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Trakai und das Erbe der Karamäer

Veröffentlicht: 30.06.2023

"Reisen bildet!", dieser altbackene und etwas verstaubte Sinnspruch wirkt hinsichtlich seines inflationären Gebrauchs zuweilen recht schal. Letztlich geht mit dem saisonalen Ortswechsel nur selten eine Verpflichtung zur Erweiterung des eigenen Horizonts einher, als vielmehr ein Angebot, eine Gelegenheit ein gut gemeinter Anlass.


Der Soloreisende ist mit viel freier Zeit gesegnet. Da ich bei meiner Tour auf einen Reiseführer verzichtete, musste das Internet einspringen. Google maps half mir während der langen Fahrten mit Bus und Bahn bei der Orientierung und Wikipedia lieferte die Erläuterungen. Außerdem stieß ich auf den überaus informativen Blog


 https://alles-ueber-litauen.de


Bereits am ersten Morgen las ich mich bei Kaffee und Croissant dort fest. Besonders faszinierte mich dabei die Geschichte der Karamäer. Ein asiatisches Turkvolk, welches die hebräische Tora als Grundlage ihres Glaubens verwendete. Der Ausrottung durch die Nazis entgingen die jüdischen Tartaren in Litauen nur, weil die Rassenfanatiker unsicher über deren rassistische Einordnung waren. 

Hochburg der Karamäer, welche seit etwa 1400 in der Region siedelten, als Litauen bis ans Schwarze Meer reichte, war die Stadt Trakai, eine halbe Zugstunde von Vilnius entfernt. 
Für 2,80 Euro löste ich ein Ticket und machte mich am Donnerstag dorthin auf den Weg.


Trakai liegt malerisch eingebettet in eine Seenlandschaft; die Sonne schien, der Wind wehte angenehm kühl: Sommerfrische! Hauptsehenwürdigkeit in Trakai war eine mittelalterliche Wasserburg, welche in den 20er Jahren wiederaufgebaut wurde. Naherholung boten außerdem verschiedene Bootsverleiher, Eisverkäufer, Souvenirstände und Restaurants mit Seeblick. Es gab frisch gezapften Kwas, deftig gefülltes Teiggebäck und auch das lokale Bier Švyturys. Dazu bestellte ich geröstetes Brot mit einem vorzüglichen Knoblaudip.


Die Karamäer, welche in all ihren Beschreibungen aufgrund ihrer Sprache und Herkunft, wie Fabelwesen erschienen, bekam ich nicht zu Gesicht. Trotzdem zeugte ihre verbürgte Existenz erneut von der kulturellen Vielfalt Mittel- und Osteuropas, welche im 20. Jahrhundert ein jähes Ende fand. Wo einst Russen, Juden, Katschuben, Polen, Kosaken, Deutsche, Pruzen und dutzende weitere Gruppen neben- und miteinander lebten, gibt es heute oft nur noch Monokulturen.


Ein sentimentales Fazit, mit dem ich so nicht abschließen möchte. Wieder zurück in Vilnius rettete ich mich vor einem plötzlich hereinbrechenden Regenschauer unter die Sonnenschirme eines litauischen Restaurants. Dort verdaute ich die Erlebnisse des Tages mit Kartoffelwürsten und Speck.


Schließlich geht Reisen auch durch den Magen, oder: Exotik muss nicht immer Ananas beinhalten. 
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