Veröffentlicht: 07.04.2023
Heute traue ich mich, probiere das Frühstück in 9. Stock. Ich nehme am Fenster Platz, von hier aus habe ich einen Ausblick auf die unter mir liegen die Fahrschule und den Hafen. Ich kann weit in die Ferne schauen, auf Kōbe. Es tut gut einfach mal in die Ferne gucken zu können, sein Blick schleifen lassen zu können. Das Frühstück wird ein ... "Interessantes". Am meisten Überwindung kostet mich das Ei, nach Kōbe Art blanchiert. Ein Ei in der Schale, irgendwo im Limbo zwischen roh und 7 Minuten. Ich kriege es trotzdem runter, das erste und letzte Mal in meinem Leben. 🤢
Ich mache mich auf den Weg in die Stadt, muss Wäsche waschen in der Coin Laundry. Auf dem Weg sehe ich die Bahn einfahren bin noch zwei Minuten entfernt. Kein Problem denke ich mir, die nächste Bahn kommt sowieso zehn Minuten später. Ich schaue auf den Fahrplan vor Ort. Falsch gedacht, die Bahn kommt nicht alle zehn Minuten. Sie kommt alle fünf. Wie schön dass doch für Deutschland wäre. Reiße mich selbst aus den Tagträumen.
Auf dem Weg zur Coin Laundry, wieder Wahlplakate. Ich traue meinen Augen kaum, ein Kandidat posiert im Dragonball Kostüm. Japan, please never change.
In der Coin Laundry hilft mir eine sehr nette, junge Frau mit der Bedienung. Während ich die 50 Minuten auf die Wäsche warte und am Blog schreibe, putzt sie die gesamte Zeit über. Wieder diese Hingabe, der Fokus, die Achtsamkeit. Nachdem die Waschmaschine fertig ist, rolle ich meine Klamotten zusammen. T-Shirt, Boxer, Socken, Gummiband herum, fertig Meine Sorte von Sushi-Rolle aus Textil, welche ich aus dem FF beherrsche. Mein Menü ist fertig für die nächste Stadt, ich bin es noch nicht.
Weiter geht's mit der Stadterkundung. Ich gehe zum Don Quijote, will stöbern. Bin dabei eine Powerbank mit integriertem Stromanschluss zu kaufen. Gerate in den Strudel der Etagen und Gänge. Nicht jeder Gang führt nach unten, nicht jeder Aufzug ins Erdgeschoss. Ich muss hier raus. Keine Experimente, ich nehme den gleichen Weg, über den ich gekommen bin.
Hungrig begebe ich mich in die Stadt. Freessbuden zu finden ist kein Thema, wo ich vernünftig bestellen kann schon. Ich suche mir ein Ramen Restaurant raus, verlaufe mich in der Mall und finde stattdessen ein einladendes Sushi-Restaurant.
Ich finde die Tee-Kultur hier nach wie vor beeindruckend. Bei uns zahlst du echt viel Geld für heißes Wasser mit Geschmack. Hier im Restaurant hast du an der Sushi Theke einen Wasserhahn mit Heißwasser und einen Spender mit kostenlosem Tee. Du wirst in diesem Teil des Landes mit Matcha-Tee quasi zugeschissen. Über das Tablet bestelle ich, bekomme es nach 30 Sekunden vor die Nase gehalten. Seit dem Leck-Vorfällen wird in den wenigsten Läden noch das Förderband benutzt. Während ich so esse, sehe ich Teller an der Wand, mit Preisen. Ich schaue genauer hin, erkenne meine beiden roten Teller wieder. Clever. Jeder Teller steht für einen Betrag. Zusammenrechnen und abkassieren. 🤯
Ich bin froh, dass ich nicht zum KFC bin.... Noch nicht. 😅 Ich bin gespannt. Vor allem zu Weihnachten ist KFC ein großes Ding bei den Japanern, alle gehen dahin. Oh boy, werde ich mich hier noch täuschen.
Ich mag den Laden. Einzig die Musik ist hektisch, sonst geht's entspannt zu. Die Mitarbeiterin wischt rechts und links von mir die Plätze und die Karten mit einer ruhigen Präzision.
Als ich glücklich und satt bin, klicke ich auf Bezahlen. Eine Mitarbeiterin kommt, zählt alle verschiedenfarbigen Teller durch und gib mir ein kleines elektronisches Gerät mit dem Preis drauf.
Ich gehe zur Kasse und gebe es der andere Mitarbeiterin. Als ich mit Karte zahle, werde zur PIN-Eingabe aufgefordert. Sie, obwohl sie wegen des Sichtschutz gar nichts sehen könnte, dreht sich trotzdem um genau 180 Grad und beugt sich und lässt mich den PIN eingegeben. Total knuffig, super freundlich und gut gelaunt kommt sie bei der Verabschiedung von ihrem Counter hervor, wir verneigen uns gegenseitig tief und gut gelaunt. Mit leckerem und ungewöhnlichem Futter und guter Laune geht's auf zum Schrein und danach in die Natur.
Auf dem Weg hinaus durch die Menschenmassen setze ich mir wieder meine Kopfhörer ein. Es läuft "Hang Massive - The Secret Kissing of the Sun and Moon". Genau der Kontrast, den ich jetzt brauche.
Als ich beim Schrein angelangt bin, spielt gerade passenderweise "Ben Zimmer - Forest Interlude", die Kirschblüten werden durch einen Windstoß durch das Tor gewählt. Ich stecke die Kopfhörer ruhig mit den gewohnten Handgriffen in die Schatulle. Wie üblich bleibe ich im ersten Tor stehen verbeuge mich, betrete die schöne Anlage. Es ist wieder die wahrscheinlich älteste Anlage Japans.
Ich gehe jetzt zum Haupteingang und gucke noch mal wegen den Lucky Charms, den Glücksbringern. Ich kaufe jeweils einen für meine Eltern, einmal in schwarz und einmal in orange/rot. Beide sollen Unglück abwenden. Ich nehme ein dritten Charm mit, für Gesundheit und Genesung.
Danach gehe ich wieder zum Hauptschrein um meine liebgewonnene Routine abzuspielen: Ich verbeuge mich, klatsche in die Hände und verschicke energetische Brieftauben, schließe es mit einer Verbeugung.
Ich gehe weiter durch die Anlage und schaue mir wieder die Emas an, die Holztafen. Die Sachen, die ich lesen kann, haben zugleich etwas berührendes und auch melancholisches. Die Melancholie wird auch noch dadurch verstärkt, dass um mich herum Blätter runterfallen. Keine Kirschblüten sondern ganze Blätter.
Langsam nimmt der Gedankenzug Fahrt auf. Denke über alte Zeiten nach, über gute und schlechte Tage. Über verpasste Chancen. Der Zug macht halt in "Was wäre gewesen wenn"-Tal. Es ist ein Expresszug, recht schnell ist er in "Hätte ich mal"-Hausen angekommen. Ich steige schnell aus, bevor er weiter nach "Was könnte in Zukunft geschehen"-Burg fährt. Zeit für mich, weiter zu gehen. Scheinbar genau zum richtigen Zeitpunkt, denn eine Touristengruppe taucht auf und bringt Unruhe in die sonst so beschauliche Energie rein. Natur täte jetzt ganz gut. Ich mache mich auf Richtung Wasserfall.
Ich komme aus der Bahn schaue nach oben und falle fast wieder rückwärts die Treppe runter. Die Größe des Gebäudes ist schon echt beeindruckend.
Ich suche 10 Minuten nach dem Weg für die Wasserfälle. Ich finde es trotz Navigation nicht. Stattdessen sehe ich eine Gondelbahn, ich beschließe dorthin zu gehen. Zum Glück funktioniert Google Maps auch in den Malls, hier werden auch Stockwerke angezeigt. Ich verlaufe mich trotzdem. Ich merke, wie es wieder anfängt zu viel zu werden.
Langsam verlässt mich die Motivation, Frustration zieht am Horizont auf. Ich probiere etwas aus. Google Maps bietet Augemented Realität Navigation. Mich packt wieder neue Motivation. Na geht doch.
Oben angekommen Stelle ich fest, dass ich genau zwei Minuten zu spät, die Cable Cars machen heute um 16⁴⁵ dicht. Fuuuuuuck! 😤 Seufz. 😮💨 Ich setze mich auf die Bank, überlege. Abends alleine hoch gehen? Nein, ich habe aus Disaster in Norwegen gelernt, möchte am Ende auch wieder gerne zurück nach Deutschland. Ich suche eine Alternative. Es fängt an zu regnen, habe keinen Schirm dabei. Gut, das schränkt zumindest meine Optionen ein. Hat ja auch was positives. Wie wäre es mit Shoppen?
In einem Elektronikladen angekommen stöbere ich in der Handyabteilung rum. Ich merke irgendwann aus den Augenwinkeln, dass ich verfolgt werde. Einer der zahlreichen Mitarbeiter spricht mich an, bietet mir Hilfe an. Sprachbariere. Er zückt sein Handy, Google Translate. Ich lese: "Search together". "Iie, arigato.", ich lehne dankend ab.
Kurze Zeit später ein Zweiter. Also wenn ein Dritter noch vorbei kommt, dann verlasse ich sofort den Laden. In Deutschland verstecken die Leute sich vor dir, hier musst du dich verstecken.
Ich gehe wieder durch die Mall. Die gleiche Mall wie mittags. Es riecht immer noch nach Klostein, die ganze Mall entlang. Und das, obwohl die Mall sehr gepflegt aussieht. Vielleicht stehen die ja drauf?... 🤷♂️ Ich gehe zum Coin Locker, wo ich meine Textil-Sushis deponiert hatte, muss wieder meinen neuen besten Freund konsultieren, Google Maps AR.
Während ich mich auf die Suche nach meinem Coin Locker begebe, komme mir Gruppen von Pinguinen entgegen. Die berühmten Junge Männer in Anzügen, Salary Man genannt, die sich für die Firma zu Tode schuften und nicht eher gehen als ihr Vorgesetzter. Ich kicher innerlich. "Sellerie-Männer". 🤭 Recht früh für Feierabend, es ist 18 Uhr. Ich schmeiße mich ins Rush-Hour-Wasser des Bahnhofs, schwimme mit dem Strom Richtung Hotel. Ein heißes Bad, gute Idee. Für Sauna bin ich dann doch zu müde.