Veröffentlicht: 17.08.2018
Der Morgen in „Bay View“ begann mit einer heißen Dusche - wer weiß, wann wir das nächste Mal die Chance dazu haben werden? ;) Zum Frühstück gesellte sich eine deutsche Backpackerin mit in die Küche. In zwei Wochen geht es für sie zurück nach Deutschland. Für uns (noch) unvorstellbar so kurz vor dem Abflug zu stehen. Es liegen noch so viele Regionen vor uns, die wir erkunden möchten - wir haben noch lange nicht genug von Neuseeland. Sie hingegen hatte mehr oder weniger mit ihrem Auslandsjahr abgeschlossen und freute sich auf Zuhause. Nach dem Abwasch verabschiedeten wir uns von ihr und setzten uns in Bewegung. Besonders weit fuhren wir zu Beginn nicht. Wir suchten einen nahgelegenen Aussichtspunkt auf, der vor 100 Jahren so noch gar nicht zugänglich gewesen wäre. Erst im Jahr 1931, beim heftigen „Hawke's Bay Erdbeben“, hob sich die Erde an dieser Stelle an. Wo früher eine große Lagune vorzufinden war, ist heute eine weitläufige Grünfläche zu sehen, die für Landwirtschaft und Viehzucht genutzt wird.
Jetzt hielt uns nichts mehr auf. Es sollte mal wieder in eine etwas abgelegenere Region gehen. Das Auto war vollgetankt, die Lebensmittelvorräte bis unter das Dach gestapelt und die Best-of ABBA CD angeschmissen. ;) Unser Tagesziel war der 160km entfernte „Lake Waikaremoana“ im „Te Urewera Nationalpark“.
Das Naturschutzgebiet hat eine bewegte Geschichte. Während sich viele Maoristämme im Jahr 1840 der englischen Krone unterwarfen und den „Treaty of Waitangi“ unterzeichneten, blieb ein Stamm stur! Noch heute lebt er in dem ungezähmten Waldgebiet - der Nationalpark wirkt unkontrolliert. Doch wer das ursprüngliche Neuseeland kennenlernen möchte - tiefe Wälder, dichtbewachsenen Busch und seine unglaubliche Vogelvielfalt - ist hier richtig. Es ist der größte Nationalpark der Nordinsel und bedeutet übersetzt „der verbrannte Penis“.
Bis wir allerdings die Ufer des großen Sees im Herzen des Nationalparks erreichten, dauerte es. Denn der Straßenbelag wechselte von Asphalt auf Schotter. Dazu kamen die vielen, engen Kurven, die einen geduldigen Fahrer bedurften. Mit dem Höhepunkt der kräftigen Regenschauer entdeckten wir Lake Waikaremoana zwischen den Nebelschwaden. Zuerst suchten wir einen Uferbereich auf, wo kostenloses Übernachten gestattet ist. Nachdem wir die enge Einfahrt zunächst verpassten, drehten wir auf der schmalen Straße um und fanden die Zufahrt. Vor Ort war die Ernüchterung groß. Der Platz stand aufgrund der starken Regenfälle unter Wasser. Das Risiko auf der Wiese steckenzubleiben war zu groß und der anhaltende Regen schien nie wieder enden zu wollen. Daher ging es zurück auf die Gravel Road und weiter nordwärts. Den nächsten Halt legten wir an einem kleinen Generalstore ein, der gleichzeitig die Rezeption vom einzigen Campingplatz weit und breit war. Aufgrund der schlechten Wettervorhersage für die kommende Nacht ließen wir unsere Vernunft walten und fanden hier Unterschlupf. Immerhin konnten wir uns so vor dem Regen flüchten und entspannt in der Gemeinschaftsküche unser Abendessen kochen. Dabei stieß eine weitere Camperin dazu. Und wie sollte es anders sein, wenn man sich irgendwo im Nirgendwo befindet, keinen Empfang oder Internet zur Verfügung hat? Man kommt ins Gespräch. Stefanie kam ebenfalls aus Deutschland. Wir unterhielten uns eine gefühlte Ewigkeit über die persönlichen Highlights, die Schwierigkeiten einer langen Reise und was uns an Deutschland missfällt.
Die erste Nacht am Lake Waikaremoana war kalt. Sie war sogar so kalt, dass wir unsere Schiebetüren am nächsten Morgen nicht mehr aufbekamen! (Zum ersten Mal während unserer gesamten Reise!) Bevor wir die Türen aus der Verankerung hebelten, kletterte ich über den Beifahrersitz nach draußen und öffnete den Kofferraumdeckel, sodass auch Tobi hinausgelangte. Doch da es uns auch von außen nicht gelang, die Schiebetüren zu öffnen, unternahmen wir spontan einen kleinen Morgenspaziergang. Noch vor dem Frühstück führte uns dieser an das nicht weitentfernte Seeufer. Ein dünner Wolkenschleier hing über dem großen Gewässer und eine kleine Schwanenfamilie inklusive Küken schwamm an uns vorbei. Eine traumhafte Atmosphäre, welche schon bald unser Herz erwärmte. Zurück am Auto schienen die ersten Sonnenstrahlen auf die vereiste Karosserie. Da sich die rechte Schiebetür inzwischen öffnen ließ, konnten wir unsere Müslischalen herausholen und frühstücken. In der Zwischenzeit taute auch die linke Seite des Autos auf und Sam konnte startklar gemacht werden - Bett machen, Geschirr und Lebensmittel ver- und Sitze freiräumen.
Wir widmeten uns dem Tag einer anspruchsvolleren Wanderung - dem ersten Teil des „Great Walks“ im Te Urewera National Park. Dieser Abschnitt des Tracks führt einen binnen sechs Stunden zur „Panekire Hut“. Unser Ziel war allerdings nicht die Hütte, sondern bloß ein Aussichtspunkt auf halber Strecke. Die Spur verlief von Beginn an durch dichtes Waldgebiet, das steil den Berg hinaufführte. Außer uns war kaum ein anderer Wanderer unterwegs, wodurch die Stimmung im Wald verschlafen und mystisch wirkte. Abseits von Auto- oder Flugzeuglärm lauschten wir dem Gesang der vielen Vögel und genossen die Aktivität an der frischen Luft. Zwischenzeitlich bot sich die Möglichkeit, einen freien Blick auf den See zu erhaschen. Jedoch konnten wir unser Lauftempo nur schwer einschätzen und hatten keinerlei Anhaltspunkte, wie lang es wohl noch dauern würde. Eines war auf jeden Fall klar: Mit jedem weiteren Schritt kamen wir dem Ziel näher. Immer wieder legten wir kleinere Pause ein, um der unglaublichen Ruhe zu lauschen. Es war so friedlich, schön und beängstigend zugleich, niemand anderes zu hören außer seinen eigenen Herzschlag, der wegen des Anstiegs laut pochte.
Knapp eine Stunde später verließen wir den dichten Busch und standen auf einem Steinplateau - dem Ziel unserer Wanderung. Über uns strahlte die Sonne und unter uns sahen wir den großen, blauen See. Wir ließen uns auf einem Felsen nieder und genossen den sagenhaften Ausblick. Lediglich die starken Windböen minderten den schönen Moment. Wir ruhten uns aus, schossen Erinnerungsbilder aus jeglichen Positionen und Perspektiven und machten uns schon bald auf den Rückweg, der ohne Komplikationen erfolgte. Bevor wir jedoch zurück am Parkplatz ankamen, nahmen wir eine Abzweigung zu einem weiteren See. „Lake Kiriopukae“ bedarf nicht vieler Worte: Ein ruhiges Gewässer, das den Umweg nicht zwangsläufig wert war.
Zurück am Auto legten wir eine kleine Mittagspause ein. Es gab jeweils einen knackigen Apfel und einen Müsliriegel. Genau das Richtige nach einer Wanderung! ;) Und da diese uns nur mäßig forderte (wir kamen unerwartet schnell am Aussichtspunkt an), brachen wir noch zu einer weiteren auf. Unter der Kurzwanderung (zwei Stunden inkl. Rückweg) mit dem Namen „Onepoto Caves Walk“ konnten wir uns zunächst nur wenig vorstellen. Allerdings mutierte der matschige Trampelpfad schnell zu einem richtigen Highlight. Die Spur führte vorbei an verschiedensten Kalksteinformationen und tiefen Erdlöchern. Immer wieder blieben wir stehen, um in die finsteren Höhlen hineinzuschauen - mal waren sie tiefer, mal feuchter. Das Waldgebiet versprühte eine einzigartige Atmosphäre, so geheimnisvoll und voller Spannung zugleich. - Was wartet wohl hinter der nächsten Kurve? Wie groß wird wohl die nächste Höhle sein? - Der Höhepunkt des Tracks bildete ein relativ niedriger, natürlicher Tunnel, welchen wir passieren mussten. Zunächst waren wir uns nicht sicher, ob dies die richtige Strecke war. Doch das war sie. Auf der anderen Seite führte der Weg weiter an noch größeren und abenteuerlichen Hindernissen vorbei. - Uns bereiten solche ungewöhnlichen und abwechslungsreichen Pfade einen großen Spaß! :)
Nach dem laufintensiven Tag flüchteten wir uns vor der nächsten Regenfront auf den altbewährten Campingplatz und ließen es den restlichen Abend ruhig angehen.