Veröffentlicht: 29.09.2019
Lange habe ich mich schon darauf gefreut, ein paar Tage Auszeit von der Familie zu nehmen und mich in das Heer der Pilger einzureihen und ein paar Tage ganz für mich zu sein. Soweit der Plan. Nachdem Schreck beim Paddeln wollte ich mich aber nicht sogleich von meiner Familie trennen und damit Joni den nächsten Schock versetzen. Obwohl bereits lange angekündigt und ausreichend besprochen, wollte er unbedingt mit auf den Jacobsweg, was natürlich so gar nicht meiner Idee von Ruhe und Kontemplation entsprach. Also wurde der imaginäre Pilgerstab erstmal wieder eingepackt und wir fuhren zurück ans Meer an den Strand der Kathedralen, wo Gerhard uns bereits online für diesen Besuch angemeldet hat, da pro Tag nur etwa 4000 Besucher Zugang erhalten. Bei Ebbe und leider etwas trüber Sicht haben wir die architektonischen Meisterwerke der Natur bestaunt, wunderschön hat das Meer die Höhlen und Durchgänge geformt. Klein fühlt man sich bei dieser sichtbar gewordenen Kraft.
Von der Küste führte der Weg wieder ins Landesinnere, wo ich nun endlich ins pilgern kommen wollte. Von O Cebreiro sollte meine erste Etappe nach Tríacastela gehen, dann weiter nach Sarria und Portomarín, wo ich die Familie wiedertreffen wollte. So richtig ernst haben sie das aber wohl nicht genommen und wollten lieber in Schrittgeschwindigkeit als Versorgungsfahrzeug hinter mir herfahren, a la Tour de France. Wie auch immer es werden sollte, ich bin jedenfalls erstmal in O Cebreiro losgelaufen. Dort habe ich mir noch einen Poncho gekauft, weil für den Nachmittag Gewitter angesagt war. Anfänglich bin ich bei bestem Wetter und im lockeren Schritt immer bergauf gelaufen, habe allerdings weit und breit keinen einzigen Pilger gesehen, aber der Weg war mit der nicht zu übersehenden Jacobsmuschel gekennzeichnet, ich war also richtig. Nachdem ich bereits 3km gelaufen war, plötzlich ein Hupen hinter mir, mein Versorgungsfahrzeug hatte mich entdeckt und begrüsste mich überschwänglich, als hätte wir uns wochenlang nicht gesehen. Nachdem ich gemerkt hatte, das ich noch gar nicht in O Cebreiro war, sondern das der Ort noch 1km entfernt war, habe ich die Gelegenheit genutzt und mich bis dort hin mitnehmen lassen. Dort angekommen, begann quasi erst meine eigentliche Etappe von über 21km. Hier waren auch ein paar mehr Pilger unterwegs, viele auch mit dem Fahrrad unterwegs. Während ich den Vorbeiziehenden nur ein landestypisches Ola entgegen warf, wurde ich meistens mit einem Bon Camino begrüßt. Mein Tempo und mein Gruß, mein schmales Gepäck, mein fehlender Pilgerstab und Pilgerhut, mein unzureichendes Schuhwerk und vorallem keine Jacobsmuschel ließen mich für jeden aufmerksamen Beobachter als Pilgerneuling erkennen. Aber das war mir egal, ich war gern hier, in der atemberaubenden Landschaft, bei echter körperlicher Anstrengung und ganz mit mir. Ich fühlte mich richtig gut. Nach 12km machte ich eine Pause, wo die anderen auch rasteten und aß mein mitgebrachtes Brot. Die nächsten 12km gingen dann auch schon deutlich weniger flüssig. Da ich ungeübt war, wie jeder Durchschnittseuropäer mit Auto, habe ich das natürlich auch erwartet. Nach der kurzen Brotzeit kam mein neu erworbener Poncho in Bordaux-rot zum Einsatz denn es tröpfelte leicht, aber unter dieser XXL-Plastiktüte, die auch meinen Rucksack verbarg, fühlte ich mich gut geschützt. Leider aber nur bis zu dem Zeitpunkt als sich das anfängliche Tröpfeln in ein heftiges Gewitter verwandelte und ich gefühlt oben auf dem Bergkamm entlang schlenderte. Das ein Gewitter in den Bergen eine ganz andere Intensität hat, wusste ich schon, aber das es so heftig werden würde, habe ich nicht gedacht. Mittlerweile ab Oberschenkel abwärts pitschnass, überlegte ich während des Gehens, ob ich mich unter einen der kaum vorhandenen Bäume stellen solle oder mich flach auf den Boden und damit in die reißend zusammenlaufenden Wasserströme auf dem Weg schmeißen sollte, beides erschien mir irgendwie nicht optimal, bis mich plötzlich eine Gruppe Pilger forschen Schrittes überholte, die so überzeugend ihres Weges gingen, als wäre ganz klar, das Pilger unter besonderem Schutz von ganz oben stehen. Ratlos wie ich war, schloss ich mich der Truppe an und überlebte. Nach Regen kommt bekanntlich Sonne und wie ich an diesem Tag doch noch Triacastela erreichte und nur unter Schmerzen in den Schlaf fand, darüber berichte ich im 2. Teil.