Veröffentlicht: 06.08.2022
Land und Leute
„Can I help you?“ fragt der gepflegt aussehende Endvierziger, der vor einem Hotel in der Nähe der Union Station Denver sitzt. Ja, Hilfe könnten wir schon gebrauchen. Es ist kurz nach Mitternacht und wir suchen den Bus Nr. 15, der nach Aussage unserer Handy-APP unser Hotel anfährt. Aber bisher haben uns alle Menschen, die wir gefragt haben, in alle möglichen aber immer falschen Richtungen geschickt. Also haben wir wenig Hoffnung, dass uns dieser leicht angesäuselt wirkende Herr wirklich helfen kann. Geht man nach der Preisklasse seines Hotels, fährt der nie mit dem ÖPNV. Und tatsächlich schließt er sofort aus, dass noch irgendein Bus fährt und regt an, einen Uber zu rufen. Wir sind aber noch nicht so weit und versuchen uns zu sträuben, weil wir ja annehmen, dass wir den auch bezahlen müssen. Aber Josh, wie er sich vorstellt, drückt schon auf seinem Handy herum und verkündet, der Wagen sei schon in drei Minuten da und das ging natürlich auf Ihn. So fahren wir tatsächlich auf seine Kosten ins Hotel und können so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht fassen.
Zwei Wochen später kommen auf unserem Campingplatz des Tages an und behaupten erst einmal, wir hätten reserviert. Die Frau am Counter guckt auf ihren Computer und sagt nein, sie hätte da nichts vorliegen. Das ist gewiss ein Fehler vom Amt und wir fragen, ob denn was frei sei. Ja, sie hätte einen Platz für uns. Wir müssten den aber für mindestens zwei Tage nehmen und der Spaß würde 140 Dollar kosten. Wir sind erst einmal empört, dann beginnen wir zu ahnen, dass es vielleicht unsere Schuld ist. Und ja, ich habe es versaut. Der Platz, den ich telefonisch gebucht habe liegt in Visalia, vier Stunden entfernt. Die Frau am Computer ruft dort an und erreicht niemanden. Also haben wir zwei Nächte hier an der Backe und bleiben auch noch auf den Kosten für den Platz in Visalia sitzen. Die Storno-Bestimmungen von KOA sind da eindeutig. Zwölf Stunden später hat sich alles in Luft aufgelöst. Die Frau vom Counter hat weiter telefoniert und verbindet mich mit der Besitzerin des anderen Campingplatzes. Die erinnert sich wegen meines Vornamens Jürgen an mich, weil ihr Norwegischer Opa auch Jorgen hieß. Ich bin ab sofort „Crazy Jurgen“ , der sich um 200 Meilen verhaut und sie storniert tatsächlich meine Buchung kostenfrei. Unsere tatsächliche Gastgeberin sagt, wir bräuchten auch nur eine Nacht bleiben. Wir bleiben trotzdem zwei Nächte, werden morgens von freilaufenden Pfauen geweckt und bekommen tatsächlich auch noch den fälligen Rabatt von 10% gutgeschrieben.
Bob treffen wir auf einem städtischen Campingplatz an der Pazifikküste in der Nähe von Pismo Beach. Eigentlich heißt er Roberto und stammt aus Mexiko, wohnt aber schon sein ganzes Leben in Portland/Oregon. Er ist grade auf seiner großen Westküsten-Tour. Wir fragen ihn, wo man hier Brot kaufen kann. Oh ja, da wäre eine Bäckerei, die doch tatsächlich Sauerteigbrot macht. Er sei eh auf dem Weg dorthin und fragt, ob er etwas mitbringen soll? Wir sagen ja bitte. Brötchen, wenn es welche gibt. Als wir von der Toilette wiederkommen steht eine ganz Kollektion aus Brötchen, Brot und Kuchen und eine Schale Erdbeeren bereit. Bei einem späteren eigenen Besuch der Bäckerei stellen wir fest, dass die Sachen den Gegenwert von 15 Dollar darstellen. Als wir ihn wieder treffen, will er kein Geld von uns und wünscht uns guten Appetit.
Dann sind da noch Niklas und Renee, Sohn und Mutter, die wir auf einem städtischen Campingplatz in Scottsbluff/Nebraska treffen. Ich will einen Umschlag mit 10 Dollar für einen „dry Place“ also ohne Strom und Wasser in den entsprechenden Briefkasten bei der Registration werfen. Das ist schon ein Kampfpreis, per se der billigste Platz auf unserer Tour. Er wird noch billiger. Weil wir nur noch einen 20er haben fragen wir die beiden, ob sie wechseln könnten. Sie bringen nur 18 Dollar zusammen, woraufhin Renee einen Zehndollarschein nimmt, diesen in den Umschlag steckt, ihn zu leckt und fragt, ob sie den Umschlag auch noch in die Box werfen soll. Natürlich nicht. Irgendwas müssen wir ja auch selber machen. Wir können uns nur noch bedanken und unsere Rechnung mit ihrem Geld bezahlen. Eine Bedingung haben sie allerdings. Sie wollen unseren Wagen genauer ansehen. Der hat ihnen so gut gefallen, wie wir auf den Platz gefahren sind, weil er so schön bunt ist. Wir laden sie ein und haben Gott sei Dank noch drei Flaschen „Fat Tire“ in der Kühlung.
Jawohl, wir haben durchweg gute Erfahrungen mit den Menschen der USA gemacht, sobald wir persönlichen Kontakt mit Ihnen hatten. Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Interesse an uns haben wir überall erfahren. Sogar unsere Begegnung mit der Staatsmacht war eher positiv. Ebenfalls in Scottsbluff hörten wir plötzlich unvermittelt die typische Polizeisirene direkt hinter uns. Die perfekte, angstmachende Filmsituation. Wir sahen uns schon mit den Händen auf dem Autodach mit breiten Beinen am Auto stehen. Tatsächlich werden wir per Lautsprecher ermahnt, die Autotür geschlossen zu halten. Ein älterer Herr in Uniform, offensichtlich noch älter als wir, kommt an das Fahrerfenster und verlangt den Führerschein. Weiter passiert nichts Spektakuläres. Ich werde als Fahrer darauf hingewiesen, dass ich offensichtlich drei Stoppschilder ignoriert habe. Ich sehe mich schon in Polizeigewahrsam. Es gibt aber nach Studium meines Führerscheins nur eine milde Ermahnung. Es wolle schließlich, dass wir „safe“ durch das Land kämen. Puhh.
Dann sind da noch all die Männer und Frauen, die uns geduldig den Weg erklären, uns klaglos zusammen fotografieren, uns eingehend in der Münzwäscherei beraten, uns Restaurants in der Nähe empfehlen und sich freuen, Menschen von so weit her zu treffen. Ja, gibt es denn gar keine negativen Erfahrungen mit den Einwohnerinnen und Einwohnern?
Nein gibt es nicht, soweit wir mit einzelnen Menschen zu tun hatten. Allerdings gilt das nur bedingt, wenn wir mit größeren Gruppen und kollektiven Verhaltensweisen konfrontiert werden.
Da sind die Lagerfeuer-Camper, die mitten in Naturschutzgebieten ihr Riesenfeuer anmachen, noch bevor das Zelt steht, bzw. der RV ans Wasser angeschlossen ist. Frische Luft ade, wenn morgens wie abends rundherum das vom Nationalpark selbst verkaufte Holz vollkommen sinnlos verbrannt wird, denn es ist auch nachts ca. 24 Grad Celsius warm und zum Essen wird auch nichts auf dem Feuer zubereitet. Es muss irgendein Verfassungszusatz existieren, der Lagerfeuer nicht nur zum Grundrecht sondern zu Bürgerpflicht erklärt. Mitten im Yellowstone Nationalpark, der regelmäßig zu großen Teilen abbrennt, erkennt man aus der Ferne, wo genau der Campground liegt. Es ist das Stück Wald mit der massiven Decke aus Rauch und Feinstaub darüber. Dabei ist es kein billiger Spaß, denn das Bündel kostet durchschnittlich neun Dollar. Ein Nachbar will uns seine übrig gebliebenen Bestände da lassen, weil er nach Hause fährt. Ich bedanke mich artig und meine, das seien ja wohl rund dreißig Dollar, die er mir schenken will. Er bestätigt lächelnd und fährt weg. Wir rühren den Schatz natürlich nicht an, da wird sich schon jemand finden, der die Luft verpesten will, wenn wir weg sind.
Da sind die Hardcore Motoridioten, die einen ganzen Tag lang mit Quads und Dreirad-Motorrädern die Hauptstraße von Deadwood/South Dakota rauf- und runterfahren und uns nachts auf dem Campingplatz weiter terrorisieren. Oder die Opas in Strandbuggies, die zwei Tage vor dem 4. Juli auf einem anderen Campingplatz Flaggenparaden zelebrieren, die 10jährigen, die schon motorisiert über unseren gemieteten Platz fahren wollen. Oder da ist der Strand in der Nähe von Pismo Beach, der als State Park für Motorfahrzeuge reserviert ist und ständig von allen möglichen Fahrzeugen umgepflügt wird. Da sind die offensichtlich vollkommen schmerzfreien Camper-Nachbarn, die die riesigen Motoren ihrer acht Meter langen Wohnmobile stundenlang im Leerlauf weiterblubbern lassen und ihre Riesenbildschirme mit benzinbetriebenen Generatoren am Leben halten. Verstörend sind auch die Familien, die mit ihren Autos zu den Waschräumen fahren, ihre Motoren natürlich laufen lassen, wenn sie sich duschen oder Menschen, die offensichtlich gleich ganz in den Sanitärbereich gezogen sind und dort schlafen, essen und die Einrichtung zerstören.
Da sind die Souvenirläden, in denen es ausschließlich T-Shirts gibt, auf denen Biden und seine Regierung verunglimpft und zu Staatsfeinden erklärt werden. Auf denen Prügel angedroht wird, wenn man die Flagge missachtet oder Veteranen nicht genügend ehrt. Da sind schließlich die Radiosender, die nichts anderes als schlechte Rockmusik bringen, die dann christlich genannt wird, auch weil der Moderator ständig von Jeeeeesus erzählt.
Aber unterm Strich ist unsere Bilanz positiv. Es sind eben auch die Menschen in den USA, die uns diese Reise wieder zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Dazu gehört ja offensichtlich auch, dass man sich des Öfteren sehr wundern muss.