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Rendezvous mit Loriot

Veröffentlicht: 31.05.2024

Pfingsten steht vor der Tür und lädt zusammen mit Château Mistral zu einer Spritztour ein.

Der Plan, in den Süden Richtung Hessen zu reisen, zerschlägt sich mit der Dauerregenvorhersage für die Regionen unterhalb des Äppelwoiäquators. Dann eben in den Norden.

Pause an der Elbe

Als erstes gehts auf zu Mikroabenteuern in den Drömling. Der kleine Naturpark ist seit 2023 Unesco-Biosphärenreservat und liegt fast vor der Haustür. Die Niedermoorlandschaft ist durchzogen von einem über 1700 Kilometer langen, künstlich angelegten Wassersystem und wird gern „Land der tausend Gräben“ genannt. Das darin gelegene Giebelmoor gilt als westlichste Ausdehnung der Taiga.

Land der tausend Gräben

Der Landstrich, kurz hinter Wolfsburg ist dünn besiedelt. Schwäne stehen auf der Suche nach dem schönsten Wassergraben auf der Straße und regulieren den spärlichen Durchgangsverkehr. Schiefe Fachwerkkirchtürme grüßen in den Dörfchen die Gäste und der Radlertourismus ist noch entspannt sanft.

Schiefe Türme im Drömling

Hier bleiben wir für die erste Rast. Doch bevor ich damit beginnen kann, unser Abendessen zuzubereiten, muss erst einmal das Sambal Oelek aus allen Kühlschrankritzen gekratzt werden.

...im Wohnwagen-Kühlschrank!

Ich bin der festen Überzeugung, das Glas aus leidvoller Caravan-Erfahrung vor der Fahrt ordnungsgemäß und unerschütterlich verschlossen zu haben. Und ich bin auch der festen Überzeugung, dass allein die völlig zerfahrenen, mit Kratern durchlöcherten und unglaublich kaputten Straßen der weltbesten Autostadt dafür verantwortlich sind, dass der Wohnwagen durchgerüttelt und geschüttelt wird und sich das gute, rote und scharfe Zeug aus indonesischen Pfefferschoten kunstvoll überall im Mistral-Kühlschrank verteilen konnte.

Ab sofort überprüfe ich alle Gläser auf korrekten Verschluß und gebe sie erst danach persönlich zur Weiterreise frei.

Rückführung der scharfen der Sache

Wir sind auf dieser Pfingstfahrt auf der Suche nach Ruhe, Entspannung und Einkehr und deshalb fahren wir nicht ans Meer, sondern bleiben weiter auf den Spuren touristisch möglichst wenig erschlossener Gegenden. Den kleinen Drömling lassen wir bald hinter uns und kommen in die Altmark, die gern als „Wiege Preußens“ bezeichnet wird, was man den Städtchen häufig auch noch ansieht.

Altmärkische Romantik

Doch als erstes machen wir wassertretend eine Kneippkur, um Kreislauf und Durchblutung nach der langen Autofahrt anzuregen.
Hier treffen wir Herrn Schwalbe, der seine beiden Enkelinnen auf dem gelben Ost-Moped über die Sandpiste hertransportiert hat. Die zwei Mädchen tragen als Schutz gegen Fahrtwind, Staubmassen und wild fliegende Insekten Schwimmbrillen auf den Augen, ein schräges Bild, das ziemlich an das Outfit viktorianischer Steampunker erinnert. Er erzählt uns, dass der kleine See in den siebziger Jahren künstlich angelegt wurde und geplant war, eine romantische Bungalowanlage für erholungssuchende Werktätige aufzubauen. Das hat bisher nicht geklappt. Zum Glück, sagt er. Nun können wir hier in aller Ruhe kneippen und die beiden Nackedeis in dem Becken nach Muscheln tauchen.

Kaltes Kneipp-Wasser

Wir fahren weiter an die Elbe, wo uns Kuckuck, Fasan, Nachtigall, Pirol und Mücken mit ihrem unermüdlichen Gesang wunderbar unterhalten.

...am rechten Elbufer

Besonders der Pirol hat es mir mit seiner exotisch anmutenden und immer ein wenig nach Dschungel und Regenwald klingenden Melodie angetan, die untrennbar mit einer Geschichte verbunden ist, die sich vor ein paar Jährchen zugetragen hat und die ich hier mal erzählen will.

Kung Pao Chicken: zarte Streifen von der Hühnerkeule in aromatischer Sojasauce mariniert, zart gegart mit einer köstlichen Würze aus besten Bördezwiebeln, frischem Bioingwer, ganzen Knoblauchzehen und sechs bis sieben knallroten, feurig-scharfen Chillischoten, zwei Händen knackigen, gesalzenen Erdnüssen und einer Garnitur von Frühlingszwiebelgrün und wilden handgepflückten Schnittlauchblüten vom rechten Elbufer

Wir befinden uns im Jahr 2011. Und wir befinden uns zu den Pfingstfeiertagen im Süden Frankreichs am schönen Lac du Salagou in der Nähe von Montpellier.

Und wir haben sogar ein paar alte Fotos für euch gefunden und zur Illustration der Geschichte eingefügt!

Lac du Salagou

Der ansässige Bauer spritzt mit seiner unfaßbar höllenlauten Turbine wie in jedem Jahr am Pfingstmontag morgens um 4:00 Uhr seinen Wein und bringt die zahlreichen Touristen um ihren Urlaubsschlaf.
Wir werden jedoch von einem lauten Knacken am hinteren Ende unseres Autos geweckt. Es handelt sich um den ersten Kangoo in Azurhimmelblau, der aber auch schon zehn Jahre auf dem Buckel hat.

Azurhimmelblauer Kangoo

Um die Ursache des Geräuschs kümmern wir uns am Morgen. Das Auto hat auf der rechten Seite erhebliche Schlagseite, hängt einseitig runter, steht ziemlich schief. Hmmmm? 

Zappa meint, der Stoßdämpfer könnte kaputt sein. Wir werden eine Werkstatt brauchen, aber heute ist auch in Frankreich Feiertag. Und so rumpeln wir an diesem wunderbar sonnigen Tag durch die erstaunliche Landschaft rund um den Stausee mit den tiefroten Gesteinsschichten sorglos über Holperpisten und staubige Weinbergwege. Selbst vor der extrem steilen Auffahrt hoch zu einer mittelalterlichen Burg schrecken wir nicht zurück.

Lac du Salagou

Am Dienstagmorgen finden wir schnell die Renault-Werkstatt in Clermont-l’Hérault und nach erstaunlich kurzer Wartezeit begleitet mich Monsieur Garage zum Kangoo. Sein erschrockener Gesichtsausdruck spricht aussagekräftige Bände, die Fingerspitzen schüttelt er, als hätte er sich furchtbar und sehr schmerzhaft verbrannt und das laute „Ooohlala - dangereux, dangereux!“ lässt uns Schlimmstes befürchten.

Lac du Salagou

Er läuft zurück in sein Büro und nach ein paar raschen Recherchen teilt er uns mit, dass vermutlich eine der beiden hinteren Drehstabachsen gebrochen ist, die Reparatur hier viel zu teuer für den alten Wagen werden würde und wir eigentlich gar nicht mehr damit fahren dürften.

Aber er hat auch eine positive Nachricht: sein guter Bekannter würde das Auto reparieren und dafür müssen wir nach Pé-ze-nas zur Garage Papini.

Aber attention: nicht von der Gendarmerie anhalten lassen, das gibt Ärger!

Lac du Salagou

Keine Ahnung, welchen Deal er mir Monsieur Papini hat, aber Pézenas liegt etwa 20 Kilometer entfernt. Über die Autobahn geht das recht flott und wir entgehen glücklicherweise auch dem Auge des Gesetzes.

Dort angekommen ist – natürlich – erst einmal Midi.
Also nehmen wir an der Durchgangsstraße Platz, lassen die großen, stinkenden Müllbomber auf dem Weg zur Deponie an uns vorbeidonnern und machen Mittagspause. Pünktlich um 15:00 Uhr ist Monsieur Papini wieder da, wirft einen Blick auf den Patienten und macht uns einen Kostenvoranschlag: TAUSEND Euro!

Wassermühle an der blauen Lagune

Wow, das will erst mal kurz nach dem Essen verdaut werden. Zappa sagt nein.

Das Auto ist zehn Jahre alt, der TÜV läuft ab, quer über die Frontscheibe zieht sich seit ein paar Kilometern ein dicker Steinschlagriss. Das ist absolut unmöglich und viel zu viel Geld.

Wir verdauen, beraten, diskutieren und überdenken unsere Möglichkeiten.

Schließlich willigt Zappa zähneknirschend ein und ich verabrede mit Monsieur, dass er sich heute Nachmittag um den Kangoo kümmert, während wir zum amerikanischen Schnellrestaurant wandern, um uns bei Coke und MacFlürrie an dessen kostenlosem Wlan zu bedienen. Denn mobile Daten sind zu jener Zeit noch nicht an jeder Ecke zu haben.

Als wir dann gegen Feierabend zur Werkstatt zurückkommen, steht der Kangoo noch so da, wie wir ihn abgestellt haben. Un-be-rührt.

Ich hole vom Chef unseren Schlüssel und verabrede, dass wir „demeng mateng“, also morgen früh um 10:00 Uhr wieder kommen und er sich dann des Problems annimmt.

Die gute Michelin-Straßenkarte zeigt uns ein Plätzchen am Fluß Hérault, der unweit des Städtchens fließt. Und dort überrascht uns unerwartet ein kleines Paradies!

Wassermühle im L'Hérault

Die Ruine einer alten Wassermühle hat am Ufer eine himmlisch-traumhafte Lagune entstehen lassen. Türkisblaues, glasklares, erfrischendes Wasser, umgeben von hohen Platanen und saftiggrünen riesigen Feigenbäumen, die alten Mauern bewachsen und unwegsam überwuchert von armdicken Lianen. Und dazu flötet der Pirol unentwegt sein melodisches, unvergleichliches und an ferne Urwälder denken lassendes Lied. Was für ein wunderbarer Ort, bestens geeignet, die schlechte Laune zu vergessen und den Abend zu verbringen.

In dieser Nacht werden wir unverhofft Zeugen einer spektakulären Mondfinsternis. Der volle Erdtrabant färbt sich auf seinem Himmelsweg über den Horizont unbeschreiblich glutrot bis er beinahe komplett im schwarzen Firmament verschwindet. Unser Platz an der verwunschenen Wassermühle bietet kostenlose, unglaubliche Aussicht auf ein Schauspiel, von dem wir nicht einmal ahnten, dass es stattfinden soll.

Vor der Monsfinsternis

Am Mittwoch sind wir pünktlich zur verabredeten Zeit in der Werkstatt, lassen den Schlüssel bei Monsieur, wandern zum Internetzugang und besichtigen hinterher Pézenas. Der berühmte große Klassiker Molière hat sich hier vor langer Zeit aufgehalten, und die Stadt ist seither ausgesprochen beseelt von seinem Geiste.

Monsieur Papini meldet sich nicht wie besprochen im Verlauf des Tages. Als wir kurz vor Feierabend bei ihm eintreffen, verspricht er, dass „demeng mateng“ das Ersatzteil aus Paris eintreffen wird und der Kangoo fahrbereit gemacht werden kann.

Also nehmen wir den Schlüssel wieder an uns und fahren mit dem schiefen Heck zurück zur blauen Lagune.

Was soll ich sagen? Natürlich geht auch am Donnerstag das große französische Drama ganz im klassischen Sinne weiter. Wir werden auf Freitag-Mateng vertröstet, doch langsam drängt die Zeit. Am Montag ist der Urlaub vorbei und wir müssen beide wieder zur Arbeit. Was, wenn Paris auch morgen nicht liefert?

Erneut in der blauen Lagune ist Zappa beim lieblichen Gesang des Pirols am Ufer des Gewässers rastlos unterwegs und zieht nach nicht langer Zeit eine Europalette aus dem Fluß. Dann greift er zu seinem scharfen japanischen Küchenmesser.

In der blauen Lagune

Nein, er will nicht auf Monsieur Papini los. Er bearbeitet das Holz akribisch und ohne sich von meiner unentwegten, beschränkten Fragerei ablenken zu lassen. Sein Plan: einen Klotz aus dem Balken der Palette hacken. Ich erkläre den Mann für verrückt, doch es geht schneller als ich dachte und sobald er das Stück in den Händen hält, pumpt er mittels Wagenheber das Auto an der rechten hinteren Achse hoch. Das erbeutete Holzstück klemmt er zwischen Karosse und Achse und siehe da: der Wagen steht wieder gerade!

Zappa setzt sich ins Auto und dreht über den Ackerweg eine vorsichtige Proberunde. Das Palettenteil hält. Noch ein paar Kilometer durchs nächste Dorf, alles bleibt an seinem Platz. Und noch eine Tour mit mir auf dem Beifahrersitz. Ich hopple gehörig auf dem Schemel herum, weil die Achsfederung ja kaputt ist. Aber ich will nicht jammern.

Feigenbüsche in der blauen Lagune

Nun wird nicht mehr lange herumgehampelt, noch an diesem Abend gehts nach Hause. Mit 80kmh rumpeln wir die knapp 1400 km durch die Landschaft und nach zweieinhalb Tagen, pünktlich zum Urlaubsende kommen wir wieder am heimischen Herd mit der Hoffnung an, dass Monsieur Papini noch Verwendung für das möglicherweise mittlerweile gelieferte Ersatzteil hat.
Zappa gibt den Kangoo an einen netten Tschechen weiter, der aus zwei Fahrzeugen eins macht und erwirbt das rote Auto mit dem wirklich miesen Karma. 

Aber davon vielleicht ein anderes Mal. 

Während des Schreibens dieser Zeilen stellen wir durch Recherchen bei GoogleEarth fest, dass unsere romantische blaue Lagune durch die Sanierung des gebrochenen Staudamms mit riesigen Baggern, viel Beton und einer vorbildlichen Fischtreppe verschwunden ist.

Die Blüten sind sehr aromatisch und scharf, aber vorsicht: auch das Marmaladenbrötchen am nächsten Morgen könnte nach Schnittlauch schmecken!

Jetzt flötet der Pirol mich in die Gegenwart zurück und die diesjährige Pfingstreise bringt uns in die Prignitz im Nordwesten des Landes Brandenburg. Wir erfahren, dass der Landkreis mit 35 Einwohnern pro Quadratkilometern der am dünnsten besiedelte in ganz Deutschland ist.

Romantische Städtchen, Störchendörfer, wilder Schnittlauch am Elbufer und jede Menge Mücken heißen uns hier willkommen – Gottlob, nicht so ausgeprägt wie seinerzeit am Strand in der Camargue in einer anderen Geschichte: 

https://vakantio.de/chateaugeschichten/ein-tag-am-meer-4

Vorsicht Kellner!

Schwarze Gewitterwolken kündigen ergiebige Regengüsse mit Blitz und Donner und damit das Ende des verlängerten Wochenendes an.
Also machen wir uns auf den Heimweg, mal wieder mit der Erkenntnis, dass das Gute manchmal so nah liegt

Wolters Pilsner!


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