Veröffentlicht: 29.01.2020
Costa Rica! Es sieht aus wie eine Fototapete, und doch ist es Realität: Wir sind an einem tropischen Strand angekommen. Wir könnten uns wie Robinson Crusoe fühlen, wären da nicht die vielen anderen kleinen Hütten, in denen Einheimische und amerikanische Rentner hausen. Und doch sehen wir, wenn wir vor unserer Hütte sitzen, nur das Meer und die Palmen. Kaum sind wir hier angekommen, gleiten die Tage und Wochen dahin. Es gibt nur noch einen Rhythmus, und den gibt die Natur vor.
Ich war noch gar nie richtig in einem tropischen Setting. In der Fototapete quasi. Ich habe schon an vielen Orten auf dieser Welt gelebt oder sie besucht, aber alles, was tropischer war als Florida, habe ich ausgespart (die drei Wochen auf Indonesien, als unsere älteste Tochter laufen lernte, zähle ich nicht dazu, weil wir vor allem auf Bali waren und mir dort sogar die Urwaldbäume am Strassenrand künstlich vorkamen, wie für die Touristen aufgestellt). Und so fühle ich mich hier plötzlich in diese Kulisse hineinkatapultiert. Langsam taste ich mich heran an Dinge wie frische Kokosnüsse, riesige Ameisen und allgegenwärtige Feuchtigkeit. Ich versuche zu verstehen, wie die Natur hier tickt, um nicht anzuecken oder verschlungen zu werden. Und ich versuche zu verstehen, was die Leute weltweit so daran finden. Ich bin dazu auch noch kein Ozeanfreund - Tauchen und Fische und sowieso das tiefe Wasser machen mir eine Heidenangst. Gebt mir Berge, das macht mir Entdeckerlust! Meer ist nur schön zum Anschauen. Und dieses Anschauen übe ich intensiv. Was mir dabei hilft? Wellen. Wellen. Wellen.
Wellen sind meine neuen Freunde.
Sie kommen aus dem Nichts, aber man kann darauf vertrauen, dass sie kommen. Sie machen einen Buckel, und ecken dann an. Sie entwickeln sich innerhalb von Sekunden von einer glatten Woge in eine sprudelnde Kraft. Wenn sie aufbegehren und ihre wahre Schönheit zeigen, wenn die Gischt spritzt, dann steht sie vor dir, diese eine Welle. Sie ist stark und mitreissend. Danach trägt sie dich friedlich zum Strand. Mitreissen und tragen. Aufbegehren und versöhnen. Hin und her. Hin und her.
Morgens um sieben werden wir wach. Es ist hell, es ist warm, und die Kinder haben Hunger. Unsere Hütte besteht zwar aus 3 Stockwerken, ist aber ein einziger Raum. Vor die offenen Elemente (also quasi Fenster ohne Scheiben) sind Fliegennetze gespannt. Deshalb gilt die Regel: Ist einer wach, kriegen es alle mit. Wir stehen auf, frühstücken, und die Kinder wollen direkt an den Strand. Das ist einfach zu bewältigen: Raus aus der Tür, 15 Meter unter Palmen laufen, und - zack - schon am Strand. Morgens hat sich das Wasser zurückgezogen und gibt eine grosse Sandfläche frei. Unsere Kinder buddeln leidenschaftlich, wir lassen uns von Wellen überrollen, im ewigen Rauschen. Hin und her. Am Vormittag ist die Sonne nicht so intensiv, wilde Pelikane gleiten elegant knapp über dem Wasser, und es ist menschenleer (nicht, dass zu einer anderen Tageszeit Menschen da wären). Didi behauptet immer wieder, Delphine zu sehen... aber natürlich nur dann, wenn ich nicht dabei bin.
Gegen 11 Uhr wird es am Strand heiss. Und dann haben wir meistens auch Hunger. Wir gehen wieder zurück zur Hütte und ich koche dann etwas. Kulinarisch scheinen die Einheimischen echt auf Stabilität zu stehen, es gibt nämlich traditionell mindestens 3mal am Tag Reis mit Bohnen. Mindestens. In allen Varianten. Nachdem wir entdeckt haben, dass das labbrige Toastbrot im kleinen Supermarkt um die Ecke ungefähr dreimal so viel kostet wie in der Schweiz, passen wir uns auch noch lieber an die hiesige Kultur an. Wir essen also ein- oder zweimal am Tag Reis mit Bohnen. Ansonsten stehen Kokosnuss - frisch mit der Machete geöffnet -, Papaya, Avocado oder Kochbananen auf dem Speiseplan. Wir lieben es, dass Gemüse und Früchte, die wir sonst ab und zu exotischerweise im Supermarkt gekauft haben, hier so frisch und viel zu haben sind. Übrigens kann man hier in Costa Rica das Hahnenwasser trinken - wie cool ist das denn? Das erspart uns und der Umwelt jede Menge Schlepperei und Plastikflaschen.
Nach dem Essen ist erst einmal Ruhe angesagt. Und zwar nicht eine Stunde, nein - ganze 2 Stunden. Denn bis 15 Uhr wollen wir sowieso im Schatten bleiben - das diktiert uns unsere Haut. Zum Glück haben wir eine grosse Terrasse, die ist quasi der grösste Raum der Hütte und komplett überdacht. Auch die Palmen vor unserem Haus geben ein wunderschönes Farbspiel ab und spenden erfrischenden Schatten. Unsere Jüngste, die sich in den letzten Monaten so langsam schwer getan hatte mit Mittagsschlaf, ratzt jetzt in der Hängematte und ist gar nicht mehr zu wecken. Wunderbar, finden wir. Unsere ältere Tochter hört ihre Hörspiele und bastelt in Ruhe - auch sie geniesst es, mal ungestört zu sein. Und wir Erwachsene lesen, versinken im Halbschlaf in Fantasiewelten, im Hintergrund das Spiel der Wellen.
Irgendwann schaffen wir es dann, uns wieder aufzuraffen, und rennen an den Strand. Bis jetzt hat sich das Meer den Sand immer zurück erobert. Die Flut steigt bis zu dem vielen Schwemmholz, was hier herumliegt. Was so unschön auf Fotos aussieht, ist in Wahrheit ein richtiger Schatz. So viele schöne Hölzer, verschlungen und geschliffen. Wir entdecken immer wieder wunderschöne Baumstämme.
Didi hat sich direkt ausgetobt und eine kleine Hütte daraus gebaut, die ideal ist, um im Schatten zu sitzen. Und so stehen wir umspielt von Wellen, toben herum, machen einen Spaziergang und geniessen den Wind, das Wasser, und den Sand. Die nächsten Tage wollen wir vielleicht ein Floss bauen. Mal schauen. Hier am Strand ist das so eine Sache mit den Plänen. Terminkalender scheinen unglaublich weit weg. Wir kamen auch mit einem Haufen dreckiger Wäsche hier an und haben tagelang gebraucht, das Waschen zu organisieren. Einfach aus dem Grund, dass keiner Lust hatte, sich zu bewegen. Und wer den ganzen Tag in Badekleidern herumläuft, verspürt auch nicht den Drang, dreckige Socken zu waschen.
Kurz bevor es dunkel wird, müssen wir rein. Den Fehler, noch ein bisschen herumzulaufen, haben wir am ersten Abend gemacht und dann nicht mehr. Denn pünktlich zum Sonnenuntergang kommen die Moskitos. In Scharen. Gegenüber, auf der anderen Seite der Strasse, liegt ein Sumpf mit Mangrovenwald. War ja klar, dass dann alles voll ist mit den Viechern. Zwar nicht direkt am Strand, doch 4 Meter davor auf jeden Fall. Der Ort hier heisst "Playa Zancudo" und Zancudo bedeutet anscheinend Mücken. Das sagt schon alles. Auch jede Menge Insektenspray konnte sie nicht davon abhalten, uns an unseren ersten Abenden zu zerfleischen. Und nachdem wir jetzt tagelang mit roten Flecken und juckenden Waden herumgelaufen sind, haben wir uns ergeben und gehen einfach um halb sechs ins Haus und nicht mehr raus. Wir kochen unseren Reis mit Bohnen, die Kinder bekommen Ketchup, und wir sitzen in unserer Küche. Kurze Zeit später ist es stockdunkel. Echt verrückt, so früh wie im Dezember, aber eben ohne Schnee.
In so einer einfachen Hütte - es gibt ein paar Töpfe, Teller und Gabeln - ist die Haushaltsgeschichte schnell erzählt. Das Geschirr abspülen, was man gerade benutzt hat. Fertig. Doch am Abend müssen wir besonders gut acht geben. Wir knöpfen die Müllbeutel zu und schauen in der Küche, das wirklich kein Reiskorn mehr herumliegt. Alle offenen Lebensmittel (und das heisst wirklich alle!), also Kekse, Reis, Früchte und Brot, sind im Kühlschrank deponiert. Denn sobald wir unten in der Küche das Licht löschen, ist dort das finstere Reich der Ameisen und Kakerlaken angebrochen. Und mit denen wollen wir wirklich nicht unser Essen teilen.
Es fühlt sich an, als wäre es schon sehr, sehr spät. Dabei ist es meistens erst 7 Uhr, wenn unsere Kinder quengelig werden und wir sie ins Bett bringen. Vielleicht ist es die frische Luft oder das Wasser, aber sie schlafen direkt ein. Und auch wir Erwachsenen machen nicht zu lange (wer uns kennt, weiss, dass das nicht normal ist) und schlafen zu einer Uhrzeit ein, zu der normalerweise unsere Produktivität erst anfangen würde. Vielleicht holen wir den Schlaf nach, den wir uns in all den exzessiven Freundschafts- und Familienmomenten der letzten Monate nicht gegönnt haben. Vielleicht aber lassen wir uns hier einfach von der Welle treiben, die gerade unsere Tage hier verschwimmen lässt und das Licht bringt. Der Rhythmus, dem wir uns hier anpassen und der irgendwie sehr entspannt ist. So entspannt, dass wir uns keine weiteren Gedanken machen. Eigentlich suchen wir einen Ort, an dem wir länger bleiben können, mit Kindergarten und Sprachunterricht, aber irgendwie halten uns die Wellen gefangen. Und wir lassen es zu. Mitreissen und tragen. Aufbegehren und versöhnen. Hin und her.
Hin und her.