Veröffentlicht: 04.07.2018
Wir starten unsere Reise in Wien. Entsprechend der westlich vorherrschenden Geschlechterklischees hat Gudi im Vergleich zu mir das vierfache an Reisegepäck . Moment! Umgekehrt. Gudi reist mit gefühltem Tagesgepäck. Ich hingegen muss, auch aufgrund meiner journalistischen Tätigkeit, mein halbes Hab und Gut durch die Weltgeschichte bewegen. Dies rächt sich erstmals bei unserem ersten Zwischenstop. Wir dachten wir sind besonders abenteuerlustig und nützen den erzwungenen Halt in Madrid, um die Stadt auszukundschaften. Problematisch daran ist, dass mein Handgepäck wesentlich schwerer als mein aufgegebenes Gepäckstück ist. Einen Schlafsack, den Laptop und sieben Bücher im Flugzeug mitzunehmen zeugt allerdings meiner Ansicht nach primär von hervorragender Vorbereitung - man weiß ja nie was man lesen will. Und führt zu Rückenschmerzen. Ich lasse mir natürlich nichts anmerken, bin aber durchaus froh, dass die fußballfanatische Gudrun nicht umhin kann, beide Achtelfinalspiele des Tages in diversen Bars zu verfolgen. Trotz meines immensen kulturellen Wissensdursts gebe ich mich also ebenso der Versuchung hin und wir verbringen den Nachmittag im Madrider Stadtzentrum bei Bier, Sangria und Paella. Ansonsten gibt es wenig zu berichten. Madrid ist in gewissen Punkten vergleichbar mit anderen europäischen Hauptstädten. Nur sind die Bewohner kaum größer als ein Volksschüler in Österreich. Aus Respekt vor der autochthonen Bevölkerung und aufgrund der Tatsache, dass selbst ich der Schwerkraft Tribut zollen muss, nähere ich mich bei unserem eineinhalbstündigen Spaziergang der restlichen Meute bezüglich Haupthähe durchaus an. Die Bücher Nummer sechs und sieben waren eventuell etwas übertrieben und führen zu einer akuten Abnahme meiner Bandscheiben. Zusätzlich führt meine schrumpfende Körpergröße mein Ohr genau auf die Höhe des Mundes meiner Freundin. Und die wird nicht Müde zu betonen, dass sie ab jetzt mein Reisegepäck packen wird und ich doch unglaublich unorganisiert sei- ich versuche, das permanente säuseln in meinem Kopf zu ignorieren - freue mich aber insgeheim - wer sich blöd anstellt - gewinnt. Im Nachhinein betrachtet hätte ich wenigstens eines der sieben Bücher aufschlagen können.
Am späteren Abend verlassen wir die spanische Hauptstadt und steigen müde und unsere Blutbahn mit einigen Zutaten des spanischen Nationalgetränks teilend, in den Flieger, der uns nach Johannesburg in Südafrika chauffieren soll. Eigentlich rechnen wir damit, dass uns ein ähnlich unkomfortabler Vogel wie auf unserer Reise nach Madrid transportieren soll. So bin ich der festen Überzeugung, dass sogar ich - Profiskeptiker und Angsthase der allerersten Stunde - durch die Voraussetzungen Müdigkeit, Alkoholspiegel, Nacht und keinem Entertainmentprogramm an Board - Schlaf finden werde. Natürlich kommt es anders. Obwohl Gudi vorausgedacht hat und ein aufblasbares Kopfkissen mitgebracht hat überlasse ich ihr - Gentleman der ich eben bin - gerne meinen Polster (den die Airline freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat). Sie verwendet diesen allerdings nicht zum liegen, sondern hält ihn fest im Arm. Was würde ich dafür geben, nur einmal so in ihren Armen liegen zu dürfen. Wieso kuschelt sie nie so mit mir? Ich beginne, den Kopfpolster als ernsthafte Konkurrenz zu betrachten und entwickle durchaus negative Gefühle ihm gegenüber.
Kurze Zeit später - ich inspiziere noch detailliert die Filmauswahl, bin ich beruhigt. Gudi bevorzugt vielleicht mein Kopfkissen - aber auch ich darf an ihrem wunderbaren Nachtschlaf teilhaben. Zwar nur in Form von Sabberflecken und Geschnarche - aber in der Not frisst der Teufel fliegen - und Mann freut sich, nicht komplett gegen einen Haufen Daunen ausgetauscht worden zu sein.
Während Gudi also schläft verbringe ich den Großteil der Nacht damit, kurz nach dem Einnicken aufzuschrecken und zu kontrollieren, ob sich das Flugzeug nicht in einem Sink - oder Sturzflug befindet. Das flugvorbereitende verfolgen der Fernsehserie Mayday - Alarm im Cockpit rächt sich. Bei diesem TV - Format werden sämtliche Flugzeugabstürze der vergangenen Jahrzehnte nachgespielt und aufgeklärt. Dies führt dazu, dass jede Turbulenz, jedes Rattern, jeder Höhenverlust, ja sogar vermeintlich nicht wahrnehmbare Geräusche bei mir Kopfkino auslösen. Dummerweise nehme ich mich derzeit nicht nur als Journalist wahr, sondern auch als technischer Experte für Flugzeuge. An Schlaf ist demzufolge zunächst nicht zu denken - ich habe Verantwortung zu tragen. Erst um 4 Uhr holt mich das Unvermeidbare ein und ich wechsle die Seiten - hin zu Gudi ins Träumeland. Als ich aufwache befinde ich mich in Afrika.