Veröffentlicht: 13.02.2020
Nach ein paar Tagen Ruhe und nur Zeit mit mir, fahre ich morgens um 9 nach Sevilla.
Während der Fahrt merke ich, wie dem Busfahrer die Augen zufallen, er scheint übermüdet zu sein. So eine Fahrt hatte ich schon einmal in Chile, die allerdings nicht 3, sondern 18 Stunden andauerte und tatsächlich in jeglicher Hinsicht, atemberaubend gewesen ist.
Als ich aussteige, hätte ich mich bekreuzigen können, froh, heil und ohne Vorfälle am Ziel angekommen zu sein.
Ich nehme meinen Rucksack und gehe aus dem Bus Terminal heraus, setze mich in die Sonne und rauche erst einmal Eine. Wieder mitten im Leben, freue ich mich, nach Jahren wieder hier zu sein. Nach einer Viertelstunde nehme ich mir ein Taxi und fahre zu dem Hostel, das zentral und direkt beim Metropol Parasol, auch „Las Setas“, einer Aussichtsplattform im Zentrum liegt, deren Architektur einem Deutschen zu verdanken ist.
Von der Terrasse des Hostels, stelle ich eine Viertelstunde später fest, hat man einen direkten Blick auf den Mushroom, so bezeichnet, aufgrund seiner Form.
Nachdem ich meine Sachen abgeladen habe, sitze ich oben in der Sonne, auf der Terrasse, und unterhalte mich mit einem Chilenen, der auch in meinem Zimmer ist. Er kommt aus Santiago.
Dieser Ort ist genau der Richtige jetzt, obgleich ich kurz überlegt hatte, ob es mir nicht zu viel wird nach den Tagen allein, doch ich stelle fest, dass mir der Kontrast gut tut und mir gefällt.
Das Leben pulsiert, die Worte fließen, als ob sie einem Schweige Retreat unterlegen gewesen wären. Kommt fast hin, denn ich habe wirklich nur geredet, wenn ich etwas einkaufen war , oder aber sporadisch eine Sprach Naricht verschickt habe.
Nach einer langen Unterhaltung gehe ich nach unten, raus aus dem Hostel, über die Plaza und direkt zum Mushroom, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen.
Mit dem Fahrstuhl geht es hoch. Oben angelangt, nach den ersten Schritten, bemerke ich wie sich eine kleine Gleichgewichtsirritation einstellt. Ob die anderen Menschen hier das auch so empfinden ? Vielleicht. Es geht einmal im Kreis herum. Ich lasse mir Zeit und genieße jede Aussicht, die von hier oben fantastisch und zahlreich ist, in jede Richtung.
Wie wunderschön und leicht das Gefühl dieser Verortung sich im Körper bemerkbar macht.
Es ist ein Ankommen auf allen Ebenen, das sich sehr zu dem Ankommen in Atltanterra am Meer unterscheidet, jedoch seine eigene Schönheit in sich trägt. Wie unterschiedlich sich Ankommen anfühlt und doch in jeder seiner Formen ein Empfangen schenkt, das einen weiten Himmel in dir malt. Die Stärke und Zufriedenheit gleichen sich nicht, und doch kommen sie von derselben Sehnsucht, die sich in dir erfüllt, während du das Neue mit allen Sinnen einatmest.
Orte rufen dich, sprechen mit dir und laden dich ein sie zu leben. Sie überlassen dir, sie mit deinen eigenen Augen und aus deiner, auch aus ihrer Perspektive zu sehen, und kaum bemerkst du dieses, bist du mittendrin in ihrem Lebensrhythmus, der zu deinem wird und dem du auch ein Stück von dem deinen gibst. Es ist die Mischung beider, die das Gesamtgefühl ausmachen und dich während deiner einen mit auf eine weitere Reise nehmen, von der du vorher noch nie etwas geschmeckt und erfahren hast. Es ist ein reiches Geschenk, weil auch in dir eine Reise anfängt und stattfindet, deren Inhalt und Wirkung sich mit jedem Blick in dir nieder und dich das Außen neu wahrnehmen lässt. Welche Farben du ihm gibst, liegt in deiner Hand und hängt von deiner Stimmung und deiner Bereitschaft ab.
Ich lasse meinen Blick über die Dächer und in die Weite streifen und genieße die Wärme der Sonne, die jetzt über der Stadt liegt.
Sevilla begrüßt mich an diesem Nachmittag mit einem sonnigen Lächeln, das mit seiner Güte und Herzlichkeit durch jede Vene meines Körpers fließt und meiner Bereitschaft, mir in seinen Straßen zu begegnen, die Hand gibt.
Später, zurück im Hostel, verbringe ich einen schönen Abend auf der beleuchteten Terrasse, zwischen den Häusern der beleuchtetete Mushroom. Es gibt Essen, Musik und viele Menschen, mit denen ich mich unterhalte, im Zentrum Sevillas, dort wo jetzt mein Geist ruht und all die lebendigen Eindrücke genießt und in sich aufnimmt. Die Sprachen kennen keine Grenzen, Begegnungen tauchen in sich ein; nicht nur in Worte, auch in viel Lachen; das Gelb der unendlichen Stadt – Nacht umarmt die Sequenzen dieser Augenblicke, die einzigartig sind.
In den folgenden Tagen mache ich viel mit Sol, einer Peruanerin, die auch in meinem Zimmer ist, mit dem Chilenen. Die beiden Akrobatinnen aus Barcelona, die mit ihrer Mutter reisen, gesellen sich schnell zu uns, wenn wir abends die Terrasse besetzen.
Alles Menschen, deren Sprache das Reisen selbst ist.
Mit Sol laufe ich zum Plaza de España, gehe ich Paella essen, sitze ich beim Alcazaba in der Sonne und rede stundenlang mit ihr, lasse mich treiben, zur Puente de Triana, von hier nach da, begleitet von der Magie des Augenblicks, die uns in dieser Stadt zusammen geführt hat und von Flamenco.
In die Tres Mil Viviendas/ Barriada Murillo fahre ich auch, fort von Tourismus und inmitten der Realität der Gitanos, die hier leben und die dem Flamenco seine eigentliche Identität verliehen haben. Etwas erinnert es mich an die Vororte in Santiago, obwohl es doch noch ganz anders ist, doch die Armut ist dieselbe. Hier spürt und atmet sich jene Authentizität, die sich nicht in den bunten und altertümlichen Gassen der Innenstadt findet, mit jedem Schritt und Blick ins Herz.
Obwohl hier nur der Müll und etwas Wäsche bunt sind, findet sich ein Regenbogen aus hundert Farben in jeder Melodie, die hier gesungen wird und sich sofort unter die Haut sehnt.
Sevilla umarmt mich, lebt mich, singt für mich, und jeden Morgen und Abend beugt sich sein Gesicht, das aus dieser Vielfältigkeit besteht, und dessen Seele mit seinen Stimmungen das Herz des Flamenco in jedem Sonnenuntergang spiegelt, in meine Dankbarkeit, hier zu sein.
Unendlich und zeitlos, anders als in Granada, ein bisschen wie am Atlantik, und manchmal wie in Cadiz mit Ana, Melek und Yousra, und dann wieder wie anfangs in Malaga, als ich am ersten Abend dort zu Weihnachten den ersten Sonnenuntergang gesehen habe, verewigt sich die Magie des Augenblicks in mir, als ich mit Blick auf die Triana Brücke zum wiederholten Male wahrnehme, wie sich die Sonne von der Stadt verabschiedet – und jedes Mal liegt etwas Anderes in ihrem Abschied. Das ist der Moment, der jedoch immer beim Atemzug zaghaft Demut offenbart.