Feldtagebuch-aus-Kakuma
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Zurück auf die Nordhalbkugel - Kakuma

Veröffentlicht: 18.10.2022

Am Mittwoch habe ich mich auf den Weg nach Kakuma gemacht. Es liegt im Norden Kenias, im Turkana County und ist ungefähr 800km von Nairobi entfernt.  Hier werde ich insh'allah die nächsten Monate bleiben.
Da mir alle davon abgeraten haben, die 15-Stunden-Strecke mit mehreren Bussen zu machen, da es dort immer wieder Überfälle gibt, habe ich mich für den Flieger entschieden. Mit einer ziemlich kleinen Maschine (ja anfangs waren meine Hände schon ein bisschen schwitzig, weil der Flugbegleiter irgendwie verängstigt und angespannt ausssah) hatte ich erst einen Rundflug über Nairobi, danach kamen unfassbar schöne und nicht scheinbar nicht aufhörende Teeplantagen. Zwischenlandung in Eldoret. Von dort an wurde es Richtung Norden immer trockener, die Grüntöne wurden weniger.
Mein kleiner, aber feiner Flieger
Der Flughafen in Nairobi
Irgendwo zwischen Nairobi und Eldoret
Zwischen Eldoret und Lodwar - nur noch dünne grüne Linien
Lodwar - mein Landepunkt
sehr kleiner Flughafen in Lodwar - im Hintergrund eine Rio-ähnliche Christo-Statue

Als ich in Lodwar angekommen bin, hat mich die Hitze sehr überwältigt. Eigentlich hatte ich schon in Nairobi einen Fahrer von Lodwar nach Kakuma organisiert. Nach viel Verhandeln sollte ich für die Fahrt eigentlich um die 17 Euro zahlen, am Ende wurde der Preis dann doch verdoppelt. Die Benzinpreise sind hier in den letzten Monaten auch beachtlich gestiegen. Der Fahrer sprach nur Kiswahili und so war Maggy von Nairobi aus immer wieder der Telefonjoker, um zwischen uns zu vermitteln.
Nach 2 Stunden Fahrt für 120km auf einer sehr sehr wenig befahrenen, aber top ausgebauten Straße vorbei an einigen kleinen Dörfern mit vielen Ziegen, vereinzelten Hirten und Kindern mit Wasserkanistern an der Straße entlang hab ich in der Abenddämmerung Kakuma erreicht. Obwohl sich die Landschaft in der Zeit kaum verändert hat, konnte ich nicht aufhören, staunend aus dem Fenster zu schauen.  Ich habe 3 Kamele gesehen und 10 unfassbar schöne Sonnenuntergänge, weil sich die Sonne immer wieder hinter den Bergen/Hügeln verabschiedet hat und dann wieder aufgetaucht ist.

Ziegen überqueren die Fahrbahn

immer wieder vereinzelte kleine Dörfer
Der gefühlt 15. Sonnenuntergang
Der Himmel ist so wunderschön! (Liebe an die PFNEHMS)
Kakuma - endlich angekommen

In Kakuma wohne ich im Tarach Guest House. Mein Kontakt Bonface, den ich auch wieder über mehrere Ecken gefunden habe, hat mir hier ein Zimmer und auch den Fahrer organisiert und mich in Empfang genommen.

Das Guesthouse ist mitten in Kakuma Town. Die Stadt liegt auf der einen Seite eines riesigen Flusses, der zurzeit komplett ausgetrocknet ist. Auf der anderen Seite des Flusses ist das Kakuma Refugee Camp und auch die meisten Büros und Unterkünfte der internationalen Organisationen.

Das ausgetrocknete Flussbett

Mein erster Abend war ehrlich gesagt ziemlich schwierig. Nachdem mir alles im Gästehaus gezeigt wurde und ich noch im einzigen Supermarkt war, der schon ganz gut ausgestattet ist, aber trotzdem nichts hatte, was ich auf die schnelle als Abendessen identifizieren konnte, gab es Chips und Bananen. Ich wollte gerade in mein Zimmer gehen, aber irgendwie lag ein sehr komischer Geruch in der Luft. So 50 Meter vor meinem Fenster war ein riesiges Feuer. Da ich keine Glasscheibe, sondern nur ein Metalgitter habe, zog der Rauch zu mir und auch die Schreie der Menschen durchbrachen die Dunkelheit und Hitze der nächsten 2 Stunden. Der Strom und somit Licht und Ventilator war weg. Wenn es schlecht läuft, dauert es Tage oder Wochen, bis der Strom wiederkommt. Die Vorstellung, die nächsten Stunden oder Tage von der Welt abgeschnitten zu sein, war bedrückend. Alleine im Dunkeln in einer neuen Stadt war das ein ziemlich schwieriges Ankommen. Durch den Brand in einem Geschäft hatten einige Menschen versucht, diesen und banchbarte Läden auszuplündern. Die  Polizei hat Tränengas eingesetzt und so brannten meine Augen nicht nur vom Rauch, sondern auch noch davon.

Der Brand eines Geschäftes von meinem Fenster aus - zum Glück wurde niemand verletzt

Fatuma, die wunderbare Gastgeberin des Hauses, hat erst beim Brand geholfen und dann nach mir geschaut. Das Gästehaus hat zum Glück auch Solarpanels und so konnte ich spät abends dann doch noch Licht anmachen und in einem etwas kühleren Zimmer einschlafen. Ihre freundliche Art hat so sehr geholfen, dass ich mich dann doch sicher genug gefühlt habe und einschlafen konnte. Nach fast einer Woche in ihrem Gästehaus bin ich sehr froh, dass sie mir und vielen anderen ein Zuhausegefühl gibt. In den letzten Tagen gab es immer wieder mal keinen Strom, ziemlich oft kein fließendes Wasser. Aber dann bekomme ich immer Eimer vor die Tür gestellt, tunke meine Haare rein und versuche dann am Ende 10 Liter über meinen Kopf zu stemmen und den Eimer irgendwie über mich und nicht  über das Klopapier zu schütten. Vor allem nach Nächten ohne Strom, in denen ich alle 20 Minuten einen neuen trockenen Platz in meinem Bett suche, tut das kalte Wasser sehr gut.

Serviervorschlag, wie man das Moskitnetz halb richtig spannt
Wasserreserve im Kanister
An diesem Tisch sitze ich grad und schreibe euch, während sowohl mein extra gekühltes Wasser und auch das Bier wieder warm geworden sind

Im Gästehaus sind einige Geschäftsleute, Filmemacher oder ehemalige Geflüchtete, die gerade den Brautpreis einer Frau aus dem Camp aushandeln, die einer von ihnen heiraten möchte. Für eine kirchliche Hochzeit kann man wohl schonmal 3 Kamele und 100 Ziegen bezahlen, die traditionelle Hochzeit ist wohl noch teurer für den Bräutigam. Falls er schon Kinder mit der Frau hat, muss er auch noch jedes Kind freikaufen, in einem Fall habe ich von 30 Ziegen pro Kind gehört. Eine Ziege bekommt man so ab 2000 Kenyan Shilling, das sind ungefähr 17 Euro. Die Angaben habe ich von einem Informanten in seinem sehr konkreten Fall und können bestimmt sehr variieren.

À propros Ziege. Ich glaube, ich habe in den letzten 2 Wochen fast jeden Tag Ziegenfleisch gegessen und ich trauere meinem Vegetarierinnen- bis Veganerinnendasein gar nicht so sehr hinterher. Ist schon echt lecker.

Die letzten Tage habe ich anfangs sehr viel im Gästehaus verbracht. Bonface und Emekwi sind zwei sehr nette und spannende Menschen, die mich jeden Tag besucht haben, mich nach draußen begleitet haben und mir ein bisschen Kakuma Town zeigen. Emekwi ist schon ein älterer Mann, ist unter anderem auch Anthropologe und hat schon an so vielen verschiedenen Orten in so vielen verschiedenen Jobs gearbeitet. Oft haben sich unsere Gespräche über Stunden hinweg gezogen und ich wollte am liebsten alles aufschreiben, aber kam bei all seinem Wisssen und der Lebenserfahrung garnicht hinterher.


Der Sicherheitsaspekt ist für mich immer noch nicht zu 100 Prozent klar. Alle Menschen haben mir geraten, nachts auf keinen Fall alleine draußen zu sein. Selbst in Begleitung ist das nicht zu empfehlen. Ob ich tagsüber alleine unterwegs sein kann, darüber herrschte auch Uneinigkeit. Inzwischen mache ich kurze Strecken alleine. Fatuma bekommt immer SMS von mir, wann ich wo hingehe. Wenn ich wieder nach Hause komme, melde ich mich bei ihr. Ein bisschen so wie Mama zu Hause, damit sie ruhig schlafen kann, wenn ich nachts unterwegs bin. Nur dass es hier tagsüber ist. Kakuma ist an sich wohl eine sehr friedliche Stadt. Ich ziehe aber sehr viel Aufmerksamkeit auf mich und werde jedes Mal, wenn ich das Gästehaus verlasse, angesprochen, berührt, von Straßenkindern nach Geld gefragt, minutenlang verfolgt. Ich versuche irgendwie, nicht distanziert und kühl zu wirken und trotzdem meine Grenzen klar zu kommunizieren. Alleine ist das noch sehr überfordernd und oft werde ich von meinen Begleiter*innen regelrecht eskortiert. Das fühlt sich sehr unnatürlich an. Mit der Zeit werde ich hoffentlich lernen, besser damit umzugehen.

mit Bonface und seinem Motorrad unterwegs Richtung Attraktiin Brücke (im Hintergrunf)

Inzwischen bin ich ziemlich viel unterwegs. Am Samstag war ich mit Menschen von verschiedenen NGOs auf einem Berg wandern. Das ist das Sportprogramm von UNHCR und anderen Organisationen. Nach einem Warm-Up um 6 Uhr morgens kraxxelten wir einen Berg rauf, hatten einen wunderbaren Blick über Kakuma, und rutschten dann wieder runter. Es war mehr ein Kletterausflug. Unsere Haare und Braids verfingen sich alle 5 Minuten in den dornigen Sträuchern. Nach einem Warm-Down in der schon sehr heißen Vormittagshitze war die erste Tour geschafft. Nächsten Samstag gehts weiter. Auf dem Rückweg, zu 15. in einen Jeep gequetscht, ploppte meine Swahili-App auf und hat mir das Wort für schwitzen beigebracht. Sehr witzig :D Ein Mitarbeiter von UNHCR wollte, dass ich in dem Setting mein erstes Fokusgruppeninterview für meine Forschung abhalte. Vielleicht beim nächsten Mal! Das war auf jeden Fall eine super Gelegenheit, um mal wieder zu networken und auch, um aus dem Gästehaus rauszukommen.

Himmel um 05:57 Uhr an der Tanke - wer wandern will muss früh los, ab 11 ist es echt sehr heiß
kurz nach 6
Blick über Kakuma. Rechts vom Fluss ist Kakuma Town, links Kakuma Refugee Camp (das sieht man nicht so gut)
Morgens um 7 auf dem "Gipfel"

Am Sonntag, dem Tag des Herrn (ein herzliches Grüß Gott an den Grüß-Gott-Verein Freiburg :D https://www.instagram.com/gruessgottverein.freiburg/) wollte ich mir mal die Kirche hier anschauen. Eigentlich sollte die Messe auf Englisch sein. War dann aber irgendwie doch Kiswahili. Nach 1 1/2 Stunden war ich froh, dem Ende nahe gekommen zu sein, aber dann ging es erst richtig los. Nach mindestens 8 Kollekten (jede*r muss nach vorne gehen, damit auch gesehen wird, wer denn spendet und wer nicht) wurde auch noch ein lebendiges Huhn zum Altar getragen und versteigert. Es sollten mindestens 85 Euro zusammenkommen. Am Ende haben nicht die Bietenden das Huhn bekommen, sondern der Priester hat das Huhn, 1000 Euro (eine der Kollekten) für ihn und Spendengaben, die mit reichlich Weihwasser und Segen belohnt wurden mit nach Hause genommen. Da war von Klopapier bis zu nem Kasten Cola alles dabei. Nach knapp 4 Stunden hatte ich es dann endlich geschafft und wir sind zum letzten "Amina" gekommen.

Ich habe am Montag ziemlich unverhofft einen Praktikumsplatz bei einer NGO bekommen, die sowohl im Geflüchtetencamp als auch für die Hostcommunity, die Turkana Projekte macht. Mehr über LOKADO und meine Forschung mal extra, sonst überhitzt mein Computer zu sehr.

Heute war ich mit einem Filmteam unterwegs, die in einem Settlement für Geflüchtete Geschichten drehen wollen, wie Elektrizität ihr Leben verändert. Dazu haben wir uns erst den größten Solarparks Kenias angeschaut, der 2500 Haushalte im Settlement versorgen kann, damit die Menschen dort Strom für Licht, Handyakku laden und evtl. kleine Fernseher haben. Er wurde unter anderem von der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) finanziert und umgesetzt. Dort gab es auch ein Treffen mit sehr wichtigen Menschen, weil bald der High Commissioner des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) zu Besuch kommt.
Unser Mittagessen haben wir im Geflüchtetencamp bekommen, in einem äthiopischen Restaurant. Es war das erste Mal, dass ich im Camp war. Wegen noch fehlender Genehmigungen und keiner Transportmöglichkeit und Begleiter*innen ist das ein bisschen schwierig, hin- und reinzukommen. Dazu auch wann anders mehr.


Kurze Arbeitspause - lieber Fotoshooting
Die Brücke ist für eine sehr beliebte Kulisse für Fotoshootings - muss nicht unbedingt sein. Also die Brücke schon, aber das Shooting nicht

Abschließend noch ein paar Bilder, vor allem von Essen!

Ugali (Maisbrei) - der Klassiker
mehr Ugali
Chapati - das ist eine Art Pfannkuchen, den man kleinreißen kann und mit Fleisch, Kohl oder sonstigem Gemüse füllt
Äthiopisches Essen im Geflüchtetencamp
Hauptstraße Kakumas

Ziege - noch lebendig, direkt vor der Haustür
Auch direkt vor der Tür ein Müllfeuer
Mein Lieblingsverkehrsschild

Mir geht's sehr gut, ich hoffe euch auch :)
Franky (hat sich heute irgendwie durchgesetzt)

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