Veröffentlicht: 29.08.2019
Liebe Familie, liebe Freunde und Bekannte,
Juchhe, die Medizin ist angekommen, und es machte so richtig plumps, als der Stein der Erleichterung von meinem Herzen fiel. Beruhigt konnten wir uns von Anna (unsere Gastgeberin mit ihrem Mann Sergey in den letzten zwei Tagen) mit einem Eis an der Promenade verabschieden, und wir machten uns auf den Weg nach Wolgograd.
Man glaubt es kaum, wir hatten sogar mal Rückenwind, der uns half, nicht den ständig leichten Anstieg zu spüren, und es machte richtig Spaß und Freude zu radeln. Kaum waren wir aus dem Delta draußen, durchfuhren wir unsere altbekannte Landschaft: die Steppe, mit ganz wenig Ortschaften. Ich habe mir angewöhnt ´´Stadt Land Fluss´´ für mich zu spielen. Doch muss ich feststellen, wie wenig ich weiß. In Pausen überlegten wir beide nach Tiernamen, Städten usw. So verging die Zeit gut, und der relativ ruhige Verkehr erlaubte es uns auch, mal nebeneinander zu fahren.
In der ersten Nacht durften wir unser Zelt an der Wolga im offiziellen Garten der Administration aufschlagen, kauften noch schnell ein, kochten gemütlich und schliefen recht gut und sicher.
Am nächsten Morgen ging es um 8 Uhr weiter, für uns eine große Leistung, denn gerade morgens sind wir immer sehr langsam. Die Landschaft wurde immer öder, der Verkehr weniger und Ortschaften gab es so gut wie gar keine mehr. Doch der Wind war noch auf unserer Seite und so schafften wir über 80 km. Die Wolga hatten wir aus den Augen verloren, und es gab weit und breit keinen Baum zum Übernachten, doch an einem Fernfahrerhalt fanden wir ein kleines Hotel, aßen gut und günstig und übernachteten prima. Ein echter Fernfahrerstopp, keine Frauen, aber eine freundliche, gute Stimmung. Irgendwie hat man immer das Gefühl, dass sich alle kennen.
Wieder früh unterwegs ging es weiter, zum Glück war die Wolga in Sichtweite. Sie ist ein sehr, sehr breiter Fluss, mit vielen Seitenarmen und kleinen grünen Inseln. Direkt am Fluss werden Melonen, Kürbis und Tomaten gepflanzt, doch dahinter beginnt die endlose Steppe.
Am Nachmittag fanden wir einen herrlichen Platz zum Zelten am Fluss, ganz romantisch zwischen Ziegen, Schafen und Kühen, unter uralten verknöcherten großen Bäumen. Da blieben wir, bauten unser Zelt auf und besorgten im nächsten Dorf unsere Vorräte: Wasser zum Waschen, Essen und Getränke. Da es mal wieder an die 40 Grad hatte, gingen wir in der Wolga baden und duschten uns mit dem klaren Wasser (Stephan hat eine Dusche gebastelt) ab. Abends kochten wir, machten ein kleines Lagerfeuer und ließen uns von den Schnaken erstmal beißen. Doch hatten wir unser Moskito Coil dabei, das uns Abhilfe schaffte.
Der Platz gefiel uns so gut, dass wir insgesamt drei Nächte dortblieben. Wir machten richtig Urlaub im Urlaub, alles ging in Zeitlupe, denn die Hitze lähmte uns ganz schön. So hatte ich Zeit Yoga zu machen, Frisörin bei Stephan zu spielen, täglich mit dem Schäfer zu plaudern und zu lesen. Es war ein trauriger Abschied, denn so einen Platz finden wir nicht mehr auf dieser Tour.
Ganz früh machten wir uns auf den Weg, denn das Glück war uns nicht mehr hold,und der Wind kam wie altbekannt von vorne. Trotzdem schafften wir über 80 km und fielen todmüde am Abend in einem Zimmerverhau (was sich Hotel schimpft) ins Bett.
Nach 30 km auf dem Rad fing Wolgograd an, und wir beschlossen, nicht durch das schreckliche Industriegebiet zu radeln, sondern zu trampen. Das war gut so, denn die Stadt ist insgesamt 90 km lang und wir hätten uns sehr schlecht zurechtgefunden. Der Fahrer des Kleinlasters, der bestimmt Kohle transportierte, so dreckig wie er war, war ein sympathischer Mann und fuhr uns bis auf ein paar Meter zu unserer Unterkunft.
Wolgograd ist gigantisch groß, und es sind lange Wege, um von A nach B zu kommen. Eigentlich wollten wir etwas von der Stadt sehen, doch waren wir eineinhalb Tage beschäftigt mit unserer Weiterreise.
Es kommt doch oft anders als man denkt. Unsere Planung war, nach Saratow zu radeln und von dort mit dem Zug weiter nach Moskau zu gelangen. Doch das ging nicht, denn die Auskunft, die wir bekamen, war, dass Fernzüge keine Räder mitnehmen. Das mit den Rädern beschäftigte uns und zwei Angestellte der russischen Bahn auch zwei Tage lang. Nun haben wir es geschafft, mit einer Sondergenehmigung für unsere Räder (müssen wir auseinandernehmen) im Gepäckwagen, nach Moskau mit dem Zug zu fahren.
Wir schafften es noch, am ersten Tag die Kriegsgedenkstätte ``Mutter Heimat ruft´´ zu besichtigen. Auf einem Hügel, umgeben von einem kreativ angelegten Park, steht die größte europäische Statue. Das Schwert allein misst 33 Meter und wiegt 14 Tonnen.
Aus Wikipedia: Der russische Name der Statue lautet: „Mutter-Heimat ruft!“ oder auch: „Das Mutterland ruft!“. Sie wurde 1967 nach einem Entwurf des Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch errichtet und erinnert an die Schlacht von Stalingrad. Realisiert wurde der Bau durch Nikolai Nikitin. Die Statue hat eine Gesamthöhe von 85 Metern, gemessen von der Fußsohle bis zur Schwertspitze. Die Figur misst 52 Meter. Das Fundament für die Statue bildet ein 16 Meter hoher Betonsockel; von diesem sind nur ca. 2 Meter sichtbar, während sich der Großteil unterhalb der Erdoberfläche befindet. Die Statue besteht aus Betonblöcken. Das Gesamtgewicht ohne den Sockel beträgt 7900 Tonnen, davon ca. 5500 Tonnen Beton und 2400 Tonnen Metall.
Wir konnten sie zwar nicht in voller Montur besichtigen, da der gesamte Körper in einem Gerüst zum Renovieren steckte. Doch beeindruckte sie uns auch so. Die gesamte Anlage ist sehr geschichtsträchtig und verarbeitet so den Zweiten Weltkrieg.
In diesem Park trafen wir den Kölner Chor: ´Turkish Chamber Orchestra and Choir´. Sie sind hier auf einer Konzertreihe und luden uns gleich für den nächsten Tag zu einem Konzert ein. Dieses Angebot nahmen wir wahr und erlebten eine buntgemischte klassische, sehr gelungene Gesangsaufführung im Haus der Architekten in Wolgograd. Wir waren ganz begeistert.
Abends im Hotel konnten wir dank Wifi die Lindenstraße sehen, und wie fast immer schafften wir es nicht, rechtzeitig ins Bett zu kommen.
Auf der Straße, gerade hier in Wolgograd, sehen wir viele alte Menschen, vor allem Frauen, die etwas Gemüse, Obst und Blumen aus ihren eigenen Erzeugnissen verkaufen. Damit bessern sie sich ein wenig ihre karge Rente auf.
Morgen machen wir einen Zwei-Tage-Ausflug an den Don, etwa 70 km von Wolgograd entfernt, und dann geht es am 8.9. nach Moskau. Doch sicher ist das alles nicht, denn manchmal klappt es einfach nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben.
So heiß es in den letzten Monaten war, so kalt ist es mit einem Schlag geworden. Noch scheint die Sonne, aber der Wind (der immer aus der verkehrten Richtung kommt) ist bitter kalt. Mir graust es schon, bei diesen Temperaturen zu zelten.
Zum Schluss ein dickes Dankeschön an alle, die uns Rückmeldung gegeben haben, das tut uns einfach gut, von euch zu hören. Langsam kommt auch Freude auf, wenn wir an zu Hause denken, um euch alle wiederzusehen. Wir sind wohlauf, haben immer noch gute Laune, fühlen uns glücklich und sind gesund.
Ganz liebe Grüße an euch alle. Wir hoffen, dass auch ihr gesund und munter seid.
Die Radler Corrina & Stephan