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2020 im Juni - Wir sind immer noch coroniert

Veröffentlicht: 22.06.2020

Schon gehört? Gegen Corona helfen Menthol-Zigaretten. Klingt absurd, ist es auch, aber mein Nachbar schwört drauf. Angeblich können Viren Menthol in Kombination mit Nikotin nicht leiden. Auch gegen alle anderen Erkältungskrankheiten helfen Menthol-Zigaretten, sagt er. Altkanzler Helmut Schmidt würde da sicher beipflichten.


Jetzt aber die schlechte Nachricht für meinen Nachbarn: Der Verkauf von Menthol-Zigaretten ist seit dem 20. Mai 2020 in der gesamten EU endgültig verboten worden. Und nun?


Da ist guter Rat teuer. Auswandern geht ja wegen Corona gerade auch nicht. Allerdings ist jetzt, im Juni 2020, die erste Panik vor der Krankheit eh vorbei. Wir scheinen uns mit der Gefahr einer Ansteckung, nur noch bedingt befassen zu wollen. Zumal es mir so geht, wie den meisten anderen Menschen auch, dass ich tatsächlich noch niemanden kennengelernt habe, der die Krankheit tatsächlich mitgemacht hat.


Ist ja auch gut so. Keiner will krank werden und mal von den paar Aluhut-Träger abgesehen, sind wir doch auch fast immer vernünftig. Und natürlich haben wir alle brav in Geschäften einen Mundschutz auf. Aber erinnert ihr euch noch, wie wir noch letztes Jahr die asiatischen Touristen mit Mundschutz belächelt haben? 'Alles Hypochonder' haben wir doch gedacht.


Und es gibt noch etwas, das 2019 keiner vermutet hätte: Letztes Jahr redeten doch alle nur noch zurückhaltend, wenn es in den Urlaub mit dem Flieger ging. Das Wort Flugscham machte die Runde. Das ist die Scham, quasi persönlich CO2 in Massen auszustoßen, weil man ein Flugzeug zum Reisen nutzte.


2020 gibt es nun die Schniefscham. Also die Scham, die du entwickelst, wenn du mal einen Nieser in der Bahn loslässt. Schäm dich, mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit unter die Leute zu gehen! Jeder Heuschnupfen-Allergiker entschuldigt sich deshalb gleich vorsorglich und auch Asthmatiker sollten das tun, sonst werden sie schief angeguckt. So hat es das Wort Schniefscham tatsächlich in den Niederlanden in ein Wörterbuch geschafft.


Und was ist nun mit dem Urlaub? Da braucht sich keiner mehr zu schämen, der fällt nämlich einfach aus oder er wird im eigenen Garten verbracht. Und wer keinen Garten hat, der fährt halt in die grüne Umgebung.


Zumindest Stand heute.


Und natürlich mussten wir unsere im April geplante Reise nach Paris und London auch absagen. Oder besser gesagt, sie wurde uns abgesagt. Zu diesem Zeitpunkt gab es nämlich eine nie dagewesene WELTWEITE REISEWARNUNG.


Aber zum Glück bestand unser Urlaub nicht aus einem Lockdown, bei dem man nur aus dem Fenster gucken durfte. Wir waren auch vor der Tür. Und wer Paris und London nicht haben kann, nimmt eben mit Neudietendorf und Nägelstedt vorlieb. 


Und natürlich haben wir da auch etwas erlebt. Wir befanden uns sogar, ohne es zu ahnen, kurzzeitig in Lebensgefahr. Naja nicht wirklich, aber laut einem Schild schon. An einem der idyllischsten Orte überhaupt: Ein kleines Bächlein, daneben ein lauschiger kleiner Wanderweg mit einer Bank, singende Vögelchen. Kein Mensch weit und breit, nur wir und die Natur. Und dann am Ende des Weges ein Schild "Betreten verboten, wegen herabfallender Äste. Lebensgefahr". What? Da denkst du, hier im Wald bist du Corona entkommen und dann das. Aber muss man nicht in jedem Wald mit fallenden Ästen rechnen? Egal. Wir sind den Weg dann einfach wieder zurückgelaufen, nur um zu prüfen, ob es wirklich gefährlich ist. Uns ist nichts passiert, nichts fiel herunter. Aber klar, es war Leben am Limit.


Und genauso muss ja quasi jedes Treffen in dieser Zeit betrachtet werden, als Leben am Limit. War nicht jeder Kontakt mit anderen eine potentiell tödliche Gefahr? Instinktiv hat dann auch jeder seine Distanzzone zu anderen vergrößert. Nicht mehr nur einen Meter Abstand, lieber gleich zwei Meter oder mehr.


Und wenn überhaupt, gab es deshalb konspirative Treffen mit Familie oder Freunden. Also zum Beispiel im Wald, gewollt zufällig am selben Ort. Aber ohne Umarmungen bitte, ist ja klar.


Zum Glück ist bei all dem die Versorgung nicht ausgefallen. Wir saßen immer im Warmen, fließend Wasser gab es auch und nur wenige Artikel, wie Klopapier, waren ausverkauft. Essen hatten wir auch genug. Nicht wenige sind nach Corona sicher mopsiger als vorher. Wir befürchten Ähnliches. Als Unterstützung der lokalen Gastronomie haben wir nämlich viiiiel Pizza bestellt und sie uns auch schmecken lassen. Aber ganz ehrlich, wir sind auch froh, dass wir jetzt wieder in unsere anderen Lieblingsrestaurants dürfen.


Noch erlösender war es aber, wieder zum Friseur zu dürfen. Für mich und sicher auch für alle Friseure, denen die Einnahmen fehlten. Obwohl sich ja sicher jeder mal eine zweimonatige Auszeit gewünscht hat, war das für meinen Kurzhaaarschnitt zu viel. Ich weiß sogar das Datum der Wiederöffnung noch (04.05.2020), so sehr habe ich dem Tag entgegengefiebert. Und ich hatte auch das Glück, an diesem Tag gleich einen Termin bekommen zu haben. An Geschäften, die ohne Termin arbeiten, bildeten sich sogar lange Schlangen. Nie wurden Friseure so kollektiv gewürdigt.


Ich kenne sogar Berichte, dass manche verbotenerweise während des Lockdowns in irgendeinem Hinterzimmer frisiert wurden. So groß war die Not. Für den Friseur und Kunden hätte das aber echt teuer werden können.


Da fällt mir für den Schluss dieses Berichtes noch eine lustige kleine Geschichte ein, auch aus der Lockdown-Zeit: Dazu müsst ihr wissen, dass systemrelevante Banker, wie ich, die ganze Zeit zur Arbeit durften.


Also ich habe während dieser Zeit meinen Kollegen eine Zeitungsmeldung vorgelesen. Darin ging es darum, dass zwei Nagelstudios in Erfurt erwischt wurden, wie sie heimlich Kunden bedient hatten. Darauf fragt mein Kollege noch mal nach "Wer hat wieder auf?", ich so "Zwei Nagelstudios" und er dann "Ach, die Puffs haben wieder geöffnet!".


Na ist der Witz angekommen? Ich weiß schon, der dauert ein bisschen. Ihr habt Zeit, bis zum nächsten Tagebuch-Eintrag darüber nachzudenken.
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