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Zehnter Abschnitt: Grüße von George Orwell

Veröffentlicht: 21.10.2018

Von Emei Shan fuhren wir nach Dali. Wieder ein Übernachtzug, wieder stundenlang in einem Zug eingesperrt. Doch diesmal war es anders. Schon beim Reinkommen lernten wir Georgina und Marc kennen, ein Paar aus Katalonien. Auch sie mit einer starken Position zu den Geschehnissen in Spanien, politisch, witzig, liebenswert. Bis die Lichter im Zug ausgeschaltet wurden unterhielten wir uns mit den beiden und beschlossen, von Dali aus eine Tagestour nach Lijiang zu machen. (Lijiang wurde uns mehrfach als wunderbares Reiseziel empfohlen, wir hatten nur leider auf Grund der Golden Week kein Hostel gefunden)

Unsere Zugfahrt endete in Kunming, dort verbrachten wir sechs Stunden und mussten dann noch einen Zug ohne Sitzplätze nach Dali nehmen,diesmal ohne Begleitung, da Georgina und Mark eine Nacht in Kunming gebucht hatten.

In Dali mussten wir noch einige Zeit Bus fahren, um bei unserem Couchsurfing Host, Xinyu, anzukommen.

Entgegen unserer Annahme, wir würden bei ihr privat übernachten, wurden wir in ein wunderschönes Hostel, wie aus einem Möbelkatalog, gebracht. Ein gläserner Pavilion stand in der Mitte des grün bewachsenen Innenhofes. Er war gefüllt mit Instrumenten, da Xinyu nicht nur Kleidung selbst herstellt, sondern auch Musikerin ist.

Xinyu berichtete uns, dass sie FreundInnen zu Besuch habe, welche uns zum Essen einladen wollen. Später fanden wir raus, dass diese FreundInnen eine Familie mitsamt Onkeln und Tanten waren, die vorher bereits Gäste in dem Hostel gewesen sind und nun immer wieder gerne aus Peking zu Besuch kommen. Mit diesen netten Menschen aßen wir dann also zu Abend, Unmengen an leckerem Essen standen auf dem Tisch und wir bekamen Bier und Reisschnaps. Ungeschickt, wie ich manchmal bin, verschüttete ich die Hälfte meines Bieres auf der Hose der Tochter, welche sehr nett reagierte, nach dem Maleur aber wohl wie eine Brauerei roch. Englisch sprechen konnte,außer eine dreizehn jährigen und unserem Host, niemand. So mussten die beiden ganz fleißig übersetzen. Mit den, schon etwas angetrunkenen Männern der Runde, verständigten wir uns überwiegend durch Anstoßen und laut ‚OK‘ rufen. Mit den Frauen gingen wir daraufhin in die Altstadt Dalis. Aufgrund eines Feiertages war ein Musikfestival in der Stadt und in den Bars in Dali wird sowieso immer gesungen. Dali ist bekannt für seine vielen MusikerInnen. In der Stadt wurde uns von der Familie quasi alles an Street Food gekauft, was man kriegen konnte. Und so aßen wir und aßen wir, obwohl im Hostel das halbe Abendessen, das wir vorher nicht aufgegessen hatten, noch rumlag. Köstlichkeiten wie schwarzer Stinke-Tofu, Hühnerfuß, Schweinefuß, gegorene Milch am Stiel und Fluff-Brötchen gefüllt mit Rosenblättern begleiteten uns durch den Abend.

Diese Nacht verbrachte René auf einem ungepolsterten Bett neben der Rezeption während ich in einem der bequemen Zimmer, welche ich mir mit einer Chinesin teilte, übernachten durfte. Die Chinesin nannte sich selbst Alexa und wir verstanden uns auf Anhieb richtig gut.

In China gibt fast jeder oder jede sich einen englischen Namen (manchmal auch so wunderschöne wie ‘Rainbow’), da die Chinesischen für AusländerInnen so schwer auszusprechen sind. Witzig ist, dass es auf 1,4 Milliarden ChinesInnen nur etwa 700 Nachnamen gibt. Es heißt also fast jeder gleich. Aus diesem Grund versuchen Eltern ihren Kindern oft sehr außergewöhnliche Vornkamen zu geben. Leider kennen die meisten Computer gerade mal 37,000 Schriftzeichen, weswegen viele Namen nicht digital verwendet werden können. Die Regierung hat nun die erlaubten Schriftzeichen limitiert, sodass viele ChinesInnen ihre Namen ändern müssen.

Am nächsten Tag gingen René und ich erneut in die Altstadt, diesmal mit weniger Essen, dafür aber mehr Zeit, um durch die Läden zu schlendern. In Dali gibt es kleine Läden, mit wunderschönen, handbestickten Kleidungsstücken, alles sehr elegant und entgegen aller Erwartungen kein Stück ramschig. Wir aßen mittags bei einem Tempel in der Stadt, wieder sehr günstig, lecker und vegetarisch und verbrachten dann geschlagene 1,5 Stunden damit auf Alexa zu warten, welche sich verspätet hatte. Als wir uns endlich getroffen haben, steckte mich Alexa in alle möglichen, wirklich sehr schönen, Kleidungsstücke, ohne dabei meine nicht ganz Chinesische Figur zu beachten. So zwängte Ich mich also in ein traditionelles Gewandt nach dem anderen und sah sehr verkleidet aus. Zum Bedauern der Verkäuferin kaufte ich natürlich nichts. Erst an einem der letzten Läden fand ich dann eine Hose, welche mir sehr gefielt und entgegen aller Rationalität (mein Rucksack ist eh schon viel zu voll) kaufte ich sie dann schlussendlich. Mit Alexia gingen wir dann in eine Bar, die, wie sich nachher rausstellte, sehr berühmt ist in China.

In der Bar traten verschiedene chinesische Folk-Künstler auf, die alle etwa in unserem Alter waren. Der Raum war gefüllt mit Fans. Alles war sehr familiär, die Leute saßen eng aneinandergereiht, es wurden viele Witze erzählt und laut die Lieder mitgesungen. Wir wurden von dem Künstler auf Chinesisch willkommen geheißen. Übersetzt hat Alexia alles für uns.

Nach dem Konzert ging der Künstler in einen Secret room, in dem ihn einige Leute folgten und wir, auf Alexas anraten, betraten ebenfalls den dunklen Raum. Alle setzten sich und warteten auf die Anweisungen des Künstlers. Nun sollte jeder seinen Namen, sein Alter und die Region nennen, aus der er oder sie kommt. Alexa machte sich drei Jahre jünger, da sie sich schämte ‘schon’ 25 Jahre alt zu sein. Der Künstler ermahnte uns, dass alle Dinge, die in diesem Raum gesagt würden, auch in diesem Raum bleiben müssen. So fing er an und erzählte von seiner großen Liebe, wie sie ihn heiraten wollte, er noch nicht bereit war und sie sich dann trennten. Als sie dann einen Neuen kennenlernte und diesen Typen dann heiratete, merkte der Künstler (etwas zu spät), dass er sie doch und für immer und über alles von ganzem Herzen liebe. Seitdem könne er keine andere mehr ansehen, er sei immer noch in tiefer Trauer über seinen (selbst verursachten, wohl gemerkt) Verlust. Nach dieser Story folgten weitere sehr, sehr theatralische Liebesgeschichten, da hat einer vier Tage geweint, der andere würde bis in den Tod für seine Freundin gehen. Und das Publikum wartete und wartete auf: noch mehr Schmalz, mehr Drama, mehr Tränen. Das Konzept, welches wir erst ganz interessant fanden, entpuppte sich als besserer Ersatz für jede Seifenoper. Ehrliche Gefühle waren wenig dabei, dafür viel Herzschmerz und blumige Beschreibungen. Als Höhepunkt kam ein junger Chinese, der von seinem Vater im Knast und seinem Drogenkonsum berichtete. Alexa war zu Tränen gerührt und das Publikum sah seinen Voyeurismus gestillt.

Ok. Das war nun eine sehr krasse Beschreibung aus meiner Sicht auf die Dinge. Ich würde sehr gerne, wenn wir zurück kommen, mit euch über dieses Konzept des Secret Room reden, da ich daran natürlich auch viele positive Seiten sehe. Für mich (und ich denke auch für René) überwog allerdings das Gefühl einer sensationsgeilen Masse. Und auf der anderen Seite von Menschen, die ihre Probleme weder im professionellen Rahmen noch mit Freunden teilen können und so, wenn sie aus diesem Raum gehen, keine tröstende Schulter bei sich wissen, sondern vielmehr umringt sind von Fremden. Irgendwie sehr befremdlich. Ich freue mich auf eure Meinungen.

Am nächsten Tag sind wir zu einem See in Dali gelaufen, dem Erhai. Es war leider viel zu überfüllt. Ansonsten ist es wirklich sehr schön dort und auf jeden Fall einen Besuch wert. (Viele Leute leihen sich Roller und drehen eine Runde um den See. Wir haben uns allerdings nicht getraut bei dem gruseligen Verkehr in China)

Alexa hat uns von ihrer Tour im Vorhinein viele wunderbare Fotos gezeigt. Im Endeffekt stellte sich raus, dass die meisten dieser Bilder in Fotoparks geschossen wurden. Also in Parks, für die man Eintritt zahlt, um dort dann diverse Fotokulissen im Miniaturformat vorzufinden. So z.B. Blumenwiesen, Kanus, die nicht für Wasser geeignet sind oder Miniseen. Alles also ziemlich fake, teuer und irgendwie traurig.

Eines Abends sprachen wir darüber, dass wir kein VPN haben, wir also kaum Apps in China benutzen können. Daraufhin begann unser Host von einem Amerikaner zu sprechen, welcher ganz falsche Vorstellungen von China habe. Der habe doch glatt behauptet, in China seien viele Dinge durch die Regierung eingeschränkt. Stimmt ja gar nicht, so unser Host, mit VPN könne sie ja alles problemlos nutzen. Westliche Medien würden anscheinend viele Lügen verbreiten. Auf unseren Hinweis, für diese vermeintliche Freiheit müsse sie ja schließlich mehr oder minder illegal einen VPN benutzen, reagierte unser Host nicht gerade erfreut.

Der selbe Amerikaner hätte doch auch ernsthaft mit ihr über den Konflikt zwischen China und Trump reden wollen, also wirklich. Von Politik möchte sie gar nichts wissen, das mache sie nur immer so traurig. Also mussten wir von nun an immer ganz schnell das Thema wechseln, wenn es um etwas Politisches ging, zu dem man sich hätte in irgendeiner Form positionieren müssen.

Alexas Familie lebt Nähe der nordkoreanischen Grenze. Auf unser Frage, ob sie das irgendwie im Alltag bemerke, antwortete sie mit einem sehr überraschten ,wieso genau?‘. Sie wusste also absolut gar nichts über die Situation in ihrem Nachbarland. Auch die 13-Jährige, mit der wir am ersten Abend unterwegs waren, wollte rein gar nichts am Schulsystem verändern, obwohl sie eigentlich nie Freizeit hat, da sogar in ihren knapp bemessenen Ferien so viele Hausaufgaben verteilt werden. (Hallo?! Sollte man mit 13 nicht einfach alles ändern wollen?)

In Shanghai gibt es eine App, bei der verschiedene Informationen aus der stetigen Überwachung ausgewertet werden und man dann als ,guter’, ‘mittelguter’ oder ‘schlechter’ Einwohner Shanghais eingestuft wird. Wenn man als gut bewertet wird, kriegt man diverse Vergünstigungen, als schlechter darf man beispielsweise nicht mehr mit bestimmten Bussen fahren. Das System soll ausgeweitet werden, sodass in die Wertung mit einbezogen wird, was für Freunde man hat und wie oft man seine Eltern anruft. Diese App ist komplett freiwillig, das heißt, die Leute melden sich dafür komplett aus freien Stücken an. Sie haben ja nichts zu verlieren (außer ihre Freiheit und Privatsphäre, aber hey) sie benehmen sich ja immer gut.

Manche ChinesInnen rebellieren jedoch auch. Ein Zeichen für die Unzufriedenheit mit dem System ist Peppa Pig. Ein britisches rosa Schweinchen, das Abenteuer mit seiner Familie erlebt. Also, ein ziemliches Gangster-Schwein.

Ich war wirklich sehr sehr schockiert über diese Systemkonformität. Vor allem Alexa (deren Bild wir bewusst nicht hochladen, da ich sie hier wohl nicht in das beste Licht rücke) sah sehr sehr alternativ aus, als wolle sie durch ihren Kleidungsstil ein Zeichen setzen. Scheinbar ist das ähnlich wie die Fotoparks, mehr Schein als sein.

Am nächsten Tag wollten wir mit Georgina und Marc nach Lijiang fahren. Morgens warteten wir auf die beiden, und warteten, und warteten... als uns ein kleines Mädchen fragte, ob wir ein Foto mit ihr machen wollen. Kein Problem! Wir setzten unser bestes Lächeln auf, strahlten in die Kamera, als plötzlich Marc sich von hinten auf unser Foto schlich. Er erklärte uns, Georgina seie krank, er würde aber trotzdem mitfahren. Und so startete unser wirklich sehr lustiger Trip nach Lijiang. Dort guckten wir uns die Altstadt an, wir waren an einem Tempel (der erst in den späten 90ern gebaut wurde), bezahlten dort Geld um für ,Family peace‘ eine Glocke zu klingeln und für ‚Glück‘ auf eine Trommel zu schlagen (man hätte auch zwei mal für ‘viel Geld’ schlagen können, das hätte aber mehr Geld gekostet)

Also, ein echt witziger Tag eben.

Und abends dann buchten wir unseren siebenstündigen Bus nach Kunming um von dort aus den Schnellzug zu nehmen.

Dali und Lijiang sind super sehenswerte Städte, sich aber doch sehr ähnlich. In Lijiang sollte man unbedingt in die Berge fahren, das soll sehr schön sein. Leider hatten wir dafür nicht genügend Zeit. Wer in Dali ist, sollte unbedingt bei Xinyu im Hostel übernachten, da sie ein super lieber Mensch ist und alles daran setzt, dass sich alle Gäste kennenlernen und eine schöne Zeit gemeinsam verbringen. 

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