauten. Sie fragte mich ob ich denn bis jetzt jemanden auf der Reise getroffen hätte in den ich mich verguckt hätte. Ich antwortete ihr nur, dass es da mal ein einziges Mädchen in Jaisalmer gab, aber das war's, und wechselte das Thema. Als die Uhr dann zwei schlug und wir beide wussten, dass unsere Wecker gegen 04:10 Uhr klingelten, um für die Sonnenaufgangstour auf dem Boot auf dem Ganges aufzustehen, sagten wir uns gute Nacht und machten uns Richtung Bett. Als sie Aufstand sagte ich aber dann noch, dass ich nicht komplett ehrlich war und es noch eine zweite Person gab die ich kennelernte und die mir sehr gefiel. "Du", sagte ich zu ihr und sie lächelte mich an und sagte, dass es ihr auch so gehe und ob sie mir einen "Smag" geben könne. Ich habe bis heute nicht heraus gefunden was genau ein Smag ist und sie konnte es mir auch nicht so ganz definieren. Aufjeden ist es so etwas wie sich zu küssen. Ob ein Smag eine leidenschaftlicher Form davon beschreibt oder es an ihren lateinamerikanischen Wurzeln liegt weiß ich ebenfalls nicht. Dann machte ich mich gemütlich ins Bett und versuchte einzuschlafen.
Am nächsten Morgen machten wir dann die schöne Bootstour und schauten einem Festival und der morgendlichen Zeremonie am Ganges zu, während um 05 Uhr morgens schon überall Feuerwerke und Böller gezündet wurden, als ob Neujahr sei. Den Tag verbrachte ich wieder ab und zu mit der Kolumbianerin und alleine, wobei ich zu der Verbrennungszeremonie ging und sie mir gespannt anschaute. Mir fiel auf, dass die Verbrennungen und der Ort dieser mitten im alltäglichen Leben der Menschen lag, bzw. stattfanden. Während eine Familie ein Mitglied dieser vom Ganges zum Holzstapel trug, liefen Schulkinder dazwischen, eine Kuh wieherte lauthals und ein Mann im Anzug schaute nervös auf seine Uhr. Keine Absperrung, keine Kontrolle. Ein vollkommender Teil des Alltags. Warum sind wir christlich geprägten Europäer denn so abgetrennt von dem Prozess des Sterbens und dem Konzept der Verabschiedung, dass wir ihn so weit wie möglich aus unseren "normalen" Leben entfernen möchten. Die Inder sehen den Tod am Ganges als Befreiung aus dem Kreislauf der Reinkarnation und zelebrieren ihn als Erlös vom Menschsein und freuen sich für den Betroffenen. Wir aber ziehen vorallem Leid und Trauer aus dem Ableben der Menschen und versuchen so viel Distanz zu diesem Thema zu bekommen wie irgend möglich.
Als ich Abends Valentina verabschiedete gab ich ihr noch eine Postkarte mit ein paar Gedanken von mir als Erinnerung und fragte ob ich ihr ebenfalls eine Smag geben dürfe. In Gedanken vertieft saß ich wieder auf dem Dach, dachte über meinen Schmerz nach, Menschen immer so schnell kennen zu lernen und los lassen zu müssen und streifte mit meiner Zunge über die Lippe die noch von einem leichten Biss von ihr wehtat, aber halt auch wieder eher das angenehme wehtun. Ich glaube, dass die Bekanntschaft für mich einen höheren Stellenwert einnahm als für sie, da sie schon deutlich mehr Erfahrung hatte und es für mich die erste Begegnung auf dieser Reise war mit einer Personen von einem anderen Kontinent und anderen Sprache mit dem ich etwas hatte. Aber das ist auch vollkommen okay. Wenn man die Realität nicht akzeptiert und glaubt, man würde all die Menschen die man hier kennen- und lieben gelernt hat immer Wiedersehen oder es könne sich eine langfristige Sache entwickeln, würde man untergehen und verzweifelt Menschen hinterher rennen ohne den Schuss gehört zu haben. Drum war es eine schöne Begegnung, die mir erneut zeigte, dass ich mich mit Kolumbianerinen ziemlich gut verstehe und sie meine Schwachstelle sind.
Mit dem Gefühlschaos und dem extremen Schlafmangel machte ich mich dann auf die 29h Zug und Busreise richtung Kathmandu nach Nepal. Die war alles andere als schön und konnte mir genau so viel Schlaf geben wie die Nacht auf dem Dach, nur ohne eine Kolumbianerin mit französischen Akzent.
In Kathmandu habe ich mich heute mit Lance, dem Phillipiner und Piotrik, dem Pole aus der Wüste in Jaisalmer getroffen, da wir jetzt zwei Wochen den Annapurna Circut Trek wandern und noch alles organisieren und shoppen mussten. Ich werde mich jetzt erstmal ausklinken und nach der Wanderung ein Update geben und einfach die Zeit mit den beiden Quatschköpfen und den Bergen genießen. Bis in zwei Wochen, du Rochen ^_________^