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"The trouble is, you think you have time" (Buddha)

Veröffentlicht: 12.04.2019

Ihr Lieben, lange habe ich nichts von mir hören lassen. Aber jetzt, kurz vor meiner Rückkehr nach Deutschland, möchte ich doch noch über meine letzten Wochen in den Sundarbans berichten. Auch, wenn mein Abschied von dort nun schon vier lange und ereignisreiche Wochen zurückliegt.

Mitte Februar bin ich mal wieder für ein paar Tage nach Kolkata gefahren. Diesmal vor allem aus dem Grund, dass ich noch einmal Besuch aus Deutschland erwartet habe. Louise, die Cousine meiner Nichte Paula, hatte Kolkata als Startpunkt ihrer Indienreise gewählt und wollte auch gerne ein bisschen Zeit mit mir im Eco Village verbringen. Da ich weiß, dass Kolkata ganz schön anstrengend und als Start in Indien auch überfordernd sein kann, hatte ich beschlossen, Louise vom Flughafen abzuholen und dann gemeinsam mit ihr ein paar Tage bei der netten Gastfamilie in Shyambazar zu verbringen. Eine der tollen Stadtführungen von Soham stand natürlich auch wieder auf dem Programm.

Morgens um 5:30 Uhr in der ersten Straßenbahn



Sonnenaufgang über dem Maidan

Frühsport - ich wünschte ich hätte so viel Disziplin

leere Straßen - ein ungewöhnliches Bild in Kolkata






Dieser Mann hat Louises alten Turnschuhe repariert - fast wie neu

Nach drei Tagen Großsstadt hat es dann aber auch erstmal gereicht und Lousie und ich machten uns gemeinsam auf den Weg in die Sundarbans.

Nur eine Herde Ziegen trennt uns noch vom Büro der Backpackers, wo schon das Auto auf uns wartet.

Und nach drei Stunden Autofahrt freue ich mich, wieder auf dem Boot zu sein und auch bald im Eco Village, wo ich gleich die kleine Hundefamilie begrüße...



...und anderen Nachwuchs.





Auf Louise und mich wartet schon einiges an Arbeit, wie diese Bank, die vor unserem Einsatz weder Sitzfläche noch Rückenlehne hat.



Es blieb aber auch genügend Zeit für andere Dinge. Bei einem Dorfspaziergang landeten wir mitten in einer Puja (Gebetsritual) für die Göttin Bonbibi. Die Göttin des Waldes soll die Menschen vor den, unter Umständen, tödlichen Gefahren der Mangrovenwälder beschützen. 







Am liebsten hätte uns die große Familie zum Abendessen dabehalten aber vor Einbruch der Dunkelheit haben wir uns dann doch lieber auf den Rückweg gemacht.

An einem Freitagnachmittag haben wir auf dem Heimweg vom Hahnenkamp, den ich Louise natürlich zeigen wollte, Gita getroffen, die auch im Eco Village arbeitet. Sie kam gerade vom Wasserholen - von der Regierung betriebene Anschlüsse für Frischwasser gibt es alle 500 Meter auf der Insel. Man sieht es mir auf de Bild vielleicht nicht an aber der Krug ist verdammt schwer. Gita hat sich über die Hilfe gefreut und uns noch zu einem Tee in ihr Haus eingeladen.

Nach fast zwei Wochen hieß es dann wieder Abschied nehmen von Louise. Ich hatte eine sehr schöne Zeit mit ihr und bin gespannt, was sie in ihren nächsten Monaten in Indien so erlebt. Ihre Eindrücke schildert sie in ihrem Blog: www.currycowsandchaos.wordpress.com 

Mit dem Abschied von Louise brachen für mich auch die letzten Wochen im Eco Village an. Ich hatte vor einer Weile beschlossen, dass ich vor meiner Rückkehr nach Deutschland gerne noch einen anderen Teil Indiens bereisen möchte und somit Anfang April die Sundarbans verlassen würde.

In den letzten Wochen gab es dann, neben dem Alltag, der für mich immer alltäglicher wurde, noch einige Highlights. Anfang März war Shivratri - die Nacht des Shiva. Tagsüber bereitete ich mit Karkuli, der Schwester von meiner Freundin Tumpa, Blumenketten vor, mit denen am Abend ein kleiner Shiva Tempel im Eco Village geschmückt wurde. Mit Einbruch der Dunkelheit kamen immer mehr Frauen aus dem Dorf, um im Eco Village die Nacht des Shiva zu begehen.


Alle kamen in ihren schönsten Saris und so beschloss auch ich spontan, die Gelegenheit zu nutzen und nochmal einen Sari, diesmal meinen eigenen, zu tragen. Die Mädels haben sich gefreut, dass sie mir beim Ankleiden helfen durften - ich habe immer noch keine Ahnung, wie das mit dem Sari richtig funktioniert und wie Frau es schafft, sich diese neun Meter Stoff allein um den Körper zu wickeln.



Die Frauen und Mädchen aus dem Dorf saßen bis zum Sonnenaufgang im Tempel und zelebrierten verschiedene Rituale. Ich war allerdings zu müde, um die ganze Nacht durchzuhalten.

Einige Tage später war die Hochzeit einer der Töchter von Josna, auch eine Mitarbeiterin im Eco Village. Ich war eingeladen und habe damit endlich an einer indischen Hochzeit teilgenommen. Diese war sehr traditionell und typisch für ein westbengalisches Dorf. Es gab auch, zum Glück, keine 1000 Gäste, wie es bei Hochzeiten von sehr wohlhabenden Indern oft der Fall ist. Für mich war diese Feier doch sehr ungewöhnlich, war ich doch bisher nur zu Hochzeiten in Deutschland eingeladen. Ich war nicht bei der geamten Zeremonie dabei, die sich über mehrere Stunden hinzieht. Dabei sitzen Braut und Bräutigam, in diesem Fall höchstens 18 Jahre alt, mit gesenkten Köpfen da und es werden von einem Priester verschiedene Rituale abgehalten, die von der Familie, Nachbarn und anderen Menschen aus dem Dorf beobachtet und begleitet werden. Alle stehen um das Brautpaar herum. Mir fiel vor allem der traurige Blick der jungen Braut auf. Als ich nachfrage erklärt mir Rajesh, dass von der Braut zum Einen erwartet wird, traurig zu sein, sie es zum Anderen aber auch ist. Denn am Tag nach der Hochzeit wird sie ihre Familie verlassen und zur Familie ihres Ehemannes ziehen. Genau genommen handelt es sich auch nicht nur um einen Umzug, sondern die Braut wird Teil der Familie ihres Mannes. Diese lebt auf der Nachbarinsel, nur einige Minuten Fahrt mit der Fähre entfernt. Aber selbst wenn sie nur ein paar Häuser weiter leben würde, wäre nichts mehr wie zuvor. Die Frau benötigt ab jetzt die Erlaubnis ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern, wenn sie ihre Eltern und ihre Schwestern besuchen möchte. Ich wünsche ihr, dass ihre neue Familie ihr wohlgesonnen ist und sie dort gut behandelt wird.

Bei der Hochzeit selber habe ich keine Fotos gemacht. Auf diesem Bild sieht man, wie am nächsten Tag bei einer Art Prozession Braut und Bräutigam in einer Bahre in ihr neues Heim getragen werden. Die Braut sitzt in der Bahre und weint. 


Ende März wurde in ganz Indien Holi, das hinduistische Frühlingsfest und Fest der Farben, gefeiert. Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, wie Eric und ich im letzten Jahr zur Holi-Zeit in Jaipur in Rajasthan waren. In diesem Jahr hatte ich keine Lust auf Stadt und wollte mir lieber anschauen, was man in den Sundarbans an diesem Tag so macht. Am Morgen wurde ich schon von sehr lauter Musik geweckt. Es war fast so als stünde die Lautsprecherbox direkt neben meinem Bett. Ich bin dann wie fast jeden Morgen erstmal zu Rajesh gegangen, um zu fragen was für diesen Tag an Arbeit ansteht. Auf dem Weg zu seiner Hütte kamen mir schon einige Menschen mit farbigen Gesichtern entgegen und da wusste ich, dass ich an diesem Tag wohl nicht viel arbeiten würde. Der Platz vor Rajehs Haus war voll mit Kinder, alle bewaffnet mit verschiedenen Farbpulvern und alle schön bunt. 

Und so sah ich dann nach ungefähr fünf Minuten aus:

Bis zum Nachmittag ging es dann so weiter. Viele Menschen, große und kleine, aus dem ganzen Dorf Sukumari kamen, tanzten, warfen mit Farbe, ließen sich mit Farbe bewerfen, verteilten Süßigkeiten, bekammen Essen.







Am frühen Nachmittag, als eine neue Gruppe von Touristen aus Kolkata ankam, war die Musik plötzlich ausgeschaltet und die Party war zu Ende. Alle hatten sich ausgetobt und der normale Alltag ging weiter. 
Für mich gab es an diesem Nachmittag noch eine Überraschung. Schon oft hatte ich Bilder einer sehr besonderen Krabben-Art, der "Horse Shoe Crab" gesehen und immer, wenn ich mal zur nachmittäglichen Bootstour mitgefahren bin, hatte ich versucht, eines dieser merkwürdigen Tiere zu entdecken. Ich hatte aber nie Glück. Am Holi Nachmittag klingelt mein Telefon, am anderen Ende der Leitung ist Manjit und ruft: "Feli, if you want to see a horse shoe crab, come to the river quickly". Also laufe ich los und tatsächlich halte ich kurze Zeit später diese Krabbe in der Hand, die für mich so aussieht als lebte sie schon seit ewigen Zeiten im Schlamm der Sundarbans.


Am Morgen nach Holi fuhr der Chef nach Kolkata und wir genießen in Ruhe ein Eis - zum Arbeiten ist es inzwischen auch echt zu warm.


Ein bisschen arbeite ich später doch noch - Unkraut jäten - das war meine letzte Amtshandlung in den letzten Tagen im Eco Village. 

Dabei konnte ich die Bienen beobachten, die sich über den blühenden Koriander gefreut haben. Ob das die Bienen sind, die aus dem Himalaya kommen und den Honig produzieren, für den immer wieder Honigsammler im Mangrovendschungel ihr Leben riskieren?

In den letzten Tagen hatte ich das Gefühl, alles noch ein letztes Mal machen zu wollen. Eine letzte Bootsfahrt zum Sonnenuntergang, eine letzte Nightsafari, ein letztes Mal der allabendlichen bengalischen Volksmusik lauschen und mich mit den Musikern unterhalten.


In den letzten Wochen hatte ich immer mal wieder das Gefühl, dass ich eine Pause vom Leben im Eco Village brauche. Je länger ich dort war, desto mehr habe ich richtig dazu gehört. Das war auf der einen Seite sehr schön aber ich habe auch mehr und mehr gespürt, wie es ist als Arbeiterin hier zu leben. An manchen Tagen hat mich der eher rauhe Umgangston, an den ich mich eigentlich schon längst gewöhnt und den ich mir auch selber angewöhnt hatte, plötzlich gestört. Manchmal wollte ich nicht akzeptieren, dass die Frauen erst die Männer bedienen und dann selber essen, was übrigbleibt. Manchmal hat es mich genervt, dass ich ständig um Hilfe gebeten wurde und dafür meine eigene Arbeit oder meine Freizeit unterbrechen musste. Ja, besonders das Bedürfnis nach etwas Zeit für mich allein, hat sich in den letzten Wochen häufiger gemeldet als zuvor und alles was dem entgegenstand hat mein Ego als Kampfaufforderung verstanden und sich auf unterschiedliche Art und Weise gewehrt. Jetzt im Nachhinein frage ich mich, ob dies vielleicht teilweise auch ein Trick meines Verstandes war, um mir den Abschied etwas leichter zu machen. Vielleicht eine Mischung aus Allem. Der Abschied war aber auch so nicht leicht. Nicht für mich und nicht für Alle aus dem Dorf.

Bevor ich mich tatsächlich auf den Weg nach Kolkata machte, war noch genug Zeit mit Manjit und einem freundlichen Besucher aus Australien eine ausgiebige Fahrradtour über die Insel zu machen. Das hatte ich bisher nie getan und es war die beste Art, mich von den Sundarbans zu verabschieden und auch meine negativen Gedanken, die mich in den vergangenen Wochen hin und wieder geplagt hatten, nicht im Vordergrund stehen zu lassen.


Zurück im Dorf gab es dann noch ein letztes Mal Frühstück. Ich durfte mich auch nicht mehr selbst bedienen. Alle Frauen hatten noch gute Ratschläge und vor allem den Wunsch: "Komm bald zurück und dann heiratest du hier einen schönen Mann und bekommst ein Kind!" Naja, malsehen... Aber, dass ich früher oder später hierher zurück komme, darüber bin ich mir ganz sicher. Habe ich doch schon bei meinem ersten Besuch, der nur wenie Tage lang war, eine besondere Verbindung zu diesem Ort gespürt und die ist weiterhin da. Nach dem Frühstück gehen alle wieder anihre Arbeit. Ich habe noch Zeit bis mein Boot ablegt und lasse mir noch eine größere Menge Honig in Plastikflaschen füllen und verabschiede mich von Rajesh, der sagt:"Du kommst ja sowieso bald wieder." Abschiede sind in Indien, so jedenfalls meine Erfahrung, eher kurz und schmerzlos. Und mit den meisten Menschen ist es auch hier so. Nur von Tumpa gibt es eine längere Umarmung. Und dann finde ich noch Shonda, amar bondhu, meine Freundin, die sofort anfängt zu weinen, als ich sie zum Abschied fest drücke und damit auch nicht mehr aufhört, bis ich 15 Minuten später im Boot sitze. Bei mir kommen die Tränen erst, als ich die Insel und das Eco Village vom Boot aus immer kleiner werden sehe. Und dann kommt Oshit, ein ganz freundlicher Bootsmann, legt mir seinen Arm über die Schulter und sagt:"Sister, all is good. Come back soon!"

Der Abschied von den Sundarbans bedeutete auch noch nicht ganz meinen Abschied aus Indien. Das war in dem Moment mein einziger Trost. Mir blieben noch vier Wochen Zeit. Und was ich da erlebt habe, werde ich demnächst hier berichten.

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