Veröffentlicht: 27.01.2024
Meine Zuhause brennt. Ich glaube, ich habe noch nie die Folgen der Klimakrise so nah und deutlich erlebt. Meine Stadt riecht nach verbranntem Toast. Wenn man einen Schritt nach draußen macht, ist er plötzlich in deiner Nase, dieser Geruch nach Feuer und Rauchvergiftung und Apokalypse. Es sind "nur" die Berge, die brennen. Nicht die Häuser. Ich glaube, bisher sind nur wenige Menschen verletzt. Aber wenn du nah am Berg wohnst, kannst du dem Rauch nicht entkommen. Wo sollen wir hinatmen? Irgendwann riecht auch dein Zimmer nach Rauch und du merkst gar nicht, wie er deine Lungen füllt. Ja, ich rauche manchmal Zigaretten. Aber das ist anders. Wir haben keine Wahl, als die Luft einzuatmen, die vor unserer Haustür rumschwebt. Zum ersten Mal fühle ich ein bisschen wie das ist. Dein direkter Lebensraum wird angegriffen von etwas, von dem du weißt, es könnte vermieden werden. Und es ist nicht deine Schuld. Naja, es ist auch nicht nicht meine Schuld. Es sind wir alle. Aber wenn wir alle dagegen ankämpfen würden, könnte es vermieden werden. Das fühlt sich unfair an. Und mir ist nichts passiert außer dass mein Zuhause nach verbranntem Wald riecht. Ich stelle mir vor, wie mein Haus verbrennt oder überflutet und es muss das Schlimmste der Welt sein. Ich stelle mir einen jungen Menschen vor, der auf einer wunderschönen kleinen Insel großgeworden ist. Und wie er zusehen muss, wie jedes Jahr ein paar Meter seines Zuhause vom riesigen Meer verschluckt wird. Und er weiß genau, warum das passiert. Und es hat NICHTS mit ihm zu tun. Aber irgendwo in Luxemburg hat sich gerade jemand den 6. Porsche gekauft. Das weiß er auch. Und es macht ihn verdammt wütend. Er kann auf die Straße gehen, er kann es auf Instagram posten oder Petitionen starten, er kann sogar in den Hungerstreik gehen und sein Leben riskieren, aber er weiß, dass es am Ende keinen Unterschied machen wird. Weil die Stimme dieses einen kleinen Menschen niemals von ihnen gehört wird. Die Menschen, die am Hebel sitzen, die die Macht hätten, es zu stoppen. Und dann ist da dieses ganze riesige Kollektiv an Menschen, die ihm seine Erfahrung absprechen, weil sie keine Lust haben, ab und zu Fahrrad zu fahren oder weniger Fleisch zu essen. Und weil sie denken, sie seien anderen Menschen natürlich überlegen. Und dann fangen sie an, Parteien zu wählen, die eher alle 7000 Inselbewohner:innen ertrinken lassen würden, als sie in ihr (noch) sicheres Land aufzunehmen. Menschen, die so viel Angst vor persönlichem Verlust haben, dass sie anfangen, sich selbst zu belügen. Sie werden Expert:innen darin, Personengruppen, die ihnen nicht in den Kram passen, zu entmenschlichen und so Diskriminierung und Gewalt zu rechtfertigen. "Othering" auf höchstem Niveau. So sehr, dass sie die Empathie verlieren, da diese Menschen gar keine Menschen mehr in ihrem Augen sind. Das ist jetzt vielleicht ein Extrembeispiel. Aber ein Blick in Deutschlands Parteienlandschaft zeigt doch, dass es keinen Faschisten oder Nazis braucht, um Tausende von Menschen im Meer versinken zu lassen. Sie alle wissen, was da passiert. Wem können wir also die Schuld geben? Den Wähler:innen? Und was ist mit denen, die so arm sind, dass sie sich aus reinster Verlustangst und mangelnder Bildung von der rechten Propaganda ins Boot ziehen lassen? Können wir jede einzelne Wähler:in dafür verantwortlich machen, wie die humanitäre Lage aussieht? Sollen wir die verantwortlich machen, die dieses System geboren haben? Die Kapitalisten und Kolonialisten des 19. und 20. Jahrhunderts? Deren Nachfahren? Wer weiß, was mein Urururgroßvater mütterlicherseits damals so getrieben hat. Oder auch väterlicherseits. Irgendein spanischer Kolonialist war da bestimmt dabei. Oder machen wir die Politik und Regierung der großen Industrieländer verantwortlich. Oder die Elon Musks dieser Welt. Ich bin so unendlich wütend und ich weiß nicht auf wen. Also irgendwie auf alle. Alle AfD-Wähler:innen, alle Elon Musks dieser Welt und auch alle anderen Reichen und Olaf Scholz und auch mein gehassliebter Robert H. Und alle BWLer und viele Forstis und alle Fleischesser und Autofahrer und alle, die Fast Fashion konsumieren und alle, die noch mit Menschen reden, die die FDP wählen und alle, die nicht alles und alle so sehr hassen wie ich. Dabei treffen einige dieser Dinge auf mich selbst zu. Aber auf wen soll ich denn wütend sein? Wem bringt es etwas, wenn ich heimlich in meinem Kämmerchen einen Hassbrief an Joe Biden schreibe und wem bringt es etwas, wenn ich irgendwann hinter Gittern sitze, weil ich mit meinem Hausschlüssel "du Mörder" in Christian Lindners Porsche geritzt habe. Alle hassen ist nicht die Lösung. Aber wo kann ich den größtmöglichen Einfluss haben, um die Welt ein bisschen besser zu machen? Und ist das überhaupt möglich oder kann ich gleich aufgeben?