Veröffentlicht: 03.10.2019
Mittwoch, 02. Oktober
6:30 am. Ich folge wieder meiner Morgenroutine: Schreiben in der Hotellobby, dann Frühstück mit Rebecca. Heute ein bisschen früher als sonst. Markus und Jesús treffen sich heute morgen mit Saif, und wir wollen ihnen Gesellschaft leisten. Saif ist ein Freund von Hannah und sie hat uns schon von ihm erzählt, als wir in der Summer School zum ersten Mal mit ihr in Amman waren. Er kommt aus Palästina, hat in seinem jungen Alter schon eine enorme Erfahrung in der humanitären Arbeit, und ist eine interessante Persönlichkeit.
Wir stoßen bei Hashem zu den Jungs, einem Restaurant in Downtown. Hashem ist ein absolutes Muss hier in Amman. Für sehr sehr kleines Geld bekommt man hier sehr sehr leckeres arabisches Essen: Hummus, Falafel, Muttabal, Labaneh, Ful & Co., weshalb sich hier Einheimische & Touristen mischen. Wir reden mit Saif ein bisschen über Gott und die Welt, bis irgendwann die Sprache auf Syrien kommt, wo er Jura studiert hat, bis dort der Krieg ausbrach. Wenn er über Syrien redet, kommt er ins Schwärmen. „They have everything: the best food, nice and beautiful people, beautiful landscape, sea, mountains, desert, incredible history and culture, it was very safe. What else do you need?” Mir fällt eine Sache ein. “What about freedom?” Saif stockt kurz und lächelt. “I mean. You have freedom. As long as you don’t question the system.” Ich habe das Gefühl, dass unser beider Verständnis von Freiheit ein wenig auseinander klafft. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen vermutlich immer noch in Assads Foltergefängnissen feststecken, klingt seine Aussage für mich eher ein wenig ironisch. Ohne jedoch die Situation vor Ort selbst einschätzen zu können, kann ich dazu nicht mehr sagen.
Wir verlagern unseren Kaffeeklatsch in ein Café ums Eck und Saif erzählt ein wenig, welche Reise er schon während seines Studiums hinter sich gebracht hat. In Palästina aufgewachsen hat er ein Stipendium für ein Jura-Studium in Frankreich bekommen, was er allerdings nicht wahrnehmen konnte. Er hat von israelischer Seite kein Visum bekommen, und die Stiftung wollte sich nicht in politische Angelegenheiten einmischen. Daraufhin ist er also nach Syrien, dort aufgrund des Kriegs nach Ägypten, dort aufgrund der zweiten Revolution nach Jordanien, wo er sein Studium beenden konnte. Es ist immer wieder das gleiche Thema, was mir fast täglich begegnet: der Fetzen Papier, auf dem die Staatsangehörigkeit steht, entscheidet über die Zukunft. Ich habe dafür mittlerweile nicht mehr als ein müdes Kopfschütteln übrig.
Saif möchte sich für den gleichen Masterstudiengang bewerben, den wir gerade in Würzburg studieren, wofür Jesús ihm seine Hilfe angeboten hat. Während die Jungs sich nun also zur Abwechslung mal um deutsche Bürokratie kümmern, treffe ich mich mit Sofia im Cultural Centre, wo man sehr gemütlich sitzen kann, und wir beide ein wenig arabisch lernen wollen. Der Anruf von Ammar kommt uns da sehr gelegen: nach einer guten Stunde Arabisch-Unterricht mit ihm müssen wir uns beeilen, die Treppen vom Cultural Center herunter, und auf der anderen Seite der Downtown wieder hoch zur Uni zu steigen.
Gerade so pünktlich kommen wir zur Vorlesung von Dr. Sahar, in der es um „Social work in situations of conflict“ geht, und in deren Rahmen wir ähnlich wie bei Rawans Vorlesung ein Forschungsprojekt und qualitative Studien durchführen müssen. „All of you are a valuable resource.“ Ich glaube, diesen Satz hat wirklich jede unserer Dozentinnen zu uns gesagt, was ein wirklich schöner Einstieg in unser Semester ist. Zum letzten Mal nun also noch eine Vorstellungsrunde, dann ein paar Fakten zum jordanischen Kontext, dann sind wir fertig für heute.
Sophia und mich erwartet nun noch ein letzter Termin: ein erstes Orientierungstreffen mit Rose, einem Kontakt, den Sophia von einer Studentin aus dem letzten Semester bekommen hat. Rose bietet Privat-Arabisch-Stunden an und wir treffen uns mit ihr bei Manara, einem Bookshop in Al Weibdeh. Ein neues, großes Gebäude mit großer Fensterfront, gemütlichen Sitzmöglichkeiten und Steckdosen zum Laden. An der langen Bar kann man sich Getränke bestellen, ist allerdings nicht dazu verpflichtet. Ein Ort, den ich mir auf jeden Fall zum Lernen merken werde. Wir sprechen mit ihr alles durch und vereinbaren unsere erste Arabisch-Stunde für nächsten Montag. Ich freue mich wirklich sehr darauf.
Ich setze mich danach noch ein wenig auf die Manara-Terrasse, von der man den jetzt wunderschönen Nacht-Blick auf Amman genießen kann, schreibe ein wenig an meinen Berichten und mache mich dann zu Fuß auf den Nachhause-Weg. Es fühlt sich gut an, Amman’s Straßen jeden Tag ein wenig besser kennenzulernen.
Die Vokabeln für heute:
gern geschehen- تكرم عيونك
schlau- شاطر
Person- شخص
frei- حرَ
kein Problem- بسيطة