Veröffentlicht: 31.03.2018
Pregontoño - O Amenal
Heute werde ich spät wach. Das Handy zeigt 08:00 Uhr, als ich es anstelle. Nach dem wenigen Schlaf der letzten Nacht und den Strapazen des Tages schlafe ich heute wirklich gut!
Als ich wach werde höre ich schon wieder den Regen auf das Dach des Wohnmobils prasseln. Gerade, als ich anfange, genervt zu sein, schiebt sie die Sonne durch die Wolken. Ich klettere aus meiner Schalfkoje runter auf die Bank, an den Frühstückstisch. Jemand öffnet die Tür und die Sonne scheint mir ins Gesicht. „Heute wird‘s wieder besser“, denke ich.
Wir frühstücken, packen die Rucksäcke, ziehen uns an. Es ist trocken draußen und hat 4 Grad. Doch nach dem gestrigen Tag trauen wir dem Frieden nicht. Wir ziehen unsere Regenhosen trotzdem drüber und packen die Regencapes in unsere Rucksäcke. Um 09:50 Uhr wandern wir heute los.
Wieder einmal führt uns der Camino gleich als Erstes hoch hinauf. Um das kleine „Pregontoño“ führt aus irgendeinem kuriosen Grund nur der Ergänzungs-Camino, der in der Regel bei zu starkem Gefälle, für Fahrrad- oder Pferdepilgerer eingerichtet ist. Und so stoßen wir heute erst nachdem wir bereits 20 Minuten unterwegs sind auf den ersten Kilometerstein mit Kilometerangabe. 34,755 Kilometer bis zur „catedral de Santiago de Compostela“. „Überschaubar“, denke ich.
Heute wandern wir durch viele Wälder. Überall ist es grün und bemoost und wunderschön. Und auch Petrus ist heute gnädig mir uns. Es regnet nicht. Im Gegenteil. Immer wieder begleitet uns sogar die Sonne auf unserem Weg. Den ersten Stempel bekommen wir dann um 11:15 Uhr in einem kleinen Souvenirladen. Ein kleines grünes Kleeblatt prangt lächelnd in unseren Pässen.
Überhaupt ist lächeln heute wieder sehr viel leichter als gestern. All die Emotionen, die gestern noch so überwältigend waren, scheine ich heute irgendwie mit Abstand betrachten zu können. Als hätte sie über Nacht jemand in Regale eingeräumt und ich könnte sie nun gut sortiert betrachten und auswählen. Außerdem merke ich, wie mein Kopf langsam anfängt, sich freier zu fühlen. Als hätte jemand die Vorhänge abgenommen und Licht und frische Luft herein gelassen.
„Man lässt die kleinen Dinge im Alltag zu groß werden“, denke ich.
Um 12:30 Uhr nach fast 11 Kilometern setzten wir uns auf unsere Regencapes, die wir nun also doch nicht umsonst eingepackt haben, auf eine Wiese in die Sonne und essen unser Mittag. „Sonne verändert alles!“, sagt Conny. Ich muss ihr zustimmen, ohne Regen ist es viel leichter. Allerdings schwellen bei Sonne und warmen Wetter auch die Füße schneller an. Eine Erkenntnis, die Conny und ich heute schmerzlich anhand zahlreicher Blasen gewinnen.
Es begegnen uns ungewohnt viele Menschen auf dem Camino. Nachdem wir in den letzten Tagen oft kilometerweit die einzigen Menschen auf dem Weg waren, gibt es heute kaum einen Abschnitt, auf dem wir mal alleine unterwegs sind. Und noch etwas fällt auf, heute treffen wir sehr viele berittene Pilger. Wo die wohl die letzten Tage gesteckt haben?
Wieder führt unser Weg durch diverse Eukalyptuswälder. Als wir an einigen gefällten Bäumen vorbei kommen, rieche ich den Eukalyptus auch zum erste Mal.
Überhaupt nehme ich heute sehr viel von meiner Umwelt wahr. Es kommt mir vor, als würden heute viel mehr Kilometersteine den Weg säumen, als gestern. „Wahrscheinlich“, denke ich, „wird es daran liegen, dass Du heute einfach nicht so viel mit Dir selbst beschäftigt bist.“ Vermutlich! Worüber ich heute allerdings gar nicht nachdenke, ist das Gehen. Es kommt völlig natürlich und komplett unverhandelbar vor. Ich gehe einfach. Ich überlege nicht, wie weit es noch ist, wie spät es ist, wie lange schon unterwegs bin. Ich gehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Reise morgen schon zu Ende sein soll.
Um 15 Uhr machen wir am Wegesrand noch eine kleine Pause und essen Bananen. Der Wind rauscht durch die Blätter der Eukalyptusbäume und Mama sagt: „Klingt wie das Rauschen des Meeres.“ „Stimmt!“, denke ich. „Vielleicht bedarf es gar nicht immer Strand, um am Meer zu sein. Vielleicht bedarf es nur ein wenig Fantasie?“ Der Gedanke gefällt mir. Den nehm ich mit nach Hause.
Unseren zweiten Stempel des Tages bekommen wir auf den allerletzten Metern in einem einladenden Restaurant.
Um 16 Uhr erreichen wir dann nach den heutigen 22 Kilometern das Wohnmobil. Feierabend!
Conny‘s Weisheit des Tages: „Nach müde kommt doof und nach wandern kommt blöd!“